Sie sind vermutlich noch nicht im Forum angemeldet - Klicken Sie hier um sich kostenlos anzumelden  
logo
Sie können sich hier anmelden
Dieses Thema hat 5 Antworten
und wurde 289 mal aufgerufen
 Anderswelt
Linoma Offline




Beiträge: 1.500

24.04.2010 21:22
RE: Magische Märchen Antworten

Brüder Grimm - Die Kristallkugel

Es war einmal eine Zauberin, die hatte drei Söhne, die sich brüderlich liebten: aber die Alte traute ihnen nicht und dachte, sie wollten ihr ihre Macht rauben. Da verwandelte sie den ältesten in einen Adler, der mußte auf einem Felsengebirge hausen, und man sah ihn manchmal am Himmel in großen Kreisen auf- und niederschweben. Den zweiten verwandelte sie in einen Walfisch, der lebte im tiefen Meer, und man sah nur, wie er zuweilen einen mächtigen Wasserstrahl in die Höhe warf. Beide hatten nur zwei Stunden jeden Tag ihre menschliche Gestalt. Der dritte Sohn, da er fürchtete, sie möchte ihn auch in ein reißendes Tier verwandeln, in einen Bären oder einen Wolf, so ging er heimlich fort. Er hatte aber gehört, daß auf dem Schloß der goldenen Sonne eine verwünschte Königstochter säße, die auf Erlösung harrte: es müßte aber jeder sein Leben daran wagen, schon dreiundzwanzig Jünglinge wären eines jämmerlichen Todes gestorben und nur noch einer übrig, dann dürfte keiner mehr kommen. Und da sein Herz ohne Furcht war, so faßte er den Entschluß, das Schloß von der goldenen Sonne aufzusuchen. Er war schon lange Zeit herumgezogen und hatte es nicht finden können, da geriet er in einen großen Wald und wußte nicht, wo der Ausgang war. Auf einmal erblickte er in der Ferne zwei Riesen, die winkten ihm mit der Hand, und als er zu ihnen kam, sprachen sie 'wir streiten um einen Hut, wem er zugehören soll, und da wir beide gleich stark sind, so kann keiner den andern überwältigen: die kleinen Menschen sind klüger als wir, daher wollen wir dir die Entscheidung überlassen.' 'Wie könnt ihr euch um einen alten Hut streiten?, sagte der Jüngling. 'Du weißt nicht, was er für Eigenschaften hat, es ist ein Wünschhut, wer den aufsetzt, der kann sich hinwünschen, wohin er will, und im Augenblick ist er dort.' 'Gebt mir d en Hut,' sagte der Jüngling, 'ich will ein Stück Wegs gehen, und wenn ich euch dann rufe, so lauft um die Wette, und wer am ersten bei mir ist, dem soll er gehören.' Er setzte den Hut auf und ging fort, dachte aber an die Königstochter, vergaß die Riesen und ging immer weiter.

Einmal seufzte er aus Herzensgrund und rief 'ach, wäre ich doch auf dem Schloß der goldenen Sonne!' Und kaum waren die Worte über seine Lippen, so stand er auf einem hohen Berg vor dem Tor des Schlosses.

Er trat hinein und ging durch alle Zimmer, bis er in dem letzten die Königstochter fand. Aber wie erschrak er, als er sie anblickte: sie hatte ein aschgraues Gesicht voll Runzeln, trübe Augen und rote Haare. 'Seid Ihr die Königstochter, deren Schönheit alle Welt rühmt?' rief er aus. 'Ach,' erwiderte sie, 'das ist meine Gestalt nicht, die Augen der Menschen können mich nur in dieser Häßlichkeit erblicken, aber damit du weißt, wie ich aussehe, so schau in den Spiegel, der läßt sich nicht irre machen, der zeigt dir mein Bild, wie es in Wahrheit ist.' Sie gab ihm den Spiegel in die Hand, und er sah darin das Abbild der schönsten Jungfrau, die auf der Welt war, und sah, wie ihr vor Traurigkeit die Tränen über die Wangen rollten. Da sprach er 'wie kannst du erlöst werden? ich scheue keine Gefahr.' Sie sprach 'wer die kristallne Kugel erlangt und hält sie dem Zauberer vor, der bricht damit seine Macht, und ich kehre in meine wahre Gestalt zurück. Ach,' setzte sie hinzu, 'schon so mancher ist darum in seinen Tod gegangen, und du junges Blut, du jammerst mich, wenn du dich in die großen Gefährlichkeiten begibst.' 'Mich kann nichts abhalten,' sprach er, 'aber sage mir, was ich tun muß.' 'Du sollst alles wissen,' sprach die Königstochter, 'wenn du den Berg, auf dem das Schloß steht, hinabgehst, so wird unten an einer Quelle ein wilder Auerochs stehen, mit dem mußt du kämpfen. Und wenn es dir glückt, ihn zu töten, so wird sich aus ihm ein feuriger Vogel erheben, der trägt in seinem Leib ein glühendes Ei, und in dem Ei steckt als Dotter die Kristallkugel. Er läßt aber das Ei nicht fallen, bis er dazu gedrängt wird, fällt es aber auf die Erde, so zündet es und verbrennt alles in seiner Nähe, und das Ei selbst zerschmilzt und mit ihm die kristallne Kugel, und all deine Mühe ist vergeblich gewesen.'

Der Jüngling stieg hinab zu der Quelle, wo der Auerochse schnaubte und ihn anbrüllte. Nach langem Kampf stieß er ihm sein Schwert in den Leib, und er sank nieder. Augenblicklich erhob sich aus ihm der Feuervogel und wollte fortfliegen, aber der Adler, der Bruder des Jünglings, der zwischen den Wolken daherzog' stürzte auf ihn herab, jagte ihn nach dem Meer hin und stieß ihn mit seinem Schnabel an, so daß er in der Bedrängnis das Ei fallen ließ. Es fiel aber nicht in das Meer, sondern auf eine Fischerhütte, die am Ufer stand, und die fing gleich an zu rauchen und wollte in Flammen aufgehen. Da erhoben sich im Meer haushohe Wellen, strömten über die Hütte und bezwangen das Feuer. Der andere Bruder, der Walfisch, war herangeschwommen und hatte das Wasser in die Höhe getrieben. Als der Brand gelöscht war, suchte der Jüngling nach dem Ei und fand es glücklicherweise: es war noch nicht geschmolzen, aber die Schale war von der pIötzlichen Abkühlung durch das kalte Wasser zerbröckelt, und er konnte die Kristallkugel unversehrt herausnehmen.

Als der Jüngling zu dem Zauberer ging und sie ihm vorhielt, so sagte dieser 'meine Macht ist zerstört, und du bist von nun an der König vom Schloß der goldenen Sonne. Auch deinen Brüdern kannst du die menschliche Gestalt damit zurückgeben.' Da eilte der Jüngling zu der Königstochter, und als er in ihr Zimmer trat, so stand sie da in vollem Glanz ihrer Schönheit, und beide wechselten voll Freude ihre Ringe miteinander.

Die Wahrheit wiegt meistens schwer.

Linoma Offline




Beiträge: 1.500

24.04.2010 21:31
#2 RE: Magische Märchen Antworten

Josef Haltrich - Der Erzzauberer und sein Diener


Tief in einem Walde war ein verwünschtes Schloß; in diesem wohnte niemand als ein Zauberer, der durch seine Zauberei ungeheuere Schätze zusammengebracht hatte und täglich noch zusammenbrachte. Dieser Zauberer hatte einen Diener, der nichts anderes zu tun hatte, als am Tage, wo sein Herr auswärts war, die Zimmer zu kehren und den Staub von den Büchern abzuwischen. Einst hatte er einen Diener, welcher schon sechs Jahre seinem Herrn gedient, ohne darüber nachzudenken, warum sein Herr am Tage immer fortziehe, abends dann heimkehre und in der Nacht in den Büchern studiere. Im siebenten Jahre aber erwachte bei ihm die Neugierde, mehr zu wissen und zu erforschen, wodurch sein Herr so reich geworden. Wenn er darum die Zimmer gekehrt und den Staub von den Büchern abgewischt hatte, las er stets auch in den Büchern, und als das Jahr um war, hatte er die ganze Zauberei gelernt. Er nahm nun seinen Abschied und zog heim. "Freut euch mit mir!" sprach er zu Vater und Mutter und zu seinem Bruder, den er hatte, "nun werden wir bald reich werden. Ich verwandle mich in ein schönes Pferd, dann verkauft mich der Bruder, aber ohne den Zügel; denn dann kann ich mich wieder zurückverwandeln und heimkehren!" So geschah es auch; er verwandelte sich sofort in ein Pferd, sein Bruder verkaufte ihn, hielt aber den Zügel zurück, und so kehrte er bald wieder in Menschengestalt heim, und der Käufer hatte das Nachsehen.

Das dauerte nun eine lange Zeit, und sie hatten schon viel Geld erworben. Da geschah es, als sie wieder zu Markte kamen, erschien ein Käufer, der bot seinem Bruder den vierfachen Preis, wenn er ihm den Zügel mitverkaufe. Lange wollte dieser nicht; endlich ließ er sich überreden, da er dachte, es werde ja ein so großer Schade nicht sein. Der Käufer war aber kein anderer als der Erzzauberer, der seinen Diener erkannt hatte. Er setzte sich nun sogleich auf das Pferd und ritt vor eine Schmiede und wollte hier dem Pferde glühende Hufeisen aufschlagen lassen. Wie er aber abgestiegen war, sein Pferd angebunden hatte und in die Schmiede ging, um mit dem Schmied die Arbeit zu bestellen, kamen Schulknaben aus der Schule, sahen das schöne Pferd, gingen näher und standen still; da bat das Pferd einen Knaben, den Halfter ihm abzunehmen.

Kaum war dieses geschehen, so verwandelte sich das Pferd in einen kleinen Vogel und flog eilends davon. Indem trat der Zauberer aus der Schmiede; als er den Vogel wegfliegen sah, verwandelte er sich gleich in einen Habicht, der flog dem kleinen Vogel nach; dieser flog in die Stadt, und da im Königsschloß gerade im Zimmer der Königstochter ein Fenster offen stand, flog er da hinein und verwandelte sich sofort in einen schönen Jüngling und schloß Fenster und Türe zu; die Königstochter hatte Gefallen an dem Jüngling; der aber sprach:

"Willst du mich retten, so verwandle ich mich gleich in einen Ring, den stecke an den Finger und gib ihn um keinen Preis fort oder wirf ihn, wenn man dich zwingen sollte, ihn abzugeben, weg." Die Königstochter versprach, also zu tun; sogleich verwandelte er sich in einen Ring; die Königstochter steckte ihn an den Finger und legte ihn nie von sich. Da geschah es, daß ihr Vater, der König, schwer erkrankte und kein Arzt ihm helfen konnte; bald fand sich ein Arzt, der sagte, er könne und wolle Ihm wohl helfen, wenn er den Ring der Königstochter dafür erhalte. Um ihren Vater zu retten, versprach die Königstochter den Ring, allein als sie ihn geben sollte, warf sie denselben auf den Zimmerboden; sogleich verwandelte er sich in ein Viertel Hirse; der Arzt aber verwandelte sich in einen Hahn, der gierig die Hirse auffraß; ein Körnchen aber war weithin in eine Ritze gespritzt; als der Hahn nun glaubte, alles aufgefressen zu haben, verwandelte sich das letzte Hirsekorn in einen Jüngling mit einem Schwerte, der hieb dem Hahn das Haupt ab.

Da war nun große Freude, als der Jüngling den großen Schatz aus dem Schlosse des Zauberers herbeibrachte; er heiratete die schöne Königstochter, und als der König nicht lange darauf starb, wurde der Junge König und ließ seinen Vater und seine Mutter und seinen Bruder auch an den Hof kommen, und sie lebten nun miteinander noch lange glücklich und zufrieden.

Die Wahrheit wiegt meistens schwer.

Linoma Offline




Beiträge: 1.500

14.08.2010 10:13
#3 RE: Magische Märchen Antworten

Ein Wanderer im Geisterland



DURCH DIE GOLDENEN PFORTEN

XXX
Bei einer anderen Gelegenheit bat ich Hassein um eine Erklärung der Phänomene der spiritualistischen Bewegung, die jüngst auf Erden eingesetzt hatte und für die ich ein tiefes Interesse hegte, insbesondere in bezug auf die Materialisation.
Hassein antwortete: "Ich möchte zunächst auf die große Bedeutung der Atomtheorie hinweisen, die neuerdings bei den Menschen auf Erden gelehrt wird und die eine der einfachsten und vernünftigsten Erklärungen für die Durchdringung von Materie durch Materie bildet. Wie bereits erwähnt, sind die Bestandteile der Materie so klein, daß selbst das Stäubchen in der Luft, das dem Auge nur erscheint, wenn es von einem Sonnenstrahl getroffen und beleuchtet wird, - von einer zahllosen Menge kleinerer Partikelchen zusammengesetzt ist. Durch dieselben Gesetze, die auch die Anziehung und Abstoßung größerer Körper beherrschen, werden sie angezogen und zusammengehalten. Die Kenntnis dieser Gesetze befähigt die Geister, diese Atome bei den Kundgebungen spiritistischer Materialisationen für ihre Zwecke zu gebrauchen. Solche Atome, die sich für diese Art von Kundgebung eignen, werden von Geistern, die sich zu materialisieren wünschen, aus der Atmosphäre gesammelt, sowie auch von den Ausströmungen der Männer und Frauen, die den spiritistischen Zirkel bilden. Diese Atome werden durch den Willen der Geister in die Gestalt ihrer irdischen Körper geformt und durch eine chemische Substanz, die in größerem oder geringerem Maße in den Körpern aller lebenden Wesen enthalten ist, zusammengehalten. Wären die Chemiker der Erde in ihrer Wissenschaft weiter vorgeschritten, so könnten sie diese Substanz aus allen Lebewesen der Natur herausziehen, sie aufbewahren und nach Belieben gebrauchen.

Diese Substanz oder Essenz ist das mysteriöse Lebenselixir der Alchemie. Das Geheimnis, sie ausznziehen und in greifbarer Form zurückzuhalten, ist das, was die Weisen aller Zeiten und Länder zu entdecken gesucht haben. Sie ist jedoch so feinätherischer Natur, daß den irdischen Chemikern bis jetzt kein Prozeß bekannt ist, durch den diese Essenz in einen Zustand gebracht werden kann, um eine Untersudmng derselben zu ermöglichen. Immerhin wurde sie von einigen erkannt und ihr der Name "Magnetische Aura" beigelegt. Von dieser ist sie jedoch nur ein Element, und zwar das ätherischste. Die lebenspendenden Strahlen der Sonne enthalten dieses Element. Wo aber ist bis jetzt der Chemiker, der die Sonnenstrahlen zu zerlegen und ihre verschiedenen Bestandteile auf Flaschen zu ziehen vermöchte? Diese Kenntnis aber besitzen die vorgeschrittensten Geister. Und wenn eines Tages die Welt in der chemischen Wissenschaft weit genug vorgeschritten ist, wird dieser Prozeß den Menschen ebenso bekannt werden, wie einst die Entdeckung der Elektrizität und ähnlicher Kräfte.

Hier möchte ich noch bemerken, daß bei einem spiritistischen Zirkel die verschiedenen Teilnehmer der Aura ebensoviel Einfluß auf die Materialisation haben wie die Aura des Mediums selbst. Manchmal verbinden sich die chemischen Elemente in der Aura eines Mediums nicht vollständig mit denen der anderen Anwesenden, und dieser Mangel an Harmonie vereitelt dann überhaupt jede Materialisation. In außergewöhnlichen Fällen arbeiten diese widerstrebenden Kräfte einander sehr entgegen und wirken auf die gesammelten Atome so zurückstoßend, daß sie eine geistige Explosion verursachen, welche die Atome auseinandersprengt wie Dynamit eine feste Mauer. Dieser Widerstreit hat nichts mit der moralischen oder geistigen Verfassung solcher Personen zu tun. Sie können in jeder Hinsicht achtbare und ernste Menschen sein, aber sie sollten niemals bei demselben Zirkel in magnetische Verbindung gebracht werden, da sich ihre Auren niemals vermischen können. Befriedigende Resultate werden sie bei einem gemeinschaftlichen Versuch niemals erlangen.

Bei jenen Medien, mit deren Hilfe nur rein physikalische Phänomene - wie das Bewegen von Tischen in die Luft und ähnliche Kunststücke - hervorgerufen werden, ist diese besondere Essenz zwar vorhanden, jedoch in einer zu groben Form, um für Materialisationen geeignet zu sein. Letztere erfordern einen gewissen verfeinerten Grad dieser Essenz. Es herrscht in deren Güte ein ähnlicher Unterschied wie zwischen rohem und absolutem Alkohol. Bei einem echten Materialisationsmedium ist die Essenz destillierter, verfeinerter: und je reiner sie ist, desto vollkommener wird die Materialisation sein. Manche Medien eignen sich sowohl für physikalische Manifestationen wie für Materialisationen, aber im Verhältnis als die grobphysikalischen Kundgebungen im Zirkel bevorzugt werden, gehen die höheren und feineren Formen der Materialisation verloren.

Der Besitz einer genügenden Menge von Spezialessenz befähigt den Geist, sich in die gesammelten Atome zu hüllen und sie lange genug zu halten, bis sie in einen Zustand umgewandelt sind, in dem sie seine eigene Identität zum Ausdruck bringen. Das nicht genügende Vorhandensein der Essenz bewirkt jedoch bei dem Geiste, daß er seinen Halt verliert, bevor der Prozeß beendet ist, und er sich nur flüchtig bei unvollkommener Ähnlichkeit oder überhaupt nicht zeigen kann.

Der Vergleich mit einem alltäglichen Vorgang mag zur Erläuterung dienen: Wenn du im irdischen Körper Fleisch, Pflanzen oder Flüssigkeit zu dir nahmst, die alle jene Elemente in fertigem Zustande enthielten, die dein Körper zu seiner Erneuerung bedurfte, so verwandeltest du durch den Verdauungsprozeß diese Substanzen in einen Bestandteil der irdischen Hülle deiner Seele. Auf demselben Wege nimmt ein Geist die Atome an sich, die vom Medium und den Teilnehmern einer Materialisationssitzung abgegeben werden. Durch einen künstlichen "Verdauungsprozeß", der so schnell wie der Blitz verläuft, verwandelt er sie in eine materielle Hülle für sich, der er je nach seiner Kraft seine Identität mehr oder weniger vollständig aufprägt.

Jedes Atom des menschlichen Körpers wird direkt oder indirekt - der Atmosphäre seiner Umgebung entnommen und in der einen oder anderen Form aufgesogen. Nachdem er als Kleid für seinen Geist gedient hat, wird es wieder abgestoßen, um von einem anderen Lebewesen absorbiert zu werden. Jedermann weiß, daß die Materie des menschlichen Körpers einer fortwährenden Veränderung unterworfen ist. Aber wenige wissen, daß es solche grobstofflichen, materiellen Atome sind, deren der Geist bedurfte, um sich damit zu bekleiden und dem körperlichen Auge sichtbar zu machen.

Die Essenz oder das Ätherfluidum ist dasjenige, was hauptsächlich den materiellen Körper im Leben zusammenhält. Im Tode, bei Trennung des Bindegliedes zwischen der Seele und den materiellen Atomen des Körpers, entweicht dieses Fluidum in die umgebende Atmosphäre und gibt den Körper dadurch dem Verfall preis. Kälte verzögert das Entweichen dieses Ätherfluids; Hitze beschleunigt es. Auf diese Weise erklärt es sich, weshalb der Körper eines Tieres oder einer Pflanze eher in einem heißen Klima zerfällt und so zur Nahrung wird für jene kleinen Parasiten, die durch den niedrigeren Grad von Lebensmagnetismus genährt werden, der in der abgelegten Hülle zurückbleibt. - Diese Essenz, auch Ätherfluidum genannt, ist dem wissenschaftlich bekannten elektrischen Fluidum verwandt. Da aber Elektrizität das Erzeugnis mineralischer und vegetabilischer Substanzen ist, ist sie ihrer Eigenschaft nach gröber als diese menschliche Elektrizität. Es würde erst der Verbindung mit anderen Elementen bedürfen, um sie der menschlichen gleichwertig zu machen.

Diese höhere Essenz ist ein wichtiges Element von dem, was man "höheres tierisches Lebensprinzip" zum Unterschied vom "Seelen-Lebensprinzip" und "Astral-Lebensprinzip" nennt. Zwischen diesen Grundprinzipien unterscheiden wir streng.
Im Trancezustand, der entweder künstlich hervorgerufen wird (Hypnose) oder als Begleiterscheinung gewisser Sensitiver (Medien) auftritt, verbleibt diese Lebensessenz bei dem Körper. Da jedoch in Trance der Körper nur wenig dieser Essenz verbraucht, kann ein großer Teil entnommen und von dem Kontrollgeist zu seiner Materialisation verwendet werden. Danach wird dem Medium die entnommene Essenz wieder zurückerstattet. Einige Medien geben diese Lebensessenz leicht ab, anderen kann sie nur mit großer Mühe entzogen werden. Bei manchen ist nur eine so geringe Menge vorhanden, daß es undienlich wäre, überhaupt etwas davon zu entnehmen.

Die Aura solcher Medien, die einen großen Bestand von Lebensessenz in hoher und reiner Qualität aufweisen, verbreitet ein äußerst liebliches, helles Silberlicht, das von Hellsehern beobachtet werden kann. Dieses Licht geht vom Medium aus wie die Strahlen von einem Sterne. Wo es in hohem Grade vorhanden ist, bedarf der materialisierte Geist keines anderen Lichtes, um sichtbar zu sein. Die Geister erscheinen in solchem Falle wie mit einem Silberhauch umgeben und gleichen Heiligen und Engeln, wie sie auf Bildern dargestellt werden. Ohne Zweifel haben die alten Seher mittels dieser Art von Aura Geister und Engel wahrgenommen.

Manchen Geistern der höchsten Sphären ist es sehr wohl möglich, sich einen materiellen Körper auch ohne den Beistand eines irdisch verkörperten Mediums zu gestalten. Solche Geister haben genügend Kenntnisse von den Gesetzen der Chemie, und ihre Willenskraft hat den Grad erreicht, der zu dem Prozesse erforderlich ist. In der Atmosphäre der Erde und in Mineralen, Pflanzen und Tieren finden sie jede Substanz, aus der ein Körper zusammengesetzt ist und aus der die Lebensessenz gezogen werden kann. Der menschliche Körper ist eine Vereinigung von allen Stoffen und Gasen, die auf und in der Erde und der Atmosphäre vorhanden sind. Es bedarf nur der Kenntnis, welche Gesetze die Kombination der verschiedenen Stoffe bewirken, um einen Geist instandzusetzen, einen Körper zu bauen, der in jeder Hinsicht dem eines irdischen Menschen gleicht und mit dem der Geist sich bekleiden kann, indem er ihn durch seinen Willen für längere oder kürzere Zeit zusammenhält.

Diese Kunst ist notwendigerweise bis jetzt nur in den höheren Sphären vorhanden. Denn es erfordert einen hohen Grad geistiger Entwicklung, bevor ein Geist alle Naturgesetze im Zusammenhang mit diesem Prozeß richtig abwägen lernt. Die Magier der Alten vermochten es wirklich, ihr Gebilde bis zu einem gewissen Grade mit dem Astral- oder niederen Lebensprinzip zu beseelen. Aber sie konnten dieses Leben infolge der großen Schwierigkeiten, jene Essenz zu sammeln, nicht aufrechterhalten. Hatten sie aber solch einen künstlich hergestellten Körper beseelt, so entbehrte er der Intellegenz und Vernunft; denn diese Attribute gehören ausschließlich der Seele an. Kein Mensch oder Geist kann aber ein künstliches Gebilde mit einer Seele versehen, welche allein Verstand und Unsterblichkeit zu verleihen vermag. Jedoch konnte ein solcher Körper einem Geiste als Hülle dienen und ihn befähigen, längere oder kürzere Zeit mit Menschen zu verkehren, je nachdem er imstande war, diese Hülle in guter Verfassung zu erhalten.

So konnten die Alten, welche ohne Zweifel große Erfahrung in diesen Dingen besaßen, auch nach Belieben die materielle Bedeckung ihres Körpers erneuern und tatsächlich auf Erden ihr Leben verlängern. Oder sie konnten diese materiellen Atome zerstreuen und sich befreit von den Fesseln des Fleisches, in das Geisterland begeben. Wenn es dann ihren Wünschen entsprach, bauten sie sich den irdischen Körper wieder auf. Solche Geistmenschen sind die Mahatmas, die infolge des Besitzes dieser und ähnlicher Geheimnisse viele von den wunderbaren Fähigkeiten aufweisen, die man ihnen zuschreibt.

Wir sind nicht der Meinung, daß rnan dieses Wissen als eine angeblich sehr gefährliche Sache den Menschen vorenthalten müsse. Wir glauben im Gegenteil, daß es kein Wissen gibt, das nicht auch allen anderen ohne Gefahr übermittelt werden könnte; vorausgesetzt, daß sie geistig genug entwickelt sind, um diesem Wissen Verständnis entgegenzubringen und es richtig anwenden können. Das ist die Ansicht unseres großen Lehrers Ahrinziman, der ein geborener Orientale war und sich sowohl in seinem Erdenleben, wie auch während der mehr als zweitausend Jahre seit seinem Tode mit dem Studium okkulter Dinge befaßt hat. Er hat die Entstehung und die praktische Anwendung von vielen Ideen beobachtet, die dem westlichen Verstande noch neu sind.

In manchen Fällen wird dem Körper des Mediums so viel Stoff entzogen, daß sich dessen Gewicht merklich ändert. In selteneren Fällen kommt fast die ganze materielle Hülle zur Verwendung, so daß das Medium dem körperlichen Auge entschwunden ist; ein Hellseher kann jedoch die astrale Gestalt des Mediums auf dem Stuhle sitzen sehen. Hiebei sind es nur die grobmateriellen Atome, welche verwendet wurden, während die mentalen Atome von dem Prozeß nicht berührt werden. In der Regel wissen die Geister, die sich materialisieren, nichts von den Mitteln, durch welche die Resultate erlangt werden, geradeso wie viele Personen sich die Entdeckungen der Chemie und ihrer Mittel zunutze machen, ohne zu wissen, wie diese Substanzen gewonnen wurden. Bei allen Materialisationssitzungen ist ein unsichtbarer Führer aus einer im Verhältnis zur Erde weit vorgeschrittenen Sphäre zugegen. Dieser übermittelt seine Anordnungen einem Geiste, dessen Wille in der Beherrschung der Kräfte des Astralplanes stark ist, sowie an
deren Geistern, welche mit dem Medium in Berührung kommen. Letztere materialisieren sich auch manchmal selbst und zeigen sich dem Zirkel.

Es ist jetzt in der geistigen Welt eine mächtige Bewegung im Gange zur Verbreitung des okkulten Wissens sowohl unter den Geistern als auch unter den Menschen. Das Kirchentum des Ostens wie des Westens wird diese Bewegung sicherlich bekämpfen; aber es wird damit keinen Erfolg haben, denn unsere Macht ist ihm zu sehr überlegen. Die Menschen halten überall die Zugänge zum Wissen besetzt und drängen sich an den Toren, die ihnen früher oder später geöffnet werden müssen.

Wissen kann man als unveräußerliches Geburtsrecht jeder Seele nicht unterdrücken, noch kann es zum Eigentum einer besonderen Klasse gemacht werden. Daher ist es gewiß besser, das Wissen in gewählter und vernünftiger Weise mitzuteilen, als den Wunsch nach ihm zu unterdrücken und die hungrige Seele schmachten zu lassen, bis sie es sich aus den gehäuften Massen des Irrtums selbst gewinnt. Die menschliche Rasse schreitet stetig vorwärts und die Bevormundung des Kindes eignet sich nicht mehr für den heranwachsenden Jüngling. Dieser verlangt Freiheit und wird die hemmenden Fesseln zerreißen, wenn er nicht bis zum vollen Maße seiner Fähigkeiten auf den Pfaden zum Wissen wandeln darf. Ist es daher nicht billig zu verlangen, daß die Weisen des Volkes diesem Durste nach Licht und Erkenntnis dadurch entsprechen, indem sie durch jeden Zugang, der geöffnet werden kann, die Weisheit aller Zeiten in einer Form übermitteln, wie sie am leichtesten erfaßt werden kann? Dieser Planet ist nur ein Fleck im Universum. Was er an Wissen besitzt, ist nur jener Bruchteil des universalen Wissens, der einer Stufe angemessen ist. Jede Stunde fordert gebieterisch, daß das Wachstum der Menschenseele Hand in Hand gehe mit der Erweiterung ihres Glaubens und seiner Hilfsquellen, - durch Einlaß immer neuer Lichtströme, ohne Unterdrückung der alten, damit der neue Glanz das Auge nicht allzusehr blende."

Die Wahrheit wiegt meistens schwer.

Linoma Offline




Beiträge: 1.500

14.08.2010 10:14
#4 RE: Magische Märchen Antworten

XXXI

"Und nun, lieber Hassein, habe ich noch einen anderen Punkt, über den ich dich zu befragen wünsche. Oft möchten die Menschen auf Erden wissen, woher es komme, daß kein Mensch die Sphären zwischen der Erde und der Sonne sehen kann. Und auch, warum sie nicht einmal jene Geister wahrzunehmen vermöchten, die sich angeblich bei ihnen im Zimmer befänden. Natürlich sind nicht alle Menschen damit zufrieden, wenn man ihnen einfach sagt, sie seien eben keine Hellseher und hätten das geistige Schauen nicht. Sie wünschen eine eingehendere Erklärung. Ich bin unfähig, eine Antwort auf die Frage zu geben. Kannst du es?"

Hassein lachte. "Ich könnte dir ein Dutzend solcher Erklärungen geben, aber jene Sterblichen, die nicht imstande sind, Geister zu sehen, würden dadurch nicht viel klüger werden. Schon bei Photographien von unmaterialisierten Geistern sieht man die materiellen Türen und Fenster, Möbel usw. durch die Gestalten der Geister hindurch. Nun, das gibt eine gute Vorstellung von dem Dichtigkeitsgrad eines Astralkörpers, der aus der untersten Stufe vergeistigter Materie besteht. Die materiellen Partikel sind so dünn gesät, daß sie einem feinen Netzwerk gleichen, das durch unsichtbare Atome ätherischer Natur verbunden ist. Atome, die so verfeinert sind, daß sie nicht auf die empfindlichsten Platten gebracht werden können. Geister, welche den Erdenplan verlassen haben, können mit den zur Zeit gebräuchlichen Platten nicht photographiert werden. Sie haben in der Zusammensetzung ihres Körpers keine genügend groben Atome und müssen daher einen dem irdischen ähnlichen Körper materialisieren.

Oder diese Geister müssen solche Astralhüllen oder Körper benutzen, welche sich, wie bereits erwähnt, aus den wolkigen Massen halbmaterieller menschlicher Atome bilden. Aus jenen Astralschalen, die niemals von einer Seele bewohnt wurden und ihrer Eigenschaft nach so plastisch sind, daß die Geister sie nach ihrem Bilde formen können. Wenn solche Bilder auch streng genommen keinen Anspruch darauf erheben dürfen, die Photographien der Geister selbst zu sein, so sind sie nichtsdestoweniger Beweise für das Vorhandensein geistiger Kräfte und für die Existenz jener Intelligenz, die sie schuf, da jeder Geist der plastischen Astralform seine Identität selbst aufprägen muß.

Der wahre Grund für die schattenhafte Erscheinung von Geisterphotographien ist der, daß die photographischen Hilfsmittel zur Zeit noch nicht zur Übertragung der ganzen Geisterform, sondern nur der gröberen Partikelchen geeignet sind. Bei einem vollständig materialisierten Geist ist die Durchsichtigkeit der Erscheinung nicht vorhanden. Die Form ist bei diesem so vollkommen lebensähnlich und fest, daß die Leute behaupten, es könne nichts anderes als nur das Medium selbst sein. Eure Forscher, welche einen Gegenstand von solcher Tragweite zu ergründen suchen und dabei nur über ein ganz alltägliches Wissen verfügen, halten sich trotzdem für befähigt, über eine Frage von solcher Bedeutung endgültig zu entscheiden.

Wenige Menschen ziehen in Betracht, daß auch ihr körperliches Sehen von den materiellen Atomen abhängt, welche die Erdatmosphäre erfüllen und sie diese ohne das Licht nicht wahrzunehmen vermöchten. Bei Nacht können die Menschen auch Sterne sehen, die nicht selbst Sonnen sind, weil sie aus Materie bestehen, die das Sonnenlicht zurückstrahlt. Während des Tages aber verursacht die ungeheure Masse materieller Partikel in der Erdatmosphäre, die durch den Widerschein der Sonnenstrahlen beleuchtet werden, eine solch undurchdringliche Lichtatmosphäre, daß die Sterne dem materiellen Auge nicht mehr sichtbar sind. Wenn du jedoch über diese Atmosphäre erleuchteter Atome hinaufsteigst, werden die Sterne auch am Mittag wieder sichtbar, während der dich umgebende Ätherraum, da er von solchen Partikelchen frei ist, ganz dunkel erscheint. Es ist da nichts vorhanden, was die Sonnenstrahlen reflektieren könnte.

Licht kann nur da beobachtet werden, wo ein wenn auch noch so kleiner Gegenstand vorhanden ist, der ihm das Licht der Sonne zurückwirft. Woher kann also der Mensch wissen, daß das Sonnlicht durch den Ätherraum zur Erde eilt? Nur durch Schlußfolgerung, aber nicht durch den Augenschein, denn jenseits der Erde ist das Sonnenlicht für ihn unsichtbar. Die Menschen wissen, daß das Licht des Mondes nur zurückgeworfenes Sonnenlicht ist. In ähnlicher Weise ist jedes kleine Atom grobstofflicher Materie, das in der Erdatmosphäre herumfliegt, ein unendlich kleiner Mond, der Sonnenlicht reflektiert und die Erde durch den Glanz dieser Strahlen erhellt. So sind diese kleinen Partikelchen, - welche beständig von der Erde in die Atmosphäre abgestoßen werden - nur die gröberen Atome, die ihrerseits kleinere geistige Keime umhüllen oder besser umkreisen. Letztere bilden eine geistige Atmosphäre um die Erde und reflektieren für Hellseher die geistigen Elemente des Sonnenlichtes. Diese geistige Atmosphäre ist unter dem Namen Astralplan bekannt und steht zu den Astralkörpern im selben Dichtigkeitsverhältnis wie die irdische Atmosphäre zu den irdischen Körpern.

Das Licht, das von den geistigen Elementen der Sonne ausgeht und jene Partikelchen des Astralplans trifft, ist das Astrallicht, mittels dessen die Geister sehen. Die materielle Atmosphäre der Erde ist diesen ebenso unsichtbar wie die geistige Atmosphäre dem körperlichen Auge von Erdenmenschen. Ist es daher so schwer vorstellbar, daß geistige Sphären um die Erde herum oder zwischen der körperlichen Hülle des Menschen und jener der Sonne vorhanden sein können, ohne daß es ihm möglich ist, sie zu sehen? Deshalb nicht zu sehen, weil sein geistiges Auge geschlossen ist und er nur irdische Dinge wahrzunehmen vermag. Die geistigen Sphären und ihre Bewohner sind natürlich durchsichtiger und dem irdischen Auge infolge seines unvollkommenen Sehvermögens unsichtbar, das nur auf materielle Dinge von verhältnismäßig großer Dichtigkeit beschränkt ist."

XXXII

Seit ich die zweite Sphäre des Geisterlandes erreicht hatte, war der Himmel stets bewölkt. Es bewegten sich an ihm reizende, lichte, flockige Wolken, welche sich in tausend Formen verwandelten und die lieblichsten Farbenschattierungen annahmen. Es wurde mir von anderen Geistern berichtet, daß in ihren Lufträumen niemals eine Wolke zu sehen sei, alles sei heitere, klare Schönheit. Ohne Zweifel ist es so in ihren Regionen, denn in der geistigen Welt bilden unsere Gedanken und Wünsche unsere Umgebung. Weil ich Wolken zu sehen liebe, deshalb sind sie an meinem Himmel zu schauen, damit ich mich an ihnen erfreue.

Einige Zeit, nachdem ich mein kleines Heim im Morgenlande bezogen hatte, trat zwischen mich und meine Wolkenbilder eine Vision, welche plastisch am Horizont zu unterscheiden war. Sie stellte ein prächtiges, ätherisches Tor von geschmiedetem Golde dar, das der Eingang zu irgendeinem schönen Lande zu sein schien. Ein klarer Strom von Wasser durchflutete die Ebene zwischen mir und diesem Tore, während Bäume grün und luftig ihre Aste an seinen Ufern ausbreiteten. Immer wieder sah ich diese Vision und während ich sie eines Tages betrachtete, trat mein Vater unbemerkt bei mir ein. Er berührte meine Schulter und sagte:

"Franchezzo, dieses Tor ladet dich ein, näherzukommen und es dir anzusehen. Es ist der Eingang zum höchsten Kreis der zweiten Sphäre, hinter ihm erwartet dich dein neues Heim. Jetzt ist es besser für dich, diese kleine Hütte zu verlassen und zu sehen, ob die Wunder jenes neuen Landes dich nicht weit mehr entzücken. Wie du weißt, bin ich in der dritten Sphäre, welche über dir ist. Aber je näher du mir bist, desto besser kann ich dich besuchen."

Ich war von dieser Mitteilung sehr überrascht. Es schien mir unglaubhaft, daß ich so bald schon fähig sein sollte, jene Tore zu passieren. Dann aber befolgte ich den Rat meines Vaters, bot meinem kleinen Heim ein dankbares Lebewohl und machte mich auf die Reise nach dem neuen Lande.

Im Geisterlande, wo der Boden sich nicht wölbt wie bei der Kugelform der Erde, verschwinden die Objekte am Horizonte nicht in der Weise, daß in der Ferne Erde und Himmel ineinander überzugehen scheinen. Man sieht den Himmel über sich wie eine ungeheuer breite Fläche. Die höheren Kreise einer Sphäre erscheinen wie flache Ebenen, die auf Bergeshöhen am Horizonte liegen. Hat man diese Berge erreicht und liegt das neue Land vor dem Blicke ausgebreitet, so erheben sich an seinem Horizonte wieder Berge und neue Länder, die noch höher liegen als die, auf welchen man sich befindet. So also ist es möglich, niederzuschauen auf jene Länder, die hinter uns liegen: wie auf eine Reihenfolge von Terrassen, von denen jede zu einer niedrigeren, weniger schönen führt, bis zuletzt der irdische PIan sichtbar wird, der die Erde selbst umgibt. Jenseits dieses Planes wiederum liegt für jene, deren Sehvermögen gut entwickelt ist, eine andere Folge von terrassenähnlichen Ländern, die hinab zur Hölle führen. So verschmelzen Kreise in Kreise und Sphären in Sphären. Zwischen jeder Sphäre befindet sich eine Trennwand von magnetischen Wellen, welche die Geister einer niedrigeren Sphäre so lange zurückweist, bis ihr Entwicklungsstand mit den Schwingungen der höheren Sphäre in Einklang gekommen ist.

Auf meiner Reise nach den goldenen Toren kam ich durch mehrere Kreise dieser zweiten Sphäre, deren Gegenden und ihre Schönheiten mich versucht haben würden, zu verweilen. Doch ich war so begierig, das herrliche Land zu schauen, das jetzt das Ziel meiner Hoffnungen war. Außerdem wußte ich, daß ich zu jeder Zeit auf meinem Wege zur Erde diese Zwischenreiche erforschen konnte, da es einem Geiste stets möglich ist, seine Schritte rückwärts zu lenken und die Sphären unter ihm zu besuchen.

Schließlich erreichte ich den Gipfel der letzten Bergreihe zwischen mir und den goldenen Toren. Vor meinen Augen lag ein liebliches Land. Die Bäume bewegten ihre Zweige und Blumen blühten überall, während der klare Strom, an dessen jenseitigem Ufer sich die goldenen Tore befanden, zu meinen Füßen dahinfloß. Freudigen Herzens stürzte ich mich in den herrlichen Fluß, um hinüberzugelangen. Seine erfrischenden Fluten schlossen sich über meinem Haupte, während ich tauchte und schwamm. Als ich auf der andern Seite landete, war ich ganz durchnäßt, aber in einem Augenblicke war meine Kleidung wieder trocken. Und was noch merkwürdiger war: mein graues Gewand mit seiner dreifachen weißen Borte war in ein solches von blendend weißem Glanze mit einem goldenen Gürtel und goldenen Borten verwandelt. Am Hals und an den Handgelenken war es mit kleinen, echt goldenen Schnallen geschlossen, während das Tuch aus feinstem Musselin zu bestehen schien.

Ich schaute und mochte kaum meinen Augen trauen. Dann näherte ich mich mit klopfendem Herzen jenen prächtigen Toren. Als meine Hand sie berührte, öffneten sie sich selbst. Durch sie gelangte ich auf einen breiten Weg, der von Bäumen, blühenden Sträuchern und lieblichen Pflanzen eingefaßt war.

Die Blumen glichen jenen der Erde, aber um wie viel schöner und duftiger waren sie! Mit Worten können sie gar nicht beschrieben werden. Zu meinen Füßen breitete sich ein weicher Rasen und zu Häupten dehnte sich ein Himmel wundervoll klar und rein. Eine Lichtfülle drang zwischen den Bäumen hindurch, wie ich es auf Erden nie gesehen. Vor mir erblickte ich liebliche blaue und purpurne Anhöhen und den Spiegel eines schönen Sees, in dessen Mitte kleine friedliche Inseln mit dichtbelaubten Baumgruppen einen prächtigen Anblick gewährten. Hier und da glitt über den See ein kleines Boot mit seligen Geistern, die in leuchtende Gewänder von verschiedener Farbe gekleidet waren. Alles erschien der Erde und meinem geliebten Süden ähnlich und war doch so verändert: veredelt und frei von allem Makel des Irrtums und der Sünde.

Als ich den blumenbesäumten Weg dahinschritt, kam eine Gesellschaft von Geistern auf mich zu und begrüßte mich. Unter ihnen erkannte ich meinen Vater, meine Mutter, meinen Bruder und eine Schwester, außerdem viele liebe Freunde aus meiner Jugendzeit. Sie hatten Schleier von roter, weißer und grüner Farbe bei sich, mit denen sie mir winkten. Als ich mich näherte, bestreuten sie meinen Pfad mit herrlichsten Blumen und sangen zum Willkommen die schönen Lieder unseres Landes. Ich fühlte mich von Bewegung fast übermannt; es schien viel zu viel des Glücks für mich.

Inmitten dieses glänzenden Schauspiels wendeten sich meine Gedanken zu ihr, die mir von all den Lieben die Teuerste war, und ich dachte: "Schade, daß sie nicht hier ist, sie, deren Liebe ich mehr als sonst etwas diese Stunde verdanke." Sowie dieser Gedanke in mir auftauchte, gewahrte ich plötzlich ihren Geist neben mir. Halb schlummernd, halb bewußt war er für einen Augenblick vom irdischen Körper befreit und auf den Armen ihres höchsten Schutzgeistes hierhergetragen worden. Ihre Kleidung war die der geistigen Welt, weiß wie das Gewand einer Braut und schimmernd von funkelnden Edelsteinen. Ich wendete mich ihr zu und zog sie an mein Herz. Bei meiner Berührung erwachte ihre Seele und blickte mich lächelnd an. Hierauf stellte ich sie meinen Freunden als meine geliebte Braut vor. Während sie uns noch alle anlächelte, kam ihr Führer wieder und warf einen großen weißen Mantel über sie.

Sodann nahm er sie wieder auf seine Arme, und wie ein ermüdetes Kind schien sie in Schlummer zu versinken, als er sie zu ihrem irdischen Körper hinwegtrug. Diesen hatte sie für kurze Zeit verlassen, um an diesem Feste höchster Freude teilzunehmen und es durch ihre Gegenwart zu krönen. Ach, wie hart empfand ich den Gedanken, daß sie nicht bei mir bleiben konnte; aber die Zeit ihres Erdendaseins war noch nicht völlig abgelaufen. Dann kamen meine Freunde auf mich zu und umarmten mich zärtlich. Meine Mutter, die ich seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen hatte, bedeckte mein Gesicht mit Küssen, als ob ich noch der kleine Knabe gewesen wäre, den sie vor so vielen Jahren verlassen mußte.

Die Gesellschaft geleitete mich nun zu einem reizenden Wohnhaus. Dieses war fast begraben in Jasmin und Rosen, die seine Mauern und die weißen Säulen der Piazza umrankten, indem sie auf der einen Seite einen Blumenteppich bildeten. Was für ein prächtiges Heim und wieviel schöner als das, welches ich verlassen hatte! Seine Zimmer - es gab deren sieben - waren geräumig, und ein jedes entsprach einer Eigentümlichkeit meines Charakters oder einer Geschmacksrichtung, welche ich bevorzugte.

Mein Wohnhaus befand sich auf dem Gipfel einer Anhöhe, von der aus man den viele hundert Fuß tiefer liegenden See überblicken konnte. Seine stillen Wasser kräuselten sich infolge magnetischer Strömungen, und die benachbarten Hügel spiegelten sich dazwischen in seiner ruhigen Tiefe. Jenseits des Sees erstreckte sich ein weites Tal. Wie man von der Spitze eines Berges herabblickt auf die niederen Hügel, das dunkle Tal und die Ebenen unten, so schaute ich jetzt von meinem neuen Heim herab auf das Panorama der niedrigeren Sphären und Kreise, welche ich durchschritten hatte, bis hinunter zum Erdenplane und zur Erde selbst, die wie ein Stern tief unter mir lag. Oftmals habe ich seitdem hier gesessen, und indem die Szenen meines vergangenen Lebens in langer Reihe an meinem Geiste vorüberzogen, trat immer wieder das Bild von ihr hervor, die mein Leitstern ist.

Der Raum, von dem ich diesen Blick auf die Erde hatte, war mein Musikzimmer. In ihm befanden sich Instrumente verschiedener Art. Blumen verzierten die Wände und weiche Draperien bekleideten die Fenster, die keines Glases bedurften, um den sanften Zephyr jenes wundervollen Landes abzuhalten. An einer der Wände hing das Bild meiner Geliebten, umrahmt von den schneeweißen Rosen, die mir immer als ein Symbol von ihr erschienen. Hier auch fanden sich alle meine kleinen Schätze wieder vor, welche ich in meinen dunkeln Tagen gesammelt hatte, als der Schatten der Nacht mich noch umgab. Eine Menge reizender Geisterblumen erfüllten mit ihrem Wohlgeruch das Zimmer. Die Ausstattung glich einer solchen auf der Erde, nur erschien sie in jeder Beziehung lichter, anmutiger und schöner.

Der nächste Raum war mit schönen Gemälden, liebreizenden Statuen und Tropenblumen ausgestattet. Er hatte viel mehr Ähnlichkeit mit einem Wintergarten als mit einem Zimmer. Ferner war da eine kleine Grotte mit einem Springbrunnen, dessen Wasser unter glitzerndem Funkeln sanft murmelnd eine Melodie raunten. - In der Nähe dieser Grotte befand sich ein Gemälde, welches Szenen aus meinem irdischen Leben darstellte. Vertraute Bilder, die beseligend auf mich wirkten und deren Erinnerung keinen Stachel in sich barg. Ferner befanden sich hier auch viele Bilder von meinen Freunden und von Szenen aus der geistigen Welt.

Die Aussicht von diesem Zimmer aus war eine andere als jene von meinem Musikzimmer. Sie gewährte einen Blick auf Lande, die noch weit über mir waren. Seine Türme und Berge erschienen in einem matten Nebel von durchsichtigem, bald regenbogenfarbigem, bald goldig-blauem oder weißem Dunste. Es war mir eine angenehme Abwechslung, bald die eine, bald die andere Aussicht zu genießen - den Blick von der klaren Vergangenheit zur Zukunft, die noch dunkel und verschleiert vor mir lag. In diesem Gemäldesalon war alles vorhandan, was das Auge entzücken und den Körper erfrischen konnte. Denn unsere Körper brauchen Ruhe, so gut wie die der Menschen auf Erden. Wir erfreuen uns der Erholung auf einem Ruhebette von Flaum, das wir uns durch eigene Arbeit verdient haben.

Ein weiterer Salon zum Empfang meiner Freunde befand sich nebenan. Hier wiederum waren, wie in der niedrigeren Sphäre, Tische mit einfachen, aber köstlichen Früchten, Kuchen und anderen Speisen - denen auf der Erde ähnlich, nur weniger materiell - zum Genusse aufgestellt. Auch der herrliche, funkelnde Wein der geistigen Welt, dessen ich früher schon Erwähnung getan, fehlte nicht. In einem anderen Zimmer dagegen befand sich eine Bibliothek, die Bücher über mein Leben und das Leben solcher, die ich bewunderte oder liebte, enthielt. Auch Bücher über viele andere Gegenstände waren vorhanden. Ihre besondere Eigentümlichkeit war, daß ihr Inhalt anstatt gedruckt zu sein, in Bildern dargestellt war. Diese gaben bei genauem Studium die Gedanken ihrer Verfasser auf beredtere Weise wieder, als es in Worten hätte geschehen können. Hier war auch Gelegenheit, die hohen Gedanken der Poeten und Geister der oberen Sphären zu empfangen.

Auch in meinem Schlafzimmer waren wie überall im Hause Blumen. Ich liebte diese sehr, denn sie sprachen zu mir von so vielen Dingen und schienen immer reine Gedanken in mir zu erwecken. Eine Terrasse umgab das Haus, während der Garten fast in den See hineinzuhängen schien. Von Farren und blühenden Sträuchern umgeben und nach hinten zu durch Bäume geschützt, lag eine Ecke mehr nach der Seite des Hauses zu und wurde bald mein Lieblingsplätzchen. Der Boden war mit einem Teppich von weichem, grünem Moos überzogen, wie es auf der Erde nicht zu finden ist. - Blumen blühten rings umher. Auf einer Bank ließ ich mich oft nieder, um auf die Erde hinabzuschauen und mir vorzustellen, wo meines Lieblings Heim wohl sei. Durch den Millionen von Meilen weiten Raum hindurch konnten meine Gedanken sie so erreichen wie die ihrigen jetzt auch mich. Denn das magnetische Band unserer Liebe stellte die Verbindung zwischen uns her, und keine Macht wird jemals imstande sein, uns voneinander zu trennen.

AIs ich alles gesehen und bewundert hatte, führten mich meine Freunde zum Hause zurück. Wir alle setzten uns nieder, um die Willkommensfeier zu begehen, die ihre Liebe für mich vorbereitet hatte. Was für ein fröhliches Fest das war! Heiter brachten wir das Wohlergehen und das Glück eines jeden aus und bekräftigten dann unsern Wunsch, indem wir von dem edlen Weine tranken, der keinen Rausch, keine Empfindung von Reue hinterließ. Köstlich waren auch diese Früchte, zahlreiche kleine Delikatessen, die ich alle der Liebe irgend jemandes verdankte. Es war mir, als ob ich in einem schönen Traume lebte, aus dem ich sicherlich erwachen müßte. Schließlich verließen mich meine Freunde mit Ausnahme meines Vaters und meiner Mutter; von diesen wurde ich nach den oberen Zimmern des Hauses geführt. Es waren drei an der Zahl. Zwei davon waren für Freunde bestimmt, die zu längerem Besuche kamen. Das dritte Gemach diente zu meinem eigenen Gebrauch. Es war mein Schlafzimmer, in welches ich mich zurückziehen konnte, wenn ich ausruhen wollte und keine andere Gesellschaft zu haben wünschte als meine eigenen Gedanken.

Als wir es betraten, war von der Einrichtung das Bett dasjenige Stück, das mehr als etwas anderes mich mit Bewunderung erfüllte. Der Überzug bestand aus schneeweißem, feinstem Gewebe, das mit Lila und Gold besetzt war. Am Fußende des Bettes befanden sich zwei Figuren von Engeln, aus blendendweißem Alabaster gehauen. Ihre Größe war bedeutend, denn ihre Köpfe und ausgebreiteten Flügel schienen fast die Decke zu berühren. Die Haltung dieser beiden Figuren war anmutig und graziös. Ihre Füße berührten kaum den Boden, und in ihrer vorgeneigten Stellung mit den halbausgespannten Schwingen riefen sie den Eindruck hervor, als ob sie gerade aus ihrer himmlischen Sphäre angekommen wären.

Es war eine männliche und eine weibliche Gestalt. Der Mann hatte einen Helm auf dem Haupte und hielt in der einen Hand ein Schwert, in der anderen eine Krone. Seine Formen trugen den Stempel reifer männlicher Schönheit und Grazie. Sein Antlitz mit den vollkommenen, regelmäßigen Zügen, von Festigkeit und Milde hatte für mich den Ausdruck einer königlichen Majestät, die geradezu göttlich war. Die weibliche Figur an seiner Seite war kleiner und zarter. Ihr Gesicht war voll edler, weicher, frauenhafter Reinheit und Schönheit, die Augen groß und von sanftem Ausdruck. Dis lockigen Haare reichten bis zu den Schultern herab, diese halb verhüllend. Die eine Hand hielt eine Harfe mit sieben Saiten, die andere lag auf der Schulter des männlichen Engels, als ob sie sich auf dessen Stärke stützen wollte. Der reizende Kopf, halb vorwärts gebeugt, ruhte auf ihrem Arme und trug eine Krone von weißen Lilien. Der Ausdruck ihres Gesichtes war von ausgesuchter Lieblichkeit und mütterlicher Zärtlichkeit. Haltung und Gebärde beider stellten die herrlichste Verkörperung himmlischer Schönheit dar, die mir je zu Gesicht gekommen ist.

Schließlich wendete ich mich mit der Frage an meinen Vater, wie diese liebreizenden Figuren in mein Zimmer gekommen und warum sie mit Flügeln dargestellt seien, da doch Engel in Wirklichkeit gar keine Flügel besäßen, die aus ihrem Körper wachsen.
"Mein Sohn", .antwortete er, "diese lieblichen Gestalten sind ein Geschenk von deiner Mutter und mir. Wir möchten gern, daß du unser gedenkst, wenn du unter ihren Schwingen ruhst. Denn letztere sollen in bildlicher Weise den Schutz darstellen, den wir dir stets gewähren. Die Figuren haben Flügel; weil diese das Symbol der Engelsphären sind. Es ist nicht so, als ob sie aus der Schulter wüchsen, wie man es auf den Engelsbildern irdischer Künstler dargestellt findet. Die Flügel drücken die Fähigkeit engelhafter Wesen aus, sich auf ihren Geistesschwingen in den Himmel selbst zu erheben. Der glänzende Helm und das Schwert bedeuten Kampf - der Helm den Kampf des Geistes gegen Irrtum und Finsternis - das Schwert den Kampf, den der Mensch mit seiner eigenen niederen Natur führen rnuß. Die Krone symbolisiert die Herrlichkeit der Tugend und Selbstbeherrschung.

Die Harfe in der Hand der Frau zeigt an, daß sie ein Engel aus der Sphäre der Musik ist, die Lilienkrone bezeichnet Reinheit und Liebe. Ihre Hand auf der Schulter des Mannes, deutet an, daß sie ihre Kraft von ihm und seiner stärkeren Natur empfängt, während Haltung und Miene, wie sie sich über dein Bett beugt, die zärtliche Liebe und den Schutz der weiblich-mütterlichen Natur bedeuten. Sie ist kleiner als der Mann, weil in dir die männlichen Elemente stärker vertreten sind als die weiblichen. Bei manchen Darstellungen von Engeln männlicher Seelen sind sie von gleicher Größe und Gestalt, weil in diesen Charakteren die männlichen und weiblichen Elemente in ähnlicher Weise und gleich stark vertreten sind. Aber bei dir ist das nicht so, deshalb stützt sich hier das Weib auf den Stärkeren.

Der männliche Engel versinnbildlicht Macht und Schutz, der weibliche Reinheit und Liebe. Zusammen bedeuten sie die eurige Doppelnatur der Seele und die Unvollkommenheit der einen Hälfte ohne die andere. Sie sind also eine symbolische Darstellung des Schutzengelpaares deiner Seele, dessen Schwingen stets zum Schutze über dir ausgebreitet sind."

Soll ich gestehen, daß es Zeiten gab, wo ich selbst in diesem schönen Heim mich einsam fühlte? Bis jetzt hatte ich niemanden, um es mit mir zu genießen; ich habe eine Freude stets doppelt empfunden, wenn jernand da war, der sie mit mir teilte. Die eine Gefährtin, nach der ich mich vor allem sehnte, lebte noch auf der Erde; ich wußte leider, daß sie sich noch für viele Jahre nicht mit mir verbinden konnte. Treufreund wohnte in einem Kreise der Sphäre über mir in seinem eigenen Heime, und was Hassein anbetrifft, so war er uns beiden weit voraus. Wenn ich auch ab und zu diese Freunde, sowie Vater und Mutter sah, so war doch niemand da, mein Leben mit mir als guter Kamerad zu teilen. Ich war oft auf der Erde, oft bei meinem Lieblinge - aber ich fand, daß ich bei meinem geistig vorgeschrittenen Zustande nicht so lange fortbleiben konnte als ich es gewünscht hätte. Der Aufenthalt in der unteren Sphäre hatte auf meinen Geist dieselbe Wirkung, als wenn ich gezwungen worden wäre, in einer Nebelatmosphäre oder in einem Kohlenbergwerk zu leben. Ich mußte häufiger zum Geisterlande zurückkehren, um mich zu erholen.

Oft saß ich in meinen schönen Zimmern und seufzte: "Ach hätte ich nur irgend jemanden, um mit ihm zu sprechen, irgend eine gleichgesinnte Seele, der ich all die Gedanken meines Geistes mitteilen könnte." Ein unerwarteter Besuch Treufreunds erfüllte mich daher mit höchster Freude, und gerne hörte ich die Mitteilung, welche er mir zu machen hatte.
"Ich komme," sagte er, "im Interesse eines Freundes, der soeben in diesen Kreis der Sphäre angelangt ist, der sich aber bis jetzt noch kein eigenes Heim verdient hat und deshalb nach einem Freunde sucht, der wohlhabender ist als er selbst. Er hat keine Verwandten hier, und ich dachte, seine Gesellschaft wäre dir vielleicht angenehm."

"Es würde mir wirklich zur Freude gereichen, mein Heim mit deinem Freunde zu teilen."
Treufreund lacht. "Er ist auch dein Freund, du kennst ihn. Es ist Benedetto."
"Benedetto!" rief ich verwundert und erfreut. "Ach! dann ist er mir doppelt willkommen. Bringe ihn her, so bald als möglich."
"Er ist schon hier - wollte nur nicht mit hereinkommen, bevor er sicher war, daß du wirklich erfreut bist, ihn willkommen zu heißen".
"Keiner könnte mir willkommener sein", sagte ich. "Laß uns sofort gehen und ihn hereinholen."

So gingen wir denn zur Türe, und da stand er. Sein Aussehen war sehr verschieden von dem, als ich ihn zuletzt in jener schrecklichen Stadt der niederen Sphäre sah - damals so niedergebeugt und gedrückt, jetzt so heiter; seine Kleider nun, wie die meinen, von reinstem Weiß. Wenn auch in seinem Gesichte noch Spuren von Trauer zu finden waren, so lagen doch Friede und Hoffnung in seinen Augen. Ich ergriff seine Hand und umarmte ihn. Wir, die wir beide so gesündigt und gelitten hatten, fanden uns nun auch in der Freude zusammen und waren fortan Brüder.

So kam es, daß mein Heim nicht mehr einsam war. Denn wenn einer von uns zurückkehrt von der Arbeit, so ist der andere da, ihn zu begrüßen, mit ihm Freude und Sorge zu teilen und Erfolg oder Mißerfolg mit ihm zu besprechen.

Die Wahrheit wiegt meistens schwer.

Linoma Offline




Beiträge: 1.500

14.08.2010 10:15
#5 RE: Magische Märchen Antworten

XXXIII

Einer Vision will ich Erwähnung tun, weil mir in ihr ein neuer Weg zu neuer Arbeit gezeigt wurde - einer Arbeit, bei der ich die Erfahrungen meiner Wanderungen zur Unterstützung anderer verwerten konnte.
Ich lag in meinem Zimmer und war soeben aus einem langen Schlaf erwacht. Wie oftmals betrachtete ich auch jetzt jene schönen Figuren, die Darstellungen meiner Schutzengel waren. Während ich ihre immer neuen Schönheiten und Züge bewunderte, fühlte ich, daß mein östlicher Führer Ahrinziman sich mit mir in Verbindung zu setzen wünschte. Ich verhielt mich daher ganz passiv und bemerkte bald, daß mich eine große Lichtwolke von glänzendweißer, nebeliger Beschaffenheit umgab. Die Wände des Zimmers entschwanden meinem Blick. Dann schien sich meine Seele vom Körper zu lösen und emporzuschweben, indem sie meine geistige Hülle auf dem Bette zurückließ.

Immer weiter aufwärts stieg ich, als ob mich der mächtige Wille rneines Führers zu ihm hinzöge. Mit dem Gefühle einer Erleichterung, wie ich sie selbst als Geist nie zuvor empfunden hatte, schwebte ich dahin. Auf dem Gipfel eines hohen Berges ließ ich mich schließlich nieder; von hier aus sah ich die Erde mit ihren niederen und höheren Sphären unter mir kreisen. Auch die Sphäre meiner jetzigen Heimat bemerkte ich, doch schien sie tief unterhalb der Höhe zu liegen, auf der ich stand.

Ahrinziman befand sich an meiner Seite, und wie im Traume hörte ich seine Stimme zu mir sprechen:
"Mein Sohn, siehe den Weg, auf dem ich dich einer neuen Tätigkeit zuführen möchte. Betrachte die Erde mit ihren zugehörigen Sphären und erkenne, wie wichtig für ihre Wohlfahrt das Werk ist, an dem du dich beteiligen sollst. Lerne jetzt den Wert der Macht schätzen, die du auf deiner Reise in die Reiche der Hölle erlangt hast. Denn sie befähigt dich, einer von jener großen Armee zu werden, die täglich und stündlich die Sterblichen vor den Angriffen der Höllenbewohner zu schützen hat. Schaue auf dieses Panorama der Sphären hinab und erfahre, wie du dieses Werk unterstützen kannst."

Ich wandte den Blick und sah den kreisenden Gürtel des großen Erdplanes mir seinen magnetischen Strömungen, die wie die Gezeiten des Ozeans, auf ihren Wellen Millionen und Millionen von Geistern trugen. Ich sah jene merkwürdigen elementaren Astralgebilde, von denen manche wunderlich, manche scheußlich, manche schön waren. Ich sah auch die erdgebundenen Geister von Männern und Frauen, welche durch Hang zu sinnlichen Freuden oder durch ein sündhaftes Leben noch gefesselt waren und sich der Körper von Sterblichen hedienten, um ihre lasterhaften Gelüste durch sie zu befriedigen. Diese und ähnliche Geheimnisse des Erdenplanes nahm ich wahr und bemerkte auch, wie aus den unteren Sphären Wellen mit dunkeln, schrecklichen Wesen heraufschlugen, die dem Menschen durch ihren Einfluß zehnmal tödlicher sind als die dunklen Geister der Erdsphäre.

Ich sah, wie sich diese Wesen um die Menschen scharten und sie dicht umdrängten; wo sie ihr Wesen trieben, erlosch das Licht der geistigen Sonne, deren Strahlen die Erde beständig treffen. Durch die dunklen Massen ihrer grausamen, schlechten Gedanken hielten sie jenes Licht ab, und wo diese Schatten über der Erde hingen, da wurde gemordet und geraubt. Grausamkeit, Laster und Bedrückung waren ihr Gefolge; Not, Tod und Sorge schlossen sich ihnen an. Wo ein Mensch den Mahnungen des Gewissens kein Gehör mehr schenkte und der Begierde und Selbstsucht, dem Hochmut und Ehrgeiz Raum gab, da häuften sich diese finstern Wesen und schlossen das Licht der Wahrheit durch ihre dunkeln Körper aus.

Ferner bemerkte ich viele Sterbliche, die um die Teuren klagten, die sie geliebt und verloren hatten. Sie vergossen bittere Tränen, weil sie ihrem Gesichtskreis entrückt waren. Dabei sah ich, wie die, um welche sie in Trauer waren, ihnen zur Seite die verzweifeltsten Anstrengungen machten, um zu beweisen, daß sie sich noch am Leben und in ihrer Nähe befänden. Doch ihre Bemühungen schienen alle vergebens. Die Lebenden vermochten nicht, sie zu sehen oder zu hören. Die armen, bekümmerten Geister hingegen konnten nicht in ihre glänzenden Sphären eingehen, weil sie, so lange ihre Hinterbliebenen um sie klagten, durch die Bande ihrer Trauer an die Erde gefesselt waren. Das Licht ihrer geistigen Lampen wurde matt und erlosch, während sie in hilflosem Kummer über der Erde schwebten.

Da fragte ich Ahrinziman: - "Gibt es denn hier kein Verständigungsmittel zwischen den beiden Parteien, den Lebendigen und den sogenannten Toten, damit die Sorgenbeladenen unter ihnen getröstet würden? - Und wäre nicht eine Verständigung vonnöten, damit diese sündigen und selbstsüchtigen Menschen auf die dunklen Wesen aufmerksam würden, die sich an sie herandrängen und ihre Seelen in die Hölle hinabzuziehen trachten?"

Nun gewahrte ich ein herrlich strahlendes Licht, das wie eine Sonne erglänzte. Kein Sterblicher auf Erden sah jemals die Sonne in solchem Glanze leuchten. Seine Strahlen zerteilten die Wolken der Finsternis und Sorge, und ich hörte eine himmlische Musik ertönen. Ich glaubte sicher, daß die Menschen diese Musik hören und dieses Licht sehen und getröstet sein müßten. Aber sie vermochten es nicht - ihre Ohren waren durch die falschen Vorstellungen verschlossen; Erdenstaub belastete ihren Geist und machte ihre Augen blind für das glorreiche Licht, das um sie herum schien.

Andere Sterbliche, deren geistiges Auge etwas geöffnet und deren Ohr nicht ganz taub war, sprachen, wie ich vernahm, von der geistigen Welt und ihren Schönheiten. Erhabene Ideen kamen ihnen zum Bewußtsein und sie übersetzten diese in die Sprache der Erde. Sie hörten herrliche Musik und versuchten, sie wiederzugeben. Sie hatten liebliche Visionen und suchten sie, so weit es die irdischen Mittel gestatteten, so zu malen, wie sie sie im Geiste geschaut hatten. Solche Sterbliche nannte man Genies. Ihre Worte, ihre Musik und Gemälde dienten dazu, des Menschen Seele Gott näherzubringen. Denn alles Höchste, Reinste und Beste kommt durch Inspiration von der geistigen Welt.

Doch trotz aller dieser Schönheit von Kunst, Musik und Dichtkunst, trotz aller Wärme religiösen Gefühls war noch kein Weg eröffnet, auf dem der Mensch mit seinen Lieben in Verbindung treten konnte, die ihm in das "Reich der Schatten" vorangegangen waren. Die Menschen glaubten nicht, daß eine Rückkehr möglich sei aus jenem Lande, das ihrer Meinung nach unbekannt und völlig in Dunkel gehüllt ist. Auch gab es kein Mittel, durch welches Geister, die dem Menschen zu einer höheren Erkenntnis der Wahrheit verhelfen wollten, direkt mit ihm verkehren konnten. Vorstellungen und Irrtümer der alten Lehren vermischten sich stets wieder mit den neueren und besseren Ideen, welche die geistige Welt zu geben suchte. Hierdurch wurden ihre Strahlen gebrochen, so daß sie das Bewußtsein des Menschen nur unvollkommen und verdunkelt erreichten.

Dann aber gewahrte ich, daß die Mauer zwischen Diesseits und Jenseits von vielen Toren durchbrochen war und an jedem Tore ein Engel stand, um es zu hüten. Der Engel war das oberste Glied einer Kette von Geistern, die von der Erde bis zu den höchsten Sphären hinaufreichte. In dieser Kette stand von unten herauf immer ein Geist auf einer höheren Stufe als der andere. Den Sterblichen der Erde wurden die Schlüssel zu jenen Toren gegeben, damit eine Verbindung zwischen ihnen und der geistigen Welt angebahnt werde.

Leider aber sah ich, daß sich viele von denen, welche den Schlüssel in Händen hielten, als untreu erwiesen. Sie ließen sich von den Freuden und Genüssen der Erde verführen, wendeten sich ab und schlossen ihre Türe. Andere wieder hielten ihre Türen nur teilweise geöffnet. Wo nur Licht und Wahrheit zum Vorschein kommen sollten, schlichen sich dann Irrtum Finsternis ein, und wiederum wurde das Licht aus der geistigen Welt getrübt, wenn es durch diese verdunkelten Tore schien. Noch trauriger aber war, wie im Laufe der Zeit das Licht ganz zu leuchten aufhörte und den unreinen Strahlen dunkler, betrügerischer Geister aus den untersten Sphären wich. Endlich schloß der Engel das Tor, um es auf Erden nie wieder zu öffnen.

Da wendete ich mich von diesem Anblick ab und gewahrte viele neue offene Türen, an welchen Sterbliche standen, deren Herzen rein und unberührt von den Gelüsten der Erde waren: Durch diese Türen strömte eine solche Flut von Licht auf die Erde, daß meine Augen geblendet waren und ich zur Seite blicken mußte. Als ich wieder aufschaute, sah ich, daß die Türen von Geistern bestürmt wurden - von schönen, glänzenden Geistern und auch von anderen in dunkler Kleidung, die wegen ihrer sündhaften Vergangenheit Reue empfanden und in deren Seelen der Wunsch nach Besserung lebte. Ferner bemerkte ich schöne und reine Geister, die bekümmert schienen, weil sie mit denen nicht mehr sprechen konnten, die sie auf Erden zurückgelassen hatten. Auch sorgenschwere und sündige Geister sah ich durch die neuen Verbindungswege mit der Erde getröstet und ermuntert. In den Herzen vieler Sterblicher aber war Freude, denn der dunkle Schleier des Todes war gelüftet und man empfing Botschaften von jenseits des Grabes.

Dann sah ich große Heere von Geistern aus den höheren Sphären an mir vorüberziehen. Ihre Kleider von reinstem Weiß und ihre Helme von Silber und Gold leuchteten in dem herrlichen Geisteslicht. Einige darunter schienen die Führer zu sein, welche die Arbeit der anderen überwachten. Ich fragte: "Wer sind diese, sind sie jemals sterbliche Menschen gewesen?"
Ahrinziman antwortete: "Nicht nur sterbliche Menschen, sondern viele unter ihnen waren auch große Sünder, die deshalb in jene Reiche der Hölle hinabsteigen mußten, die auch du besucht hast. Infolge ihrer tiefen Reue und ihrer zahlreichen Werke der Sühne sowie durch ihren vollkommenen Sieg über ihre niedere Natur sind sie jetzt Führer in den Heeren des Lichts geworden - starke Krieger, welche die Menschen vor den Bösen jener niederen Sphären schützen."

Von Zeit zu Zeit bemerkte ich dunkle Massen von Geistern, die gleich brandenden Meereswogen durch der Menschen schlechte Begierden und lüsterne Selbstsucht angezogen wurden. Durch die Heere der lichten Geister wurden sie aber verjagt, denn zwischen diesen beiden Parteien herrscht ein beständiger Kampf, dessen Preis des Menschen Seele ist. Diese widerstreitenden Kräfte hatten außer ihrem Willen keine Waffen. Sie bekämpften sich ausschließlich mit den abstoßenden Eigenschaften ihres Magnetismus, der seiner Natur nach so entgegengesetzt ist, daß sich niemand lange seinen Wirkungen aussetzen kann.

Ahrinziman bezeichnete mir eine Tür, an der eine Frau stand, und sagte: "Siehe, die Kette ist hier noch unvollständig, es bedarf noch eines Gliedes zwischen ihr und der Geisterkette. Gehe hinab und bilde dieses Glied. Deine Kraft wird sie schützen und stärken. Dadurch wirst du sie vor jenen dunklen Geistern bewahren und ihr helfen, die Tür offen zu halten. Deine Wanderungen in den tieferen Sphären haben dir die Macht gegeben, ihre Bewohner zurückzuweisen. Wenn es einer noch stärkeren Kraft bedarf, wird sie ihr zum Schutze gesandt werden. Die, welche eine Verbindung durch sie anstreben, werden dies nur tun können, wenn du sie für würdig hältst. So oft du in der geistigen Welt auszuruhen wünschst, wird ein anderer Leiter deine Stelle einnehmen. Nun blicke wieder auf die Erde und den Kampf, der in ihrer Umgebung tobt."

Bei diesen Worten Ahrinzimans schaute ich hinab und sah, wie schwarze Gewitterwolken über die Erde zogen und finstere Nacht verbreiteten. Ein Getöse wie von einem losbrechenden Sturm tönte aus den unteren Sphären der Hölle herauf, und gleich den Wogen des sturmgepeitschten Ozeans wälzten sich diese Wolken dunkler Wesen gegen das Heer der lichten Geister. Sie drängten diese zurück und ergossen sich über die Erde, als ob sie das Licht der Wahrheit auslöschen wollten. Alle Lichttore griffen sie an und suchten sie zu überwältigen. Dann wurde dieser Krieg in der geistigen Welt zu einem solchen unter den Menschen - eine Nation kämpfte mit der anderen um die Vorherrschaft. Es schien, als ob alle Völker von diesem ungeheuren Durst nach Reichtum und Macht verzehrt werden sollten, so allgemein war dieser Kampf. Ich blickte umher, um zu sehen, ob niemand aus den Reichen des Lichts herabsteige und den dunklen Geistern ihre Macht über die Erde entwinde. Die erhitzte Masse böser Geister wandte sich gegen jene Lichttore und suchte die getreuen Sterblichen hinwegzufegen, welche darin standen, damit der Mensch wieder in die Nacht der Unwissenheit zurückgetrieben werde.

Da gewahrte ich ein blendendes Licht, gleich einem Stern im Osten in seiner vollen Pracht. Immer weiter kam es herab und nahm stets an Größe zu, bis ich endlich bemerkte, daß es aus einer gewaltigen Schar strahlender Engel aus den himmlischen Sphären bestand. Bei ihrem Nahen sammelten sich alle reinen Geister, die durch die bösen Kräfte vertrieben worden waren, aufs neue und schlossen sich jenen himmlischen Kriegern an. Diese große Flut von Licht, diese mächtige Schar glänzender Geister glitt zur Erde nieder und umgab sie mit einem breiten Streifen herrlichen Lichts. Überall sah ich Lichtstrahlen gleich Speeren hinabsausen und die schwarze Masse an tausend Stellen durchdringen. Wie feurige Schwerter blitzten diese glänzenden Strahlen und hieben überall in die Mauer der dunklen Geister ein, sie in alle Windrichtungen zerstreuend. Vergebens versuchten deren Führer, ihre Streitkräfte wieder zu sammeln und anzufeuern. Eine größere Macht stand ihnen gegenüber, und sie wurden durch den Glanz dieser himmlischen Scharen zurückgeworfen, bis sie wie ein dunkler, ungesunder Nebel niedersanken und in jene finsteren Sphären zurückstürzten, aus denen sie gekommen waren.

"Wer", fragte ich wieder, "waren diese strahlenden Engel? Diese Krieger, die niemals wankten und jene gewaltigen Mächte des Bösen bezwangen; nicht durch das Schwert der Zerstörung, sondern durch die Kraft ihres starken Willens, durch die ewige Macht des Guten über das Böse?"
Die Antwort lautete: "Es sind die aus den dunkelsten Sphären Erlösten, welche vor vielen Zeitaltern ihre schuldbefleckten Kleider in den Wassern der Reue wuschen. Sie haben sich durch ihre eigenen Anstrengungen aus der Asche ihres toten Selbst zu Höherem emporgearbeitet. Nicht durch den Glauben an das Opfer eines unschuldigen Lebens für ihre Sünden, sondern durch jahrelanges ernstes Mühen - durch viele Taten der Sühne, durch Kummer und bittere Tränen - durch manche schwere Stunde des Ringens nach Überwindung des Bösen in sich selbst. Nun vermögen sie anderen, die noch sündigen, in der Überwindung des Bösen beizustehen. Es sind die Engel aus den himmlischen Sphären der Erde: einstmals selbst Menschen und daher befähigt, bei den Kämpfen der sündigen Menschen Mitleid zu empfinden. Es ist eine gewaltige Schar, stets stark und mächtig um zu schützen und zu retten."

Die Vision der Erde schwand. An ihrer Stelle gewahrte ich einen einsamen Stern, der über mir in reinem Silberlicht erglänzte. Sein Strahl glitt gleich einem Silberfaden zur Erde hinab in jenen Raum, wo meine Geliebte wohnte. Ahrinziman sprach zu mir:
"Siehe den Stern ihrer irdischen Bestimmung, wie klar und rein er leuchtet! Erfahre gleichzeitig, mein geliebter Schüler, daß jede erdgeborene Seele in den geistigen Himmeln einen solchen Stern hat, dessen Lauf sie von der Geburt bis zum Ende folgen muß, - es sei denn, daß sie durch Selbstmord den irdischen Lebensfaden abschneidet und sich durch eine solche Übertretung des Naturgesetzes in schweres Leiden stürzt."

"Glaubst du, daß das Schicksal einer jeden Seele festgelegt ist, und daß wir nur Strohhalme sind, die auf dem Strome ihrer Bestimmung dahineilen?"
"Nicht ganz. Die großen Ereignisse des Erdenlebens stehen zwar fest; wir werden ihnen unvermeidlich während unseres irdischen Daseins zur bestimmten Zeit begegnen. Es sind jene Vorkommnisse, welche nach Ansicht der weisen Hüter in den Engelssphären dazu dienen sollen, die Seele zu entwickeln und zu erziehen. Wie weit jedoch diese Ereignisse das Leben der Seele beeinflussen - ob sie der Wendepunkt zum Guten oder Bösen, zum Glück oder zum Unglück werden - hängt von der willensfreien Seele selbst ab. Dies ist das Vorrecht unseres freien Wollens, ohne das wir nur Puppen wären und unverantwortlich für unsere Handlungen. Weder einer Belohnung noch einer Bestrafung wären wir in solchem Falle wert.

Doch um auf den Stern zurückzukommen - merke dir: so lange der Sterbliche dem ihm bestimmten Pfade mit dem ernsten Bestreben folgt, in allen Dingen recht zu tun, - so lange seine Seele rein und seine Gedanken selbstlos sind, erstrahlt jener Stern in ungetrübtem Licht und erhellt den Lebensweg der Seele. Das Licht dieses Sternes kommt von der Seele selbst und ist der Abglanz ihrer Reinheit. Wenn die Seele aufhört rein zu sein und ihre niederen anstatt ihre höheren Eigenschaften entwickelt, verblaßt ihr Schicksalsstern und wird matt. Sein Licht flackert wie ein Irrlicht über einem dunklen Sumpf und er erscheint nicht mehr als ein heller Leuchtturm der Seele. Sinkt diese schließlich sehr tief, so erstirbt das Licht des Sterns und verlischt, um ihrem irdischen Lebenspfade nicht mehr zu leuchten.

Durch Beobachtung jener geistigen Sterne und Verfolgung ihres festgesetzten Laufes am geistigen Himmel ist es den Sehern möglich, das Schicksal einer jeden Seele vorherzusagen. Aus dem Lichte, das von dem Sterne ausgeht, vermögen sie zu bestimmen, ob eine Seele gut oder böse ist. - Lebewohl, mein Sohn, möge dein neues Arbeitsfeld dir schöne Früchte tragen."
Er verstummte, und ich schien tiefer und tiefer zu sinken, bis ich wieder meinen geistigen Körper erreichte, den ich auf dem Bette liegend verlassen hatte. Als ich wieder Besitz von dem Körper ergriff, erwachte ich und befand mich in meinem Zimmer, wo die schönen weißen Engel als Symbole ewiger Beschirmung und Liebe über mir schwebten.

Die Wahrheit wiegt meistens schwer.

Linoma Offline




Beiträge: 1.500

14.08.2010 10:16
#6 RE: Magische Märchen Antworten

XXXIV

Meine Aufgabe ist erledigt, meine Erzählung zu Ende. Es erübrigt mir nur noch die Erwartung auszusprechen, daß diese von allen meinen Lesern für das gehalten werden möchte, was sie zu sein bekennt: für die wahre Geschichte einer reuigen Seele, die aus der Finsternis zum Lichte emporgedrungen ist. Auch richte ich an alle Leser die Bitte, sich die Frage vorzulegen, ob es sich nicht lohnt, aus meinen Erfahrungen Vorteil zu ziehen und die Beweise für die Unsterblichkeit des Geistes genau abzuwägen. - Ihr, die ihr dieses Evangelium der Gnade vielleicht als zu milde für die Sünder erachtet, wißt ihr, was es heißt, die Qualen eines erwachten Gewissens zu erdulden? Habt ihr den Leidensweg bitterer Tränen und mühevoller Arbeit gesehen, auf dem die Seele emporsteigen muß, wenn sie zu Gott zurückkehren will? Habt ihr eine Ahnung, was es bedeutet, Sühne zu leisten - Schritt für Schritt, Jahre hindurch in Finsternis, Leid und bitterer Seelenqual für all die sündigen Handlungen, Worte und Gedanken während der irdischen Lebenszeit Buße zu tun? Denn ein jeder muß den Kelch, den er selbst gefüllt, bis zum letzten Tropfen leeren. Könnt ihr euch vorstellen, was es heißt, zu beobachten, wie der bittere Fluch eurer Sünden seine zerstörende Wirkung auch auf die Nachkommen ausübt, die ihr hinterlassen habt? Was es ferner heißt zu erfahren, welche Belastung es für euer Gewissen geworden ist, wenn ihr beigetragen habt, Menschen zu dem zu machen, was sie sind - Hemmnisse, die eure Seele, wenn sie sich zu erheben sucht, so lange zurückhalten, bis ihr ihnen aus dem Sumpfe wieder herausgeholfen habt, in den eure ungezähmten Leidenschaften sie gestürzt hatten! Versteht ihr jetzt, warum es erdgebundene Geister gibt, die noch auf dem Erdenplane arbeiten, obwohl sie vor Hunderten von Jahren starben?

Könnt ihr euch vorstellen, wie einem Geiste zumute sein muß, der jenseits des Grabes laut nach jenen ruft, die er zu ihrem und seinem Verderben verraten hatte? Und dann findet, daß alle Ohren für seine Worte taub, alle Herzen gegenüber aeinern Wehgeschrei und seiner Reue verschlossen sind? Er kann jetzt keine törichte oder rachsüchtige Handlung mehr ungeschehen machen. Er kann jetzt keine schmerzensreiche Folge abwenden, die er auf andere oder sich selbst heraufbeschworen hat. Eine schreckliche Mauer hat sich gebildet, ein großer Abgrund hat sich zwischen ihm und der Welt der lebenden Menschen aufgetan. Wenn nicht eine liebe Hand die Kluft für ihn überbrückt und ihm zu einem inneren Gespräch mit jenen verhilft, denen er Unrecht getan, so ist ihm das Bekenntnis seiner Schuld, ja selbst eine reuevolle späte Genugtuung versagt. Liegt nicht ein Bedürfnis vor, daß jene ihre Brüder warnen, die die Schwelle des Grabes überschritten? Sind die Menschen auf Erden so gut, daß sie keiner Stimme bedürfen, die ihnen vom Jenseits aus eine Vorahnung des Schicksals gibt, das sie nach dem Tode erwartet? Viel leichter ist es wohl für den Menschen, zu bereuen, so lange er noch auf Erden weilt, als zu warten, bis er in jenes Land kommt, wo er sich mit den Dingen der Erde nicht mehr befassen kann, außer durch den Organismus anderer. Jeder Geist hat hier zu arbeiten, bis er durch seine Anstrengungen alle, die er auf den Weg der Sünde und des Todes getrieben hatte, aufgerichtet und vorwärts gebracht hat. Nicht früher, als bis dies geschehen ist, kann ein Geist hoffen, den Erdenplan zu verlassen. Er muß stets bestrebt sein, die Wirkungen seiner einstigen Sünde wieder gut zu machen. - Will jemand behaupten, daß seine Strafe zu leicht war?

Wer aber kann sagen, an welchem Punkte Gottes Barmherzigkeit Halt machen und den Sünder für ewig verdammen müßte? Nur wenige wagen es, sich die schrecklichen Folgen des Irrglaubens an die ewige Dauer der Strafe eines irrenden Gotteskindes auszumalen. Ich habe in diesem Buche versucht, die wirklichen Erlebnisse eines Menschen zu schildern, welchen die Kirche wohl als eine verlorene Seele betrachtet haben würde, da er keiner Konfession angehörte und ohne einen auch nur schattenhaften Glauben an Gott gestorben war. Mein Gewissen hatte mir zwar stets zugeflüstert, daß es ein höchstes, göttliches Wesen geben müsse. Aber ich erstickte den Gedanken und wies ihn von mir, indem ich mir ein Gefühl der Sicherheit und Gleichgültigkeit vortäuschte. Obgleich ich nun erkannt habe, daß es einen göttlichen, allmächtigen Lenker des Universums geben muß, habe ich auf allen meinen Wanderungen niemals gehört, daß er auf eine Persönlichkeit beschränkt sei, deren Eigenschaften wir endlichen Geschöpfe feststellen könnten.

Im "Zeitalter des Glaubens" liefert die Mutter Kirche ihren Anhängern den Trost und die Hoffnung der Unsterblichkeit und nimmt ihrem Geiste die Last ab, selbst über eine erste Ursache nachzudenken, die dem Sterblichen seine eigene Existenz und sein Lebensziel erklärt. Dieser Glaube befriedigt noch das Verlangen seiner unvollkommen entwickelten Seele. Der Mensch glaubt ohne zu fragen. Hierauf folgt das Zeitalter, in dem das Denken zu seinem Rechte kommt. Im Unbefriedigtsein vom blinden Glauben an das Unbekannte, wenn die Muttermilch der Kirche nicht länger mehr seinen geistigen Hunger stillt, verlangt der Mensch nach einer kräftigeren Kost. Und wenn sie ihm vorenthalten wird, entreißt er sich der Fürsorge der Mutter Kirche, die ihn einst ernährte, jetzt aber nur das Wachstum und die Entfaltung seiner Seele hemmt. Des Menschen Verstand verlangt größere Freiheit, und er muß sie irgendwo finden. Im Kampfe zwischen dem selbständig werdenden Kind und der Mutter Kirche - welche die Macht, die sie seither ausübte, noch behalten möchte - wird der Glaube, der einst als Nahrung genügte, als eine Torheit angesehen. Daher gestaltet sich das Zeitalter des Verstandes zu einer Periode, in der eine Entwurzelung von allen früher gehegten Glaubensmeinungen stattfindet.

Dann aber bricht eine andere Zeit an, in der das Kind zum Mann herangereift ist. Dieser hat die Freuden und Sorgen des Verstandeslebens genossen und empfunden und hat dabei gelernt, die Beschränkungen seiner geistigen Fähigkeiten richtiger einzuschätzen. Er schaut zurück auf den Glauben, den er einst verachtete und erkennt an, daß auch er seine Schönheiten und seinen Wert besitzt. Er sieht ein, daß der Verstand für sich, des Glaubens beraubt, nur eine kalte, harte Speise ist, durch die er sich der Unermeßlichkeit und Unendlichkeit des Alls nicht bewußt wird - Geheimnisse, die der Verstand aus sich heraus nicht fähig ist zu erklären. Der Mensch kehrt zum Glauben zurück und sucht ihn mit seiner geistigen Erkenntnis in Einklang zu bringen, damit beide hinfort einander in vernünftiger Weise ergänzen mögen.

Glauben und Wissen sind die Zentren von zwei verschieden gearteten Sphären in der geistigen Welt. Der Glaube ist das belebende Prinzip von Religion, wie der Verstand das der Wissenschaft ist. Beide Richtungen, die auf den ersten Blick entgegengesetzt erscheinen, müssen bei der geistigen Entwicklung einer Persönlichkeit verbunden werden. Denn eine Seele kann nur harmonisch sein, wenn in ihr beide Faktoren im richtigen Verhältnis zueinander stehen. Wo die eine Richtung die andere in erheblichem Grade überwiegt, wird das betreffende Individuum - mag es ein Sterblidier oder ein entkörperter Geist sein - nach der einen oder anderen Seite hin engherzig und unfähig sein, ein richtiges Urteil übes geistige Probleme zu gewinnen. Seine Seele gleicht einem zweirädrigen
Wagen, an dessen Achse ein großes und ein kleines Rad angebracht ist. Infolge dieses Umstandes kommt keines der Räder recht vorwärts. So muß auch das geistige Fahrzeug haltmachen, bis der Fehler ausgebessert ist.

Ein Mensch mag durchaus gewissenhaft in seinem Streben nach Wahrheit sein. Wenn aber seine intellektuellen und moralischen Fähigkeiten nicht gleichmäßig entwickelt sind, gleicht sein Bewußtsein einer mit Massen von Irrtum gepflasterten Landstraße. Die ätherischen Strahlen des Sternes der Wahrheit können nicht eindringen, sie werden gebrochen und von den Hindernissen zurückgeworfen. Entweder erreichen sie des Menschen Seele überhaupt nicht oder sie rufen solche Zerrbilder der Wahrheit hervor, daß sie nur zur Quelle von Vorurteil und Irrtum werden. Wenn aber das Sehvermögen der Seele unvollkommen ist, verbleibt sie in geistiger Finsternis, so ernst ihr Verlangen nach Licht auch sein mag. Das geistige Sehvermögen muß entwickelt werden, bevor es klar und stark werden kann.

Blinder, unwissender Glaube ist kein Schutz gegen Irrtum. Die Geschichte der religiösen Verfolgungen zu allen Zeiten ist Beweis dafür. Die großen Geister der Erde, denen wichtige Entdeckungen und Erkenntnisse zu verdanken sind, waren Menschen, bei denen sich die moralischen und geistigen Fähigkeiten das Gleichgewicht hielten. Der vollkommene Mensch oder Engel wird diejenige Persönlichkeit sein, bei welcher alle Eigenschaften der Seele bis zu ihrem höchsten Punkte entwickelt sind.

Jede Eigenschaft der Seele, geistiger oder moralischer Natur, hat ihren entsprechenden Farbenstrahl. Die Verbindung dieser Strahlen erzeugt die schönen und mannigfaltigen Schattierungen des Regenbogens. Und ähnlich wie bei diesem gehen sie ineinander über und bilden das vollkommene Ganze des ungebrochenen Lichtes. Bei manchen Seelen geht die Entwicklung gewisser Fähigkeiten rascher vonstatten als die der anderen. Bei vielen liegen gewisse Saatkeime des Intellekts und der Moralität brach; aber sie sind trotz alledem da und werden entweder hier auf Erden schon oder in dem großen Jenseits wachsen und sich zur Vollkommenheit entfalten.

Das Böse ensteht in gewissen Seelen durch das Versäumnis, ihre moralischen Eigenschaften zu entwickeln, und durch einseitige Überentwicklung anderer Eigenschaften. Seelen, die jetzt die unteren Sphären bewohnen, durchlaufen nur einen notwendigen Erziehungsprozeß, um die schlafenden sittlichen Fähigkeiten zu tätigem Leben und Wachstum zu erwecken. So schrecklich die Übel und Leiden auch sein mögen, welche in diesem Prozeß auftreten, sind sie doch notwendig und in ihren letzten Wirkungen segensreich.

In der Sphäre, die ich jetzt bewohne, befindet sich ein prächtiger Palast, welcher der Brüderschaft zur Hoffnung gehört. Dieser ist der Versammlungsort für alle Mitglieder unserer Brüderschaft, und in ihm befindet sich ein schöner Saal, erbaut aus dem geistigen Teil von weißem Marmor. In ihm versammeln wir uns, um den Vorträgen zu lauschen, die uns vorgeschrittene Geister aus den höheren Sphären halten. Am oberen Ende des Saales befindet sich ein prächtiges Gemälde, genannt "der vollkommene Mensch". Darunter ist zu verstehen, daß es einen Menschen oder besser Engel darstellt, welcher verhältnismäßig vollkommen ist. Ich sage verhältnismäßig, weil selbst die äußerste Vollkommenheit, welche vorstellbar ist, nur relativ ist gegenüber den noch größeren Höhen, die für eine Seele stets erreichbar sind. Es gibt für die Seele keine Grenzen, die der Eroberung ihrer intellektuellen und moralischen Möglichkeiten ein Ziel setzen würden, denn das geistige Universum ist unendlich. Daher kann niemand einen Punkt bezeichnen, über den hinaus ein Fortschritt unmöglich ist.

Auf dem Bilde ist dieser relativ vollkommene Engel als auf dem Gipfel der hirnmlischen Sphären stehend dargestellt. Die Erde und ihre Sphären liegen tief unter ihm. Sein Antlitz ist mit einem Ausdruck von Verwunderung, Entzücken und Ehrfurcht jenen weit entfernten Regionen zugewendet, die zu fassen über die Macht des menschlichen Verstandes hinausgeht: Regionen, die jenseits unseres Sonnensystems liegen und für den Engel das "gelobte Land" bedeuten.

Sein Haupt ist mit einem goldenen Helm bedeckt, was geistige Stärke und Macht bezeichnet. An einem Arme trägt er einen silbernen Schild als Sinnbild für den Schutz, den der Glaube gewährt. Das Gewand von blendendem Weiß deutet die Reinheit seiner Seele an, während die weit ausgespannten Schwingen die Macht des Geistes symbolisieren, sich in die höchsten Gedankenregionen des Universums zu erheben. Hinter dem Engel befindet sich eine weiße Wolke, die von einem Regenbogen überspannt ist. Jede Farbe und Schattierung erglänzt in vollkommener Harmonie und zeigt dadurch an, daß der Engel alle intellektuellen und moralischen Eigenschaften seiner Seele in höchstem Grade entwickelt hat.

Das reiche Kolorit dieses Gemäldes, die Reinheit des blendenden Weiß, den Glanz seiner leuchtenden Farben kann keine Feder schildern, kein irdischer Pinsel jemals malen. Vervielfältigungen dieses Gemäldes kann man im höchsten Kreise einer jeden Erdsphäre in den der Brüderschaft zur Hoffnung gehörigen Schulen sehen. Sie beweisen den Zusammenhang zwischen unserer Brüderschaft und den himmlischen Sphären des Sonnensystems und zeigen ferner, zu welchen Höhen wir alle in künftigen Zeitaltern der Ewigkeiten steigen können. Ja, selbst der herabgekommenste Bruder aus der untersten Sphäre der Erde und die verkommenste Seele, die dort in Finsternis und unaussprechlicher Sünde kämpft, sind nicht ausgeschlossen. Denn alle Seelen sind vor Gott gleich, und was einer Seele zugänglich ist, ist auch allen anderen zugänglich, wenn sie nur ernstlich darnach streben.

Dies also ist das Wissen, das ich mir erworben, dies der Glaube, zu dem ich gekommen bin, seit ich vom Erdenleben schied. Keinesfalls aber habe ich jemals die Beobachtung gemacht, daß irgend ein Glaube vor einem anderen die Eigentümlichkeit besäße, den Fortschritt einer Seele besonders zu fördern oder zu hemmen. Jedoch bekunden einige Bekenntnisse die Neigung, die Vernunft ihrer Anhänger zu beherrschen. Soweit sie dies tun, sind sie Hindernisse, da ihre Gläubigen nicht imstande sind, sich jene Gedankenfreiheit zu erwerben, die zum Aufstieg der Seele in die höchsten Sphären unumgänglich nötig ist.

Diese Geschichte meiner Wanderungen habe ich in der Hoffnung geschrieben, daß wenigstens einige Leser es der Mühe wert erachten, sich zu fragen, ob ihr Inhalt nicht doch wahr und zutreffend sein sollte. Andere wieder, die liebe Angehörige verloren, die sich bei ihrem Tode nicht auf dem Wege zum Guten und Wahren befanden, möchte ich bitten, Vertrauen zu haben. Mögen sie glauben, daß ihre geliebten, wenn auch irrenden Freunde nicht hoffnungslos verloren sind! Auch die nicht, welche Hand an sich gelegt haben oder unter Umständen gestorben sind, die alle Hoffnung auszuschließen scheinen. Ich wünschte auch, daß man sich die Frage vorlege, ob nicht Mitleid und Gebet jenen Hilfe und Trost gewähren können, die aller im Bereich der Möglichkeit liegenden Unterstützung und Aufmunterung bedürfen.

Von meinem Heim im "Klarlande" aus, das meiner Heimat so sehr gleicht, begebe ich mich noch immer auf den Erdenplan, um unter den Unglücklichen zu wirken. Auch helfe ich, das große Werk der geistigen Verbindung zwischen den Lebenden auf Erden und den sogenannten Toten weiter zu führen. Täglich verbringe ich einige Zeit bei meiner Geliebten und vermag ihr auf mannigfache Weise zu helfen und sie zu schützen. Oft auch werde ich in meinem Heim im Geisterreiche durch Besuche meiner Freunde und Wandergefährten erfreut. Und hier in diesem herrlichen Lande, das so viele freundliche Erinnerungen für mich birgt, erwarte ich dankbaren Herzens jene glückliche Zeit, da meines Lieblings irdische Pilgerfahrt beendet, ihr Lebenslicht erloschen und ihr Erdenstern untergangen sein wird. Dann wird sie kommen, und wir werden in einem Lande, wo uns immer die Sterne der Hoffnung und Liebe leuchten, verbunden sein für ewig, ewig . . .

Die Wahrheit wiegt meistens schwer.

 Sprung  
Xobor Forum Software ©Xobor.de | Forum erstellen
Datenschutz