Geb und Nut zeugten Osiris und Seth. Osiris erhielt aus den Händen seines Vaters das Königtum über das fruchtbare Land, denn er erwies sich als tüchtig und klug.
Seth erhielt das Königtum über das andere Land. Als Königszeichen trug Osiris Geißel und Krummstab, denn er war ein Freund der Hirten und Herden. Seth war ein Freund der Jäger. Zwischen beiden Brüder entstand ein Streit um das fruchtbare Land. Sie griffen nach ihren Schwertern um ihren Streit auszutragen. Osiris unterlag Seth, der ihn erschlug und im Dickicht verbarg.
Als Osiris nicht nach Hause zurückkehrte, begab sich seine Schwester und Gattin Isis auf die Suche, gemeinsam mit ihrer Schwester Nephthys. Auch die Vögel und Fische rief Isis an, bei der Suche zu helfen, denn es war schwer das Dickicht zu durchqueren. Als sie ihn endlich gefunden hatten, erhoben sie eine große Klage.
Der Mythos von Osiris und Seth wird auch in abgewandelten Formen erzählt. Andere Texte beschreiben, dass Osiris den Neid des Seth hervorrief, weil er die Ägypter im Anbau der Feldfrüchte unterwies, ihnen Gesetze gab, sie die Weidewirtschaft lehrte und die Verehrung der Götter regelte. Dadurch wandten sich die Herzen der Bewohner von beiden Ländern dem Osiris zu. Auch unterwies er sie in den Künsten und bescherte ihnen ein friedliches Dasein.
Seth überlegte sich, wie er sich seines Bruders entledigen kann. Er zettelte eine Verschwörung an. Er verbündete sich mit den zweiundsiebzig Ältesten aus dem Kreise der Götter und der Königin Aso aus Nubien. Er lud alle, auch seinen Bruder, zu einem großen Mal ein. Nachdem alle gegessen und getrunken hatten, führte Seth seine Gäste zu einem prunkvollen Schrein.
Alle stiegen nacheinander in den Schrein, um festzustellen, wer ihn am besten ausfüllen kann. Zuvor hatte Seth heimlich von Osiris Maß genommen und den Schrein genau auf dessen Größe anfertigen lassen. Als Osiris nun in den Schrein stieg, schlugen die Verschwörer den Deckel zu und versiegelten den Schrein mit Blei.
Den Schrein, der nun ein Sarg geworden war, versenkten sie im Meer, denn das Wasser war Seth gehorsam. Isis und Nephthys machten sich auf, Osiris zu suchen. Seth ergriff hingegen die königlichen Insignien und herrschte an Osiris Statt.
Der ägyptische Gott Osiris ist einer der bekanntesten Götter. Insbesondere als Gott der Unterwelt, des Totenreiches und damit der Ewigkeit, verschaffte er sich hohes Ansehen. Seiner späteren Funktion als Totengott habe ich ein eigenes Kapitel gewidmet: Osiris - Herr über das Totenreich.
Der weltliche Herrscher
Osiris wurde zu Beginn seiner Laufbahn eher als irdisches und königliches Erbe Ägyptens eingesetzt. Er schien ein sehr guter Herrscher zu sein.
Er verhalf den Menschen zu Wohlstand und sittlichem Handeln, lehrte Acker- und Weinbau, erließ Gesetze und war für den Gottesdienst verantwortlich. Seine Schwester und Gemahlin, Isis, stand ihm helfend zur Seite.
Die Bedeutung seines Namens ist nicht gesichert. Eine mögliche Richtung, ihn als die "Stätte des Auges" zu übersetzen, ist womöglich eine Anspielung auf "dass man ihn gerne sieht".
Denn sein Wesen gleicht einem Heroen, der auch heute immer noch bekannt und beliebt ist.
Osiris hielt Einzug in die Neunheit der Götter. Seine Eltern sind Geb und Nut. Neben seiner Schwester-Gemahlin, Isis, hatte er zwei weitere Geschwister: Seth und Nephthys.
