Der Gott Osiris spielt die zentrale Rolle in der Orion-Theorie, denn ohne ihn zu Beginn der 4. Dynastie in Ägypten wäre die komplette Verankerung hinfällig. Bauval und Gilbert begründen daher ihre These im Geheimnis des Orion wie folgt:
(1) "Ägyptologen haben aufgezeigt, daß die altägyptische Theokratie auf der Vorstellung beruhte, daß der König zu Lebzeiten die Reinkarnation des Horus, des ersten Gott-Königs Ägyptens sei, und damit auch Sohn von Osiris und Isis. Man glaubte, daß der Pharao nach seinem Tod in den Himmel aufstieg und selbst "ein Osiris" wurde. Doch warum ein Osiris? Was bedeutete die Lehre von der Osiris-Werdung? Die zahlreichen Textstellen in der Unas-Pyramide, in denen der verstorbene König als Osiris-Unas bezeichnet wird, bringen deutlich zum Ausdruck, daß der mumifizierte Unas, in seiner jenseitigen Form, ein Osiris werden wird. Des weiteren erfahren wir, daß die Osiris-Könige Sterne wurden; nicht irgendwelche, sondern ganz bestimmte Sterne in der Umgebung des Sternbilds Orion. Die Ägyptologen kamen daher vor langer Zeit zu dem Schluss, daß das Wiedergeburtsritual dazu diente, die toten Könige in Osiris zu verwandeln, oder, genauer gesagt, in die Astralform des Osiris ..., nämlich Sahu oder das Sternbild Orion."[ 1 ] Diese Passage ist auch für die weiteren Seiten sehr wichtig, wir werden daher mehrfach darauf zurückgreifen. Wichtig für unsere Betrachtung ist die Frage, ob Horus wirklich immer schon der Sohn von Isis und Osiris war, was ein deutliches Indiz dafür wäre, daß der Osiriskult sehr alt ist. Unas ist der erste König mit religiösen Texten in seiner Pyramide. Sie stammt vom Ende der 5. Dynastie und wurde rund 220 Jahre nach Cheops gebaut, der die erste Orion-Pyramide in Giza errichtete. Bauval und Gilbert vertreten die Auffassung, daß in der Unas-Pyramide noch Reste eines Sternenkults vorhanden sind, der in späterer Zeit durch einen Sonnenkult verdrängt wurde:
(2)"Dieser astronomische Befund deutet darauf hin, daß es tatsächlich einen Versuch gegeben haben könnte, den Kult des Osiris [= Sternenkult, Anm. FD] zu einem Sonnenkult und Osiris zu einem Sonnengott zu machen. ... Anscheinend war dieser Versuch bis zum Ende der 6. oder gar 7. Dynastie erfolgreich..." [ 2 ] Nachweisbar sei das an einer immer geringeren Nennung von Sternen in späteren Pyramiden, und eine verstärkte Präsenz von Re. All das müßte bei genauer Untersuchung der fraglichen Texte und anderer Befunde aus der fraglichen Zeit ja nachweisbar sein.
