Mit dem Einschlafen verschwindet unser ganzes Sein mit seinen Existenzformen wie hinter einer unsichtbaren Falltür. Wenn wir schlafen, erwachen wir zu einer anderen Daseinsform. Es ist, als ob wir im Schlaf das grosse Reservoir von Erfahrungen und Erinnerungen anzapften, von dessen Existenz wir tagsüber nichts wissen. Denn wir tragen den Keim höheren Lebens schon in uns, und er schimmert dann hervor, wenn das wache Bewusstsein ausgeschaltet ist. Im Laufe der Nacht stellen wir uns auf uns selbst ein und fangen an zu mythologisieren. Hier beginnt das eigentliche Spiel unserer Psyche.
Heraklit sagte, die Wachen haben eine und eine gemeinsame Welt, aber im Schlaf wendet sich ein jeder ab von ihr und seiner eigenen zu. Diese eigene ist unsere Traumwelt, wo wir ganz für uns allein, mit uns allein sind, sozusagen in einer Ursprungssituation, einer mythologischen Situation. Unsere Traumereignisse sind nämlich kosmogonischer Natur.
Der Traum ist also Zugang zu einer höheren Wirklichkeit. Er ermöglicht ein tieferes Erleben. Wir sind im Traum auch viel weiser, viel einsichtsvoller als im Wachsein. Schon Paracelsus bemerkte, dass das, was der Traum zeigt, der Schatten jener Weisheit ist, die in uns existiert, auch wenn wir im Wachzustand nichts davon wissen.
Es steht uns in den Träumen eine ganze Erlebniswelt zur Verfügung, die uns in unbekannte Länder und Gegenden, zu merkwürdigen und spannenden Begegnungen, zu ganz unbekannten Bereichen und in märchenhafte und mystische Welten führt. Der Traumzustand ist reicher als der Bewusstseinszustand. Die große, die ganze Welt, das All öffnet sich uns als Träumende. Träume sind kosmisch.
Den stärksten Eindruck machen dabei diejenigen Träume, die aus unseren tiefsten seelischen Schichten stammen und in faszinierenden Bildern allgemein menschliche Probleme zur Darstellung bringen. Die Träume, an die Grenze des Realen gelangt, rufen unsere Einbildungskraft auf, die Grenze zu durchbrechen, vorzustoßen in die "zweite Welt", in das Unsichtbare und Unerhörte, in das Reich, von dem wir wissen, daß es da ist, aus dem Signale zu uns dringen, in dessen Strahlungen wir leben.
Ein erster Schritt unserer Erkundung des Ursprungs der Träume führt beginnt im Reich des Unbewussten.
Die gesamte Welt unseres innersten geistigen Daseins ruht auf dem Bewusstlosen und arbeitet sich daraus hervor. Das psychische Leben verläuft unter den Gesetzen unsichtbar-leitender Formkräfte.Der Schlüssel zur Kenntnis des bewussten Seelenlebens liegt in der Region des Unbewussten. Aus dieser geheimnisvollen Welt stammen unsere Träume, deren Tiefen wir wohl nie ganz werden ausloten können. Träume sind Botschaften aus jenem Teil von uns, mit dem wir gewöhnlich keine Verbindung haben. Sie sind Offenbarungen unseres Innenlebens aus dem Unbewussten, psychisches Leben aus den Tiefen unserer Persönlichkeit, Tiefen, in die wir nicht bewusst hinabreichen. In dieser Schicht liegt eine starke Wurzel unserer Kreativität, die wir dann für uns fruchtbar machen können, wenn wir in der Lage sind, seine Bilder aus unserem Inneren zu beachten, sie intuitiv richtig zu verstehen und sie umzusetzen.
Träume sind eine Pforte zum Ursprung, zum Urgrund des Lebens. Sie bringen uns mit unbewusster Dynamik in Berührung. Seine Bilder und Motive gehen daraus hervor. Auch die Verbindung mit den dunklen Mächten geschieht in ihnen. Die Träume, die aus diesem Unbewußten kommen, zeugen sogar von einer überlegenen archaischen Intelligenz. Es ist, als ob ein zeitloser Geist dort zu uns spräche, wie wenn ein Hauch aus der großen Welt der Gestirne und der endlosen Räume uns berührte oder einer, der längst vergangen und doch immerwährend bis in ferne Zukunft im Zeitlosen gegenwärtig wäre.