Herr des Fruchtlandes
Ein weiterer, ihm bleibender Wesenszug: Osiris galt als Herr des Fruchtlandes. Das dürfte sich aus seiner familiären Beziehung zu Geb, der Erde erklären. Mit ihr bleibt er auch als Totengott eng verbunden.
Mit der Erde verknüpften die Ägypter das Wasser, denn wenn der Nil an schwillt, hinterlässt er fruchtbare und schwarze Erde. Erst das Wasser macht die Erde fruchtbar und bereit für die Entstehung von Leben. In diesem Sinne gab man ihm viele Namen:
"Der großen Schwarze", seine Beziehung zur schwarzen Schlamm-Erde des Nils, "Der große Grüne", mit Fruchtbarkeit korrespondierend, "Ausfluss des Osiris", eine Bezeichnung des Nils und Identifikation Osiris mit dem Nil, "Herr des Weines im Überfluss", auf Wachstum und üppige Ernte hindeutend.
Bildliche Darstellungen des Osiris
Osiris wird meist menschlich abgebildet mit weltlichen Symbolen seiner Königsherrschaft. Allerdings scheint gesichert, dass er diese vom Gott Anezti (aus Busiris) übernahm, mit dem er verschmolz. Als übernommene Abzeichen gelten: Geißel, Krumm-Stab und die Federn, welche seine Krone umrahmen.
Mit Ausnahme seiner Arme und des Kopfes wirkt die Form seines Körper oft undifferenziert. Womöglich soll sie auf den Körper einer Mumie hindeuten, die umwickelt, ebenfalls nur Umrisse erkennen lässt. Zu dieser Deutung passt die Farbe Weiß als Farbe der Mumien-Binden.
Seltener wurde Osiris als gehender Mensch dargestellt. In solchen Fällen ist seine Hautfarbe manchmal grün oder schwarz. Das soll auf seinen Aspekt der Natur bzw. auf die fruchtbare schwarze Erde deuten, nicht auf seine Funktion als Gott des Totenreiches. Der ägyptische Gott Osiris ist, bevor er Herr über die Unterwelt wurde, ein weltlicher Herrscher gewesen. Er sorgte für Wohlstand und sittliches Handeln. Deshalb wurde er auch als Gott des Fruchtlandes bezeichnet. Diesem Aspekt Osiris habe ich ein eigenes Kapitel gewidmet: Osiris - weltlicher Herrscher.
Herr über das Totenreich
Der wohl bekannteste Wesenszug von Osiris dürfte seine Herrschaft über das Reich der Toten sein. Er wurde durch seinen Bruder Seth aus dem königlichen Leben gerissen, zerstückelt und über das ganze Land verstreut.
Nachdem ihn Isis und seine Schwester Nephthys gesucht, gefunden und zusammen gesetzt hatten, konnte er wieder belebt werden.
Es gibt abgewandelte Versionen des hier, nur kurz angedeuteten Mythos. Ihnen allen ist aber gemein: Osiris steht mithilfe seiner Schwestern von den Toten wieder auf und wird zum Gott und Herrscher über das Reich der Toten. Des weiteren zeugt er nach seiner Auferstehung mit Isis seinen Sohn Horus, der sich im Kampf gegen Seth behauptet und damit sein weltliches Erbe antritt.
Richter über das Totengericht
Bevor Osiris seine Herrschaft antreten kann, kommt er vor das Göttergericht in der Fürstenhalle von Heliopolis (On). Dort wird ihm, nicht Seth, Recht zugesprochen und erst dann ist sein weiteres Leben gerechtfertigt.
Deshalb wird im Totengericht, wo sich jeder für sein Leben zu verantworten hat, der Verstorbene selbst zu Osiris, wenn er sich rechtfertigen kann. Gerechtfertigt und damit unsterblich ist der, dessen Herz nicht schwerer als die Feder der Maat ist. Der Tote, der diese Prüfung besteht, führt den Titel: "... der Gerechtfertigte".