Zudem sei die Ankopplung der Pyramiden an die Osirislegende nachweisbar:
(3)"Die andere Version vom Tod des Osiris lautet, er sei von Seth getötet und sein Körper sei in Stücke geschnitten und über ganz Ägypten verstreut worden. Die sieben Pyramiden der 5. Dynastie ergeben, zusammen mit den sieben der großen 4, Dynastie 14 Pyramiden auf dem Gelände der Totenstadt von Memphis zu der Zeit, als die Pyramidentexte geschrieben wurden."[ 3 ] Bauval geht daher davon aus, daß Osiris ein sehr alter Gott sei. Er beruft sich dabei auf Samuel Mercer:
(4)"Mercer war auch davon überzeugt, daß der in den Texten beschriebene Kult sehr alt sei: «Die Verehrung des Osiris ist zweifellos prähistorisch ... in der Pyramidenzeit war der Kult bereits fest etabliert.»"[ 4 ] Optisch ähnelt die Pyramidenanordnung in Giza den drei Gürtelsternen des Orion, wie wir in Fig. 1 auf der vorherigen Seite gesehen haben. Weitere Pyramiden der 4. Dynastie entsprechen Sternen im Orion, nämlich die Pyramiden in Abu Roasch und el-Aryan (beide wahrscheinlich unvollendet):
(5) "Sorgfältig schob ich die drei Pyramiden von Gizeh parallel zu den drei Sternen des Oriongürtels. Ich sah, daß die Pyramide des Nebka in Abu Roasch dem Stern Saiph oder dem "linken Fuß" des gesamten Sternbilds Orion entsprach, die in Zawyet el-Aryan dem Stern Bellatrix an seiner "rechten Schulter"[ 5 ] Diesen Teil des sogenannten "größeren Bildes" (wider picture) hat Bauval inzwischen relativiert, weil Sterne und Pyramiden beim besten Willen nicht zur Deckung zu bekommen sind (siehe die Ausführungen zu den Positionen im zweiten Teil). Aber mit einem klaren Wort zurückgenommen hat er sie nicht, denn nach seinem "Ausschluss" der Bauten aus dem Gesamtbild vermerk er, daß man sie doch einbeziehen könnte wenn die Pyramiden deshalb unfertig geblieben seien weil die Ägypter entdeckt hätten, daß man die beiden Bauten an die falsche Stelle gesetzt habe (und nicht weil die Könige frühzeitig verstorben sind)... kein Kommentar![ 6 ] Weitere Sterne des Orion sollen die Abusir-Pyramiden der 5. Dynastie darstellen:
(6) "Da Bellatrix südöstlich von Gizeh lag, war es nicht mehr schwer zu erkennen, wie die drei oder vier kleinen Sterne, die den "Kopf" des Orion bildeten, von den drei oder vier (Anm. 3) kleinen Pyramiden in Abusir entsprachen, rund einen Kilometer südöstlich von Zawyet el-Aryan gelegen."[ 7 ] Und auch die Pyramiden in Dahschur, die bereits von Cheops' Vater Snofru, dem ersten König der 4. Dynastie errichtet wurden, sollen Sterne darstellen. Nicht Sterne des Orion, sondern die markantesten Sterne im Sternbild Stier, etwas oberhalb von Orion:
(7) "Nach ihrer Winkelentfernung entsprachen die Hyaden in der Region der memphitischen Duat in etwa der Lage der Pyramiden von Dahschur im südlichen Teil der Region [...] Wenn man die beiden Sterne (Aldebaran und Epsilon Tauri in den Hyaden, Anm. FD) im geeigneten Maßstab auf eine Karte des Memphis-Duat projiziert, fallen sie mit den Pyramiden von Dahschur zusammen. Damit hatte ich das vollständige Muster der Himmels-Duat. ..."[ 8 ] Warum der Stier? Weil die Ägyptologin Jane Sellers den Bruder und Mörder von Osiris, Seth, im Stier sah. Die Dahschur-Pyramiden komplettieren daher die Osiris-Legende:
(8) "Nach Jane Sellers wurde Seth in die Regionen verbannt, die im südlichen Sternbild des Orion lag, das heißt dorthin, wo sich die Hyaden befanden."[ 9 ] Was ist zu untersuchen?
Die Orion-These stützt sich auf einige Behauptungen die zutreffen müssen, um sie überhaupt in Betracht ziehen zu können, und auf einige Punkte die, wenn sie zutreffen würden, weitere unterstützende Belege darstellen würden. Ein solches "nice to have" ist zum Beispiel die Pyramidenanzahl die gleich der Osiris-Teilstücke sein soll. Fundamental sind allerdings die folgenden Punkte, ohne die man über die "nice to have"s gar nicht diskutieren muss. Sie sind die Basis:
Sterne müssen eine bedeutende Rolle gespielt haben, denn die Orion-Theorie besagt ja nichts anderes als die Steinwerdung eines großen Sternenkults.
Osiris muss bereits in der Frühzeit bekannt und spätestens zu Beginn der Pyramidenzeit unter Pharao Snofru fest etabliert gewesen sein. Dazu müßte man die Herkunft des Gottes Horus untersuchen (der laut (1) ja seit der Urzeit mit Osiris verknüpft ist und somit den Osiriskult bis in die Frühzeit hinunter belegt), und natürlich auch Belege für Osiris selbst.