C.G.Jung betrachtete das Träumen als einen der Wege, auf welchen wir das Geheimnis unseres Lebens und den Sinn unserer Existenz ergründen können. Er nimmt an, daß in einer tieferen Schicht der Psyche als dem persönlichen Unbewußten ein anderer Teil des Unbewußten liegt, der die uns allen gemeinsamen Elemente beinhaltet, das universelle psychische Erbe der menschlichen Rasse. Im kollektiven Unbewußten befindet sich nach ihm die Weisheit, die angesammelte Geschichte, unsere gemeinsamen Anlagen, die Quellen unserer höchsten Bestrebungen. Dieser Teil der Psyche befaßt sich mit dem Fundamentalen der Existenz, mit Geburt, Leben und Tod, den Konflikten des Heranwachsens zu reifer Unabhängigkeit (Individuation), Hunger und Heldentum, Heirat und Mord. Wir alle können solche unbeschreiblichen Erfahrungen durch Träume in symbolischer Form ausdrücken. Diese uns allen gemeinsamen Symbolformen haben große Kraft und vermögen Bilder zu beschwören, die über die der Sprache gesetzten Grenzen hinausgehen. C.G. Jung nannte diese universellen Symbole Archetypen. Sie spielen bei der Bildung unserer Träume eine wichtige Rolle.
In den unbekannten Regionen der Seele, aus denen unsere Träume aufwallen, befindet sich die Quelle wahrer Individualität, die Kräfte, die unser Heranreifen zur Selbstverwirklichung bestimmen. Diese archaisch-psychischen Regionen tendieren zur Integration, zur Erfüllung der ursprünglichen Aussichten unserer ganzen Persönlichkeit.
Sehr viele unserer Traumbilder sind also nicht individueller, sondern kollektiver Natur. Sie enthalten immer ein Stück Mythologie. Zum Verständnis dieser Träume ist ein positives Wissen notwendig. Voraussetzung einer gründlichen Traumdeutung ist daher die Kenntnis der Symbole und mythologischen Motive. Aus der Schicht dieses kollektiven Unbewussten kommen auch die großen, bedeutsamen Träume, die C.G. Jung die archetypischen Träume nannte. Die Fülle der grossen Bilder in den Träumen, das Auftauchen seelischer Gewalten in immer neuer Abwandlung sind archetypischer Natur. Unter den Archetypen verstand er jene seelischen angeborenen Strukturanlagen oder Verhaltensmuster, die uns allen gemeinsam sind. Archetypen sind Urvorstellungen innerhalb der Psyche, die sich am deutlichsten in wichtigen Träumen und anderen visionären Erfahrungen zeigen. Sie verbinden uns mit der Dimension des Geistigen und der spirituellen Erfahrung. Archetypische Motive weisen auch auf noch nicht realisierte Entwicklungspotentiale hin. Die symbolischen Gebilde, die in diesen aussergewöhnlichen Träumen auftreten, enthalten allgemeine Ideen und haben meist einen mythologischen Charakter, der der kollektiven Geschichte des menschlichen Geistes entnommen ist. In besonders extremen Fällen können sie sogar einen Offenbarungscharakter haben und unser ganzes Leben verändern. Archetypische Träume bezeichnen die Naturvölker als orakelhaft, als von Gott gesandte Träume. Sie werden als Erleuchtung empfunden. Der Stoff, aus dem diese Träume sind, das sind die gleichen Bilder, aus denen die Mythen gemacht werden. Die Grossträume sind immer von schicksalhafter Bedeutung und symbolisieren Läuterung und Wandlung, Licht und Finsternis, Tod und Geburt im übertragenen geistig-seelischen Sinne. Sie bringen auch Inhalte zum Vorschein, die weder aus dem reifen Leben noch aus der vergessenen Kindheit stammen können. Sie sind Teil der archaischen Erbschaft, die wir schon als Kind, durch das Erleben der Ahnen beeinflusst, vor jeder eigenen Erfahrung mit uns auf die Welt bringen.