Ist das Herz jedoch schwerer als die Feder der Maat, so findet das Leben auf ewig ein Ende. Die Verschlingerin nährt sich von zu schweren Herzen. Osiris wurde zum obersten Richter über das Totengericht.
Als Herrscher der Unterwelt ist Osiris auch die Nachtsonne, die ihren Lauf durch die Unterwelt nimmt. Ebenso der Mond wird, als nächtliche Sonne, mit ihm identifiziert. Damit entsteht eine enge Verbindung zu Re selbst. Beide ergänzen sich und bilden zusammen eine Art Doppelseele.
Zyklus von Werden und Vergehen
Überblickt man das Leben des Osiris, so fällt folgendes auf: Osiris ist zwar göttlicher Herkunft, aber seine Herrschaft und sein Wirken erscheinen eher menschlich. Wie ein Mensch stirbt er, um dann wieder auf zuerstehen. Doch dadurch kann er seine Herrschaft in der Welt der Menschen nicht weiterführen.
Er herrscht nun über das Reich der Toten.
Eine Parallele aus dem Leben des Osiris lässt sich aufgrund seiner engen Verbundenheit zur Natur weiter verfolgen: Die Natur ist Werden, Reifen, Vergehen und wieder Neu-werden.
D.h. die Stationen seines Lebensweges können als Zyklus gedeutet werden, wobei sich das Neu-werden einerseits auf Osiris selbst bezieht, das Leben im Totenreich. Andererseits verweist es auf seinen Sohn Horus, der das Erbe des Vaters antritt.
Möglicherweise hat erst die Aufnahme von Osiris in die Neunheit diese enge kosmische Verbundenheit zur Natur noch deutlicher hervortreten lassen.
Der ägyptische Gott Seth dürfte zu den interessantesten Göttern Ägyptens gehören. Sein Wesen ist zwielichtig, sein Werdegang turbulent. Vermutlich war die Haltung der alten Ägypter ihm gegenüber nicht eindeutig fest gelegt.
Um den verschiedenen Aspekten seines Wesens gerecht zu werden, habe ich drei weitere Kapitel angelegt. Sie sollen auch der besseren Übersicht dienen:
Seth wurde durch ein Tier dargestellt, dessen Herkunft bis heute ungeklärt ist. Eine weitere Darstellung zeigt ihn in menschlicher Gestalt mit dem Kopf dieses Tieres. Es lässt sich keiner Tier-Gattung eindeutig zuordnen.
Sein schlanker Körper ähnelt dem Körper eines Windhundes. Seine Schnauze ist länglich und leicht nach unten gebogen. Seine länglichen und eckig-gestutzten Ohren stehen aufrecht, ebenso sein Schwanz, der einer Pfeil-Spitze ähnelt und senkrecht nach oben zeigt.
Dieses Tier muss relativ früh ausgestorben sein. Auch die alten Ägypter hatten unterschiedliche Deutungen dazu, von denen jedoch keine sicher schien.
Das Sethtier ist auf Jagdbildern (Mittleres Reich) zu sehen. Sein Name ist Scha. Seine Heimat ist die Wüste.
Andere Tiere wurden Seth später zugeordnet, allerdings nur nachrangig. Der Esel wird mit Seth noch am engsten verknüpft. Des weiteren: die Antilope, Gazelle, das Krokodil, Nilpferd und Schwein. Das verbindende Merkmal dieser Tiere besteht darin, dass sie kein hohes Ansehen bei den Ägyptern besaßen. Das Schwein z.B. galt als unrein und durfte nicht in die Nähe der Tempel gebracht werden. Der Esel mühte sich als Lasttier ab.
Gott der Kraft
Die meisten Texte heutzutage, die Seth beschreiben, schildern ihn als einen bösen Gott. Er wurde von den alten Ägyptern zunehmend angefeindet und abgedrängt. Wir werden weiter unten zu einer etwas bewertungsfreieren Sichtweise gelangen.
Was jedoch sicher ist: Seth bleibt auf eine gewisse Weise nicht bestimmbar. Das lässt sich aus seinem Wesen erklären. Häufige Beiworte beschreiben ihn als einen starken Gott, "groß an Kraft".
Seine Kraft entlädt sich im Kampf und in Naturgewalten: "Seth wütet". Seine Kraft zeigt sich nicht nur "körperlich", sondern er gilt als jemand der reich an Zauberkraft wirkt.
Gott im Prozess der Neuordnung
Seth wurde mit Typhon (bzw. Apophis) gleichgesetzt, mit der furchtbaren Kraft und dem schrecklichen Gebrüll. Seine Gewalt wurde weiterhin angerufen, um zu zerstören. Er wurde aufgefordert "wider Recht und Unrecht zu handeln". Seth ist ein Gott, der sich trotz aller gegen ihn gerichteten Gewalt wieder erhebt. Er kann nicht getötet werden.
Um eine bestehende Ordnung zu verändern, muss sie zerstört werden. Auch dafür steht Seth. Er wird also dazu aufgerufen, außerhalb von Recht und Unrecht zu handeln.
Gesetze müssen sich ändern, Ordnungen sich neu strukturieren, um den veränderten Lebensbedingungen der Menschen angepasst zu werden.
Daher wird Seth niemals sterben, denn er ist auch als chaotische und zerstörerische Kraft notwendig für das weitere Fortbestehen der Welt.
Gott der Wüste
Seth ist der ägyptische Gott der Wüste. Das passt zum Charakter seines Tieres (siehe Seth - Gott der Kraft), wie auch zu den Orten, wo er verehrt wurde. Seth galt als Schutzgott der Wüste, der Wanderer vor Unheil bewahrt.
Dennoch war Seth in gewissem Sinne die Wüste selbst. Er war der Herr der dunklen Gewalten, Herr der Gewitter-Stürme, allgemeiner: der Unwetter. Doch wer das Unwetter erzeugt, der kann es auch bannen.
Hier zeigte sich womöglich eine Vorsicht der Ägypter, denn Seth's Wüten kann verheerende Folgen haben. Eine andere mögliche Interpretation mag vielleicht darin bestanden haben, dass die Ägypter die Unwetter als Nieder-ringen anderer und fremdartig böser Mächten interpretierten.
Das Wesen von Seth ist also nicht eindeutig böse.
Herr des Lebens
Auf einigen Darstellung kämpft Seth vor der Sonnenbarke mit Apophis, der Schlange, ein eindrucksvoller Kämpfer, der alles tötet, was sich ihm in den Weg stellt. Damit rettet er Re. Er erhielt die Auszeichnung: "Herr des Lebens". Seth zeigte sich als nicht besiegbar und gnadenlos. Man machte sich ihn lieber nicht zum Feind, besser noch: man fürchtet ihn.
Herr der Barbaren
Seth ist als Gott der Wüste auch Herr der Barbaren, die in ihr wohnen. Da die Wüste zum Ausland gehört, wird Seth der Gott aller Fremdvölker. Das ist nicht notwendig negativ zu verstehen, denn Seth als ägyptischer Gott zwingt die Fremdvölker vor dem König in die Knie.
Was passierte, als die Fremdvölker in Ägypten einfielen?
Vielleicht ist spätestens hier ein Schatten zu sehen, der sich über Seth's Ansehen warf. Ägypten stand eine zeit-lang unter der Fremdherrschaft von Hyksos. In deren Gott Baal entdeckten die Ägypter Seth wieder, der demzufolge schon weit zuvor dort als Gott gelten musste. Baal wurde mit Seth gleich gesetzt. Die Verbindung von Seth mit dem Ausland wurde immer enger.
Um diesen Aspekt zu betonen, wird Seth menschlich dargestellt mit einem Paar Hörner auf der ober-ägyptischen Krone. Sein Leib ist geschmückt mit bunten, fremdartigen Zeichen, Bändern und Schurz. Ein Band fällt von der Krone ausgehend lang über seinen Rücken herab und berührt fast den Boden.
Immer noch wird Seth nicht "verfolgt", auch als die Hyksos vertrieben wurden.