Osiris muss bereits zur Zeit des Snofru die Rolle als Herr der Unterwelt inne gehabt haben. Das ist nicht so trivial wie es sich anhört, da die ägyptische Götterwelt in der ersten Hälfte des Alten Reichs noch eine Reihe von Transformationen durchmachte und es aus der Zeit vor den Pyramidentexten keine zusammenhängenden religiösen Aufzeichnungen gibt. Wenn Osiris aber bereits in der ersten betexteten Pyramide vollständig seine spätere Rolle inne hat und es von Seiten der Ägyptologen keine direkten Einwände gibt, wäre das zumindest ein Indiz.
Orion und Osiris müssen bereits zu Beginn der 4. Dynastie als identisch betrachtet worden sein. Auch das ist aus obigen Gründen nicht einfach nachweisbar, daher können wir dieselben Einschränkungen wie in Punkt 2 machen und eine entsprechende gesicherte Erwähnung in der ersten Textpyramide von Unas wenigstens als Hinweis sehen.
Bereits zu Beginn der 4. Dynastie muss sich der tote König mit Osiris dem Herrscher der Unterwelt identifiziert oder gleichgestellt haben, damit die Verknüpfung Pyramiden/Orion Sinn ergibt. Osiris muss also bereits zu Snofrus Zeit eine Rolle als sogenannter Königsgott gespielt haben. Auch das ist nicht trivial, da sich der tote Pharao mit einer Menge an Göttern identifizierte. Ein weiteres Problem: Osiris hatte mehrere Rollen inne - oder es gab mehrere Osirise (das hört sich zwar lächerlich an, ist aber gar nicht so weit hergeholt, wie wir an der Betrachtung des Horus auf der nächsten Seite sehen). Zuerst war Osiris ein Wasser- und Vegetationsgott - und das Sinnbild für die ständige Erneuerung des Lebens dieser Rolle ist bereits eine Vorahnung auf die Wiederauferstehungs-Rolle die Osiris der Herr der Unterwelt besaß. Die "Stelle" war vor Osiris vom Gott Anubis besetzt. Um eine Verknüpfung vom Pharao zu Osiris nachzuweisen brauchen wir eine mehrheitliche Verknüpfung zwischen Osiris dem Totengott und dem Pharao.
Der König muss das Ziel seines Lebens nach dem Tode in den für Bauval relevanten Sternen gesehen haben. Und das ebenfalls zu Beginn der 4. Dynastie. Bauval ist sich ja sicher, daß dem so ist, denn in (1) vermerkte er, daß das Ziel im jenseits immer und ganz definitiv die Sterne des Orion im südlichen Sternhimmel seien. Auch das ist nicht trivial, denn Bauval interpretiert einfach alle Stellen der Pyramidentexte in denen der Pharao "zum Stern wird" als Beleg für seine These. Allerdings besaß der ägyptische Pharao immer eine Sternenseele, sein Ach (dessen Rolle später das ba einnahm), welche völlig unabhängig von Nachwelts-Vorstellungen zu den Sternen auffuhr. Um die These zu begründen sollten zumindest in der ältesten beschrifteten Pyramide Fahrten des Pharaos zu stellaren Zielen im südlichen Bereich des Himmels häufiger vertreten sein als Reisen zu anderen Zielen wie z.B. dem Sonnengott Re.
Um die Begründung zu rechtfertigen, daß ein späterer Sonnenkult den ursprünglichen Sternenkult ersetzt hat, sollten wir erwarten, die prozentual meisten Stern-Referenzen in den frühen Pyramiden (Unas, Teti) und die wenigsten in den späten Pyramiden (Pepi II und seine Königinnen) zu finden. Beginnen möchte ich die Untersuchung mit einer der wichtigsten Quellen Bauvals.