Ahnenträume beispielsweise dienen der Bewusstwerdung ererbter Lebensmöglichkeiten und -gefahren. Es begegnen uns in dieser Traumart Gestalten, die für uns Fremde sein können, die wir aber als eigene Vorfahren wiedererkennen oder als solche vielleicht ahnen. Sie können als Bruder, Schwester, als Freund, Gegenspieler, Verfolger usw. auftreten. Immer wird dabei deutlich, dass zwischen uns und diesen Gestalten eine wichtige Beziehung besteht: Sie sehen uns bedeutsam oder bedrohlich an, sprechen uns an, verfolgen uns, übergeben uns möglicherweise wichtige Botschaften. Ahnen-Träume machen deutlich, dass die in ihnen auftretenden Gestalten Grundmuster menschlichen Lebens verkörpern, Existenzformen, die in jedem individuellen Dasein realisiert werden können. Die besondere Art dieser Gestalten, ihre Prägnanz oder auch die Häufigkeit ihres Auftretens sagt dabei etwas über unsere ganz persönliche Musterung möglicher Lebens- und Schicksalsformen aus. Es begegnen uns in ihnen aber vorallem die uns angehenden Möglichkeiten wie Gefahren eigener Lebensgestaltung.
In unseren Träumen kommunizieren wir auch mit unserem Höheren Selbst. Wir erhalten Hinweise und Botschaften, die richtungsweisend für unser Leben sind, wenn wir uns ihnen öffnen. Das Traum-Selbst ist eine schöpferische Macht. Es ist ein Archetypus. Es ordnet die Bilder und Dinge. Es ist autonom gegenüber dem Bewußtsein, transzendiert es. Es ist der Archetypus mit der höchsten Numinosität. Es spricht in der religiösen Symbolik eine zentrale Rolle, denken wir etwa an das Kreuz im Westen oder das Mandala im Osten. Im Verlaufe unseres Individuationsprozesses treten diese Selbstsymbole in Träumen immer häufiger auf und übernehmen so eine Art von Führung.
Um die Ursprungsgeographie unserer Träume weiter auszuloten ist es auch wichtig, geschichtlich zurückzugehen zu den Anfängen der schriftlich überlieferten Traumlehre.
In alten Zeiten galt der Traum als Beweis für die mystische Verstrickung des Menschen mit schicksalhaften Kräften. Früher waren Träume Botschaften der Götter. Für die Mentalität der Naturvölker verbindet der Traum noch heute die wahrnehmbare Wirklichkeit mit den mystischen Mächten. Im Traum geht der Mensch von einer Welt in die andere und kehrt wieder zurück, ohne es zu bemerken. Diesen Völkern sind daher Träume auch mehr wert als die Wahrnehmungen des Wachzustandes. Die ägyptische Traumlehre hatte, ebenso wie später für die Griechen, den Charakter einer empirischen Wissenschaft. Zu den Disziplinen, die im ägyptischen Kollegium studiert und überliefert wurden, gehörte die Traumdeutung, und diese muss eine grosse Rolle gespielt haben, denn in der koptischen Sprache hat das Wort "Schreiber des Lebenshauses" die Bedeutung "Traumdeuter" erhalten. Die Ägypter haben die Träume im Totenreich, dem Jenseits der Götter, lokalisiert. Und das Totenreich war eben der Bereich, womit die Gelehrten des Lebenshauses sich beschäftigten. Während des Schlafes geht die menschliche Seele, ebenso wie die Sonne, in den himmlischen Urozean, in das Nun, hinein und wird wie die Sonne erfrischt und verjüngt, damit sie einen neuen Tag beginnen kann. Das Nun ist in der ägyptischen Religion das Jenseits, wo die Toten wohnen. Auch diese werden wieder erwachen, denn Schlaf und Tod sind nahe verwandt, weil sie beide die zeitweilige Abwesenheit der Seele bedeuten, während sie sich im erfrischenden Urozean befindet. Die ägyptische Kosmographie, die die Toten und die Träume im Nun-Ozean bei den "Toren der Sonne" lokalisiert hat, ist später von den Griechen übernommen worden. Es geht hier um die Ähnlichkeit dieser Vorstellung mit der griechischen vom Gebrüderpaar Hypnos und Thanatos. Hypnos (Schlaf) und Thanatos (Tod) oder Oneiros (Traum) sind schon in der griechischen Mythologie unzertrennliche Brüder, Kinder der Nacht (Nyx). Sie sind auch sehr mächtige (pandamator) Herrscher aller Götter und Menschen, denn selbst die Götter unterliegen ihnen. (Bei den Griechen schlafen, träumen und sterben auch die Götter).
Die alten Griechen glaubten, die in den Träumen erscheinenden Gestalten seien Menschen, die in der Nähe der Unterwelt lebten. Das "Volk der Träume" wohnt in der Nähe der Toten, des Okeanos und der "Tore der Sonne". Die Vorstellung, dass die Träume ihre Heimat im Jenseits, im Hades, haben, begegnen wir auch bei Aristophanes. Ovid erwähnt die Höhle des Schlafes und der Träume. Sie liegt nahe den Kimmerien, und der Lethefluss durchläuft sie. Ovid hat, ebenso wie Vergil, altes Material benutzt. Die Kimmerien wohnen gemäss Homer in der Nähe des Hadeseinganges. Der geflügelte Gott Morpheus, Sohn des Schlafgottes Hypnos, besitzt – nach Ovid – die Macht, den Menschen im Schlaf Traumgestalten (Morphai) zu senden. Orpheus verbindet die Tore des Hades mit dem Volk der Träume.
In Indien ist noch heute das Träumen ein höherer Zustand als das Wachen. Der Traum entspricht dem Aspekt des Seins, alle Möglichkeiten in sich zu schliessen. In der Brihadarmyaka-Upanishad lesen wir beispielsweise: " Es gibt für den Menschen zwei Zustände, den einen hier in dieser Welt, den anderen in der anderen Welt und, als einen dritten, mittleren, den Zustand des Schlafs. Im mittleren Zustand sieht der Mensch beide Zustände zugleich, den einen in dieser Welt hier und den anderen in der anderen Welt."
Gehen wir abschliessend noch der Möglichkeit des mythologischen Ursprungs unserer Träume nach.
Hier gehören sie zum Schattenreich und seinen Gottheiten. Hier ruft die Tiefenschicht unserer Psyche das archetypische Reich der Unterwelt wach. Unsere Träume aus dem Unbewussten sind Spiegelungen von Hades, Pluto, Trophonios, Styx, Charon und Zerberus. Hades ist der Gott der Tiefe, der Gott des Unsichtbaren, der "Ungesehene", oft als "Pluto" (Reichtum), oder als Trophonios (der Nährende) bezeichnet. Hades war der Reiche, der Nahrungsspendende für die Seele. Manchmal wurde er mit Thanatos (Tod) verschmolzen. Er ist ein Todesdämon, ein Verberger. Es ist das Bild eines Vakuums, eines umschlossenen Raumes oder einer Tiefe, die unbekannt, aber benennbar ist, und fühlbar, wenn schon nicht sichtbar. In der Antike wurde Pluto als Gott des Reichtums benutzt, um die furchterregende Tiefe des Hades zu verdecken. Sehen wir also in Pluto im positiven Sinne den Spender von Vollkommenheit, eine Fundgrube unermesslichen Reichtums, ein Ort der schöpferischen Fülle. Jeder seelische Prozess, alles in der Psyche, bewegt sich auf Hades zu. So wie das Ende der Hades ist, so ist auch das Ziel der Hades. Alles entwickelt sich in die Tiefe, bewegt sich von den sichtbaren auf die unsichtbaren Verbindungen zu, aus dem Leben hinaus. Wenn wir danach suchen, was eine Traumerfahrung uns in ihrer tiefsten Bedeutung zu sagen hat, wird sie uns am vollständigsten klar, wenn wir sie in den Hades gehen lassen, indem wir fragen, was sie mit unserem Tod zu tun hat. Dann tritt das Wesentliche deutlich hervor. Es geht hier um die Ansiedlung der Träume in der Nachtwelt des Schlafes und im Tod. Aus der mythologischen Perspektive geben sie uns nämlich eine Unterwelt der Geister wieder. Unsere Träume sind letzten Endes nichts anderes als Berichte aus den unterirdischen Tiefen, dem kalten, dichten, unveränderlichen Zustand. Die Bearbeitung unserer Träume erfolgt hier aus dem Blickwinkel der Unterwelt. Unsere Traumbilder sind auch wichtige Träger und Vermittler von Informationen über die jenseitige Welt. In unserer Seele ist nämlich ein Wissen über den Tod und was danach kommt eingeprägt. Die Totenwelt ist ein symbolischer Ausdruck für das Unbewusste und die Tiefen der eigenen Seele. In manchen Todesträumen erscheint ein Gefährte oder ein Seelenführer, der einen Menschen aus diesem Leben abruft und ihn in die jenseitige Welt geleitet. Aus dem griechischen Mythos ist uns dieser Gefährte als der Fährmann Charon bekannt, der die Toten über den Acheron oder Styx, den stinkenden Todesfluss, übersetzt. Der Mythos erzählt, dass Charon die Schattenbilder der Verstorbenen von Hermes, dem Seelenführer, zugeführt bekommt, um sie über den Unterweltsstrom an das Tor des Hades zu bringen. Voraussetzung war die Beerdigung der Leichen in der Oberwelt und die Entrichtung eines Obolus als Fährlohn, den man den Toten unter die Zunge legte. Einen Lebenden hinüberzubringen ist Charon verboten. Die Vorstellung von einem Totenland, das jenseits des Meeres oder eines Stromes liegt, die das Land der Lebenden von den Toten trennen, ist uralt und als archetypisches Bild in unsere Seele eingeprägt. Daher erscheint diese Vorstellung besonders häufig in den Träumen von Sterbenden.
Unsere Träume sprechen also in Bildern oder ist Bild - das ist die Bedeutung des homerischen oneiros - träumen heisst imaginieren. Träume sind Rufe von Imagination zu Imagination, und sie können nur durch die Imagination beantwortet werden. Hier geht es also um einen Ursprungsaspekt der Traumpsychologie, die auf der mythischen Phänomenologie der Unterwelt basiert. In jedem Augenblick ist eine Öffnung nach unten, ein unbewusstes Echo, wie der dünne Faden des Traumes, der beim Erwachen in unserer Hand liegt und uns zurück und hinunter zu den Bildern der Dunkelheit führt.
Alle unsere Träume führen in eine unergründliche Tiefe. Selbst Sigmund Freud, der gewöhnlich übergenau jedes Stückchen eines jeden Traumes zu interpretieren suchte, sagte dennoch zweimal in seinem berühmtesten Werk "Die Traumdeutung": "...man (merkt) bei der Deutung(...), dass dort ein Knäuel von Traumgedanken anhebt, der sich nicht entwirren will (...). Dies ist der Nabel des Traumes, die Stelle, an der er dem Unerkannten aufsitzt." Der Kern, aus dem der Traum emporspriesst "wie ein Pilz aus seinem Mycel (unter der Erde wachsendes Fadengeflecht der Pilze)" sagt Freud, ist das Unbekannte. Sagen wir jedoch eher, es ist die Öffnung in die Unterwelt, das Moment des Hades, die Öffnung in das, was Heraklit als das Reich der Psyche begreift, reine Tiefe. Das ist dann der Nabel (omphalos) der psychischen Welt. Die via regia (Königsweg) der Träume führt zu diesem Punkt. Alle unsere Träume sind also in der Unterwelt zu Hause und alle ihre Personen sind Schatten. Gleiten wir auf der Barke des Schlafs durch die Bilder unserer Träume und sehen wir doch unsere nächtlichen Abstiege als eine Form von Initiation an. Hades hat eine verborgene Verbindung zu eidos und eidolon, der archetypischen Intelligenz, die sich in Bildern ausdrückt. Es ist Hades, der unsere tiefsten Wünsche erfüllt, in dessen Träumen die Weisheit archeptyischer Ideen ist, und wir müssen schlafen, um diese Ideen verstehen zu können. Diese Bilder sind es, diese sichtbaren Ideen, die das Verlangen unserer Seele erfüllen. Letztendlich füttern diese tiefen Bilder uns mit Einsicht, wenn wir in der Nacht versinken. Bilder laben unsere Seele. Sie sind unsere wahre Nahrung.
Die Unterwelt ist ein mythischer Ort, an dem nur die Psyche zählt. Der Mythos, zu dem wir unsere Träume also zurückführen, ist die Unterwelt. Sie ist das Fundament und die gemeinsame Grundlage der Tiefenpsychologie, in der der Traum immer die wichtigste Rolle gespielt hat und auch weiterhin spielen wird. Wie der Traum der Wächter des Schlafes ist, so ist die Traumarbeit ein Schutz für jene Tiefen, aus denen unsere Träume emporsteigen, für die Tiefen der Ahnen, der Mythen, der Imagination und der verbergenden Unsichtbarkeiten, die unser Leben steuern. Träume sind des Schlafes wachsamer Bruder, brüderlich wie der Tod, sind Boten und Wächter der heranrückenden Nacht.
Dem Vorbild des Hades folgend nehmen wir also unsere Träume weiterhin in uns auf, sind ihnen gastfreundlich gesinnt und gehen gleichzeitig unaufhaltsam in die Tiefe, stimmen uns ein auf die dämmrige Nacht, ertastend unseren Traumnabel in der Hand, der uns als roter Lebensfaden immer tiefer und hinunter in die Unergründlichkeit der eigenen Dunkelheit führt ...