Samuel Mercer
Mercer wird von Bauval als Hauptzeuge für seine stellare Idee aufgeführt. Dieser Ägyptologe vertrat schon in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts die Idee, daß sich hinter den Pyramidentexten keine kultischen Beschreibungen, sondern Referenzen zu astronomischen Ereignissen verbergen. Und das daher viele Sprüche nur Allegorien auf wahre Begebenheiten am Himmel sind, wie Planetenbewegungen und Präzessionserscheinungen. Mercer ist in der Ägyptologie allerdings recht umstritten. Sein vierbändiges Werk über die Pyramidentexte erschien 1952 und war zu der Zeit bereits veraltet. Seine Analysen waren umstritten, da sie nicht auf dem Stand der aktuellen Ägyptologie waren und sehr spekulativ sind. Wenig verwunderlich daher, daß Mercer heutzutage die erste Wahl für Esoteriker, Atlantisgläubige und Welterlöser ist wenn es darum geht, phantastisches in die Pyramidentexte hineinzuinterpretieren.[ 10 ] Weiterhin wurde Mercer der Vorwurf gemacht, keine eigene Übersetzung angefertigt zu haben (da dazu sein sprachlicher Hintergrund nicht ausreichte), sondern lediglich Sethes Übersetzung von 1910 eher schlecht als recht ins Englische übertragen zu haben. Professor Henry Fischer von der Universität New York bezeichnete es in einem Wortspiel als "Mercerisieren" - so bezeichnet man auch einen Veredlungsprozeß bei Baumwolle, mit dem man diesem unedlen Material ein seidenähnliches Aussehen verleiht.[ 11 ] Dazu äusserte sich am 18.2.2003 John Gee von der Bringham Young University auf der Ägyptologie-Mailingliste "EEF - Egyptologists Electronic Forum" der Yale-Universität. Zuerst verwies er auf eine Kritik an Mercer von James P. Allen in JNES 13 [1954]: 119: Die Mängel in Mercer Übersetzung hätten "zwei Hauptquellen: Fehlerhafte Übersetzung aus dem Deutschen und Verletzung ägyptischer grammatischer Prinzipien". Gee selbst schreibt, er habe das Glück gehabt mit Büchern aus Mercers eigener Bücherei (im Original) arbeiten zu können. Dabei sei ihm aufgefallen, daß Mercer oft Transliterationen zwischen die Zeilen geschrieben habe. Und er sei verblüfft darüber gewesen, wie oft Mercer selbst bei einfachsten Konstruktionen Fehler machte. Das alles hört nicht gerade nach einer vertrauenswürdigen Quelle an. Bei Bauval klingt das natürlich ein wenig anders, denn in seinen Augen war Mercer eine Art Rebell, ein Robin Hood der Ägyptologie:
(5) "Mit dieser Ansicht (daß die Pyramidentexte astronomische Schilderungen darstellen, Anm. FD) widersprach Mercer natürlich der etablierten Lehrmeinung und mußte sich den Vorwurf gefallen lassen, voreilig und leichtfertig zu sein. man bemängelte ferner, daß seine Übersetzungen «nicht dem aktuellen Kenntnisstand des Altägyptischen entsprechen», was nicht ganz stimmte. Mercers Arbeit gebührt ein vorrangiger Platz in der Erforschung der Pyramidentexte, und seine «voreilige» Haltung könnte sich noch als klug erweisen. (Ich sollte bald feststellen, daß ich bei Akademikern Missbilligung erntete, sobald ich Mercer zitierte.)"[ 12 ] Auf einige von Mercers Behauptungen, auf denen Bauval seine Pyramidenthese stützt, werde ich im Rahmen der folgenden Seiten eingehen. Natürlich registriert Bauval auch andere Übersetzungen und Kommentare zu den Pyramidentexten, wir zum Beispiel die moderne und heute überwiegend verwendete Version von Faulkner.[ 13 ] Diese gilt als sehr präzise, Bauval hat für sie aber überwiegend nur Spott übrig, da Faulkner genauso wie alle übrigen Ägyptologen der Welt nicht in der Lage ist, die geheimen stellaren Botschaften eines Samuel Mercer in den Texten zu erkennen:
"Faulkner zitierte eine lange Reihe von Textstellen, in denen die Sterne in Verbindung mit der Seele der toten Könige und ihrem Schicksal im Jenseits erwähnt werden, ignorierte jedoch Hunderte von Passagen, die sich ebenfalls auf das Sternenschicksal des Königs beziehen, ohne daß das Wort Stern explizit erwähnt wird; ebenso unerwähnt blieben Textstellen, die sich in Allegorien und Metaphern auf die Sterne beziehen." [ 14 ] Dann wird es allerdings ein wenig albern, wenn Bauval im Anschluss energisch eine Neubewertung der Pyramidentexte - sprich, eine Angleichung an Mercers isolierte Behauptungen - fordert:
"Es stellte sich heraus, daß ich nicht der einzige war, der eine Neubewertung der Pyramidentexte für dringend erforderlich hielt, falls wir dem Geheimnis der ägyptischen Pyramiden auf die Spur kommen wollten. Das soll wohl bedeuten: So lange an den Texten herumdrehen bis man das herausinterpretiert was Bauval benötigt. Ach ja, albern finde ich diese Forderung deswegen, weil Bauval wegen mangelnder Grundkenntnisse überhaupt nicht in der Lage ist, die Richtigkeit der einen oder anderen Interpretation beurteilen zu können... Eine "Neubewertung" wäre ihm übrigens auch mit ein wenig Arbeitsaufwand selbst möglich: Die Hieroglyphenumschriften der Texte sind publiziert - sogar im Internet - und nach dem Erlernen von Altägyptisch, was hierzulande des öfteren in Volkshochschulen oder anderen Laienkursen im Abendunterricht angeboten wird, könnte er die Texte selbstständig "neu bewerten". Und dabei den Wahrheitsgehalt von Mercer selbst einschätzen und begründen
Nicht nur die Pyramidentexte müßten neu bewertet werden, sondern auch unser Wissen zu Sternenkulten in Ägypten. Die von Bauval vorausgesetzte Pyramidenzuordnung zu Sternen hört sich in seiner Argumentation so beiläufig/nebensächlich an, daß dem Leser das Schwerwiegende daran kaum auffällt. Man sollte sich aber darüber im klaren sein, daß Bauval hier nicht weniger behauptet, als daß das größte Bauvorhaben der Antike, wenn nicht sogar das größte zusammenhängende Bauvorhaben der Menschheit, auf eine Verehrung/Vergötterung der Sterne zurückzuführen sei. Sieben riesige Pyramiden (die Knick- und rote Pyramide in Dahschur, die drei großen Pyramiden von Gizeh, die unfertige Pyramide von el-Aryan (die größenmäßig zwischen der Knickpyramide und Chefren gelegen hätte) und die Pyramide von Neferirkare in Abusir) und noch ein halbes Dutzend kleinerer (die übrigen Abusir-Pyramiden sowie Abu Roasch), die im Laufe von mehr als 200 Jahren errichtet wurden bilden seiner These zufolge ein gigantisches steinernes Planetarium, ein Abbild des Himmels. Aber nicht nur die Anordnung der Pyramiden selbst, sondern auch manche Details ihrer Konstruktion wie die berühmten Schächte der Cheopspyramide sollen Teil dieser Verehrung sein. Und letztendlich versucht Bauval auch, die Pyramidenform selbst (genauer das Benbenet, die Pyramidenform die auch als Spitze von Obelisken verwendet wurde) zu einem stellaren Symbol zu erklären. Der Begründung nach bilden die Pyramidenanlagen der 4. und frühen 5. Dynastie einen riesigen Open-Air-Tempel für die Sterne, eine Art Monster-Stonehenge, an dessen Gesamtkonzeption mehrere Generationen von Pharaonen anhand eines gemeinsamen Bauplans arbeiteten. Den Pyramiden kann daher nur in zweiter Linie ein Begräbnischarakter zugesprochen werden.
Der ägypteninteressierte Leser kennt vielleicht andere Göttertempel in Ägypten, an denen mehrere Generationen bauten. Zum Beispiel den berühmten, der Hathor geweihte Tempel in Dendera (der mit den "Glühbirnen" im Keller) aus der Spätzeit, an dem ebenfalls fast 200 Jahre gebaut wurde (und der an der Stelle eines älteren Hathortempels errichtet wurde, der seit der 6. Dynastie belegt ist). Oder der Osiristempel in Abydos, an dem mindestens 3 aufeinanderfolgende Könige gewerkelt haben. Oder den riesigen Amuntempel in Karnak, an dem ebenfalls viele Generationen, bis hin zu Alexander dem Großen, gebaut haben. Aber verglichen mit dem gigantischen Sternentempel, den die Pyramidenanlagen bei Memphis darstellen sollen, sind diese Tempel, obwohl sie den jeweils höchsten Göttern ihrer Zeit gewidmet waren, alles nur Spielzeuge. Welch eine Bedeutung müssen da erst die Sterne im Alten Reich genossen haben!
Praktisch keine, sagen die Experten für ägyptische Religion. Sterne waren Götterkinder am Leib der Himmelsgöttin Nut. Namenlos und nieder. Sterne, das waren die Seelen verstorbener, das Ach, der verklärte Tote. Oder die Ba-Seelen die in der Nacht zum Himmel auffuhren um am Tage wieder zum Verstorbenen zurückzukehren. Aber praktisch ohne jede religiöse Bedeutung. Und die paar Sterne die doch einige Bedeutung hatten befinden sich leider an der falschen Stelle des Himmels... (aus Sicht der Orion-Theorie) Weil Sterne eine nachweisbar geringe Rolle spielten, gibt es in der Ägyptologie auch kaum große Beschäftigungen mit dem Thema.
Der bekannte Ägyptologe und Experte für die ägyptische Religion, Hans Bonnet, ist einer der wenigen der sich zum Thema äussert. Sein "Reallexikon" hat zwar schon einige Jahre auf dem Buckel, es gilt aber immer noch als wegweisend und wird auch heute noch oft und ausgiebig zitiert (warum also soll ich da zurückstehen ;-) ). Er notiert:
"Auch sonst stehen die Sterne für das religiöse Leben durchaus im Hintergrund. Daß man zu ihnen betet ... oder Gaben von ihnen erwartet ... ist nur ganz vereinzelt bezeugt. Sie sind eben Mächte der Nacht, dazu, wie schon ihr unabsehbares Heer zeigt, solche niederen Ranges.[ 16 ] Bonnet führt weiter aus, daß lediglich die Dekansterne größere Achtung gewinnen, aber auch nur weil sie einen "praktischen Nutzen" besitzen, da sie die Basis der Zeitrechnung der Ägypter darstellen. Dies ist auch der Grund für die Bedeutung des Sirius, der erst später mit der Göttin Isis verschmilzt, denn er kündigte die alljährliche Nilschwemme an.[ 17 ] Auch der Orion hatte für die Ägypter eine "praktische Bedeutung", denn sein Neuerscheinen leutete unter Umständen die Weinlese ein und war daher eventuell der Marker für das jährliche Wag-Fest.[ 18 ] Einige Sterne, genauer gesagt eine Region von Sternen, besitzen dennoch eine besondere Bedeutung für den Pharao. Bonnet dazu:
"Da sind einmal "die, welche nicht untergehen können", die unvergänglichen, d.h. die Circumpolarsterne. Sie versinken nicht im Westen, darum rudern sie die Barke des Tages. ... So fehlt es dann in der Totenliteratur auch nicht an Sprüchen, die die Jenseitshoffnung des Toten an seine Aufnahme in die Schar der Sterne knüpfen. ... Begreiflich genug gipfelt dabei sein Verlangen in dem Wunsch, in die Schar der Unvergänglichen versetzt zu werden."[ 19 ] Der bekannte Religionsexperte Erik Hornung vermerkt zur Bedeutung der Sterne:
"Die Ägypter betrachteten nur einige der wichtigsten Sterne und Sternbilder als Gottheiten. Neben Sonne und Mond erlangte lediglich Sothis, der hellste Fixstern des Himmels Sirius, einen Kult als Herald der Nilschwemme. ... Selbst der Morgen- oder Abendstern hatten keinen Kult, und auch nicht der Polarstern (Alpha Draconis im frühen Alten Reich), trotz seiner großen Wichtigkeit als der Fixpunkt des Himmels und das Ziel für den Aufstieg des toten Königs in den Himmel. Für die Ägypter waren die Sterne eine Metapher für große Zahlen und beherbergten ebenfalls die Seelen der Toten. Weil Tote auch als "Götter" zählten, wurden die Sterne in der spätesten Epoche der ägyptischen Religion als Götter betrachtet und das Wort "Gott" wurde dann mit einem Stern geschrieben."[ 20 ] Spaßigerweise verwendet Hornung als Basis seiner Schlussfolgerungen ausgerechnet das Papier, was Bauval weiter oben ablehnte: Faulkners "The King and the Star-Religion in the Pyramid Texts", JNES 25(1966). Der Grund für die Ablehnung ist klar. Hornung (und der Rest der Ägyptologie) sieht das Ziel für die (Ach / Ba) Seele des Königs, die "Unzerstörbaren Sterne", im Norden, um den Himmelsnordpol herum. Warum? Weil die Pyramidentexte die sie beschreiben ziemlich eindeutige Richtungsangaben enthalten. Das steht natürlich im kompletten Widerspruch zu Bauval, der ja unter (1) schrieb: "Des weiteren erfahren wir, daß die Osiris-Könige Sterne wurden; nicht irgendwelche, sondern ganz bestimmte Sterne in der Umgebung des Sternbilds Orion." Obwohl die Zirkumpolarsterne, die "unzerstörbaren" also, eine eminent wichtige Bedeutung haben erstaunt es Hornung, daß noch nichtmal diese einen Kult besaßen. Kein Tempel ehrt sie, kein Kult war für sie eingerichtet. Bauval muss daher gute Gründe liefern, um auf dem Hintergrund seine Idee eines steinernen Planetariums zu rechtfertigen - für anscheinend ziemlich bedeutungslose Sterne in einer völlig falschen Region des Himmels.
Auch der Versuch, die Pyramide bzw. die pyramidenartige Spitze auch von Obelisken zu einem stellaren Symbol umzufunktionieren hat wenig Aussicht auf Erfolg. Der englische Ägyptologe Stephen Quirke vermerkt dazu:
"Das Wort für das Pyramidion, benbenet, ist in dieser Hinsicht unzweideutig: die Wurzel des Wortes von dem es abgeleitet ist, Weben "zu leuchten", bezieht sich definitiv auf den Sonnenschein, und nicht auf das Funkeln von Sternen." [ 21 ] Dahschur
Bei Beschäftigung mit dem Sternenkult fällt übrigens spontan ein Punkt der Argumentation Bauvals in sich zusammen. Es handelt sich um die zusammenhängenden Punkte (7) und (8), die in der Behauptung münden
"Nach Jane Sellers wurde Seth in die Regionen verbannt, die im südlichen Sternbild des Orion lag, das heißt dorthin, wo sich die Hyaden befanden." Ich weiß nicht, was Frau Sellers schreibt - aber ich bin mir sicher, daß sie nicht die Hyaden meint. Denn seit langer Zeit steht fest, daß mit dem "Seth-Gestirn" das Sternbild "Schenkel des Stiers" gemeint ist. Das ist aber nicht unser Stir, wie es Bauval gerne hätte, sondern das Sternbild welches wir heutzutage als "Großer Wagen" kennen.[ 22 ] Dieses liegt nicht einmal in der Nähe des Stiers den Bauval für seine kulturelle Anknüpfung von Dahschur zum Sternenhimmel benötigt. Die Hyaden selbst, oder unser Sternbild Stier, sind in Ägypten selbst unbeschriebene Blätter - eben einige aus der nicht hervorzuhebenden Schar von namenlosen Sternen, daher gibt es nun überhaupt keinen Grund dafür, Sternenpyramiden in Dahschur zu errichten. Die Basis für sein "großes Bild" bei Dahschur existiert nicht mehr.
Die Erkenntnisse der letzten 150 Jahre Ägyptologie sprechen im Prinzip eine deutliche Sprache, die gegen einen bedeutenden Sternenkult, ja sogar gegen stellare Repräsentationen der Pyramiden selbst spricht. Was also weiß Bauval, was jedem anderen Ägyptologen bislang entgangen ist?
Multy Generation Funerary Projects
(Multi-Generations-Begräbnis-Projekt, MGFP) ist das neue Schlagwort zur Verteidigung der Orion-Theroie. Weil einige Ägyptologen andere Bauprojekte an den Pyramiden propagieren, die über mehrere Generationen gingen, sei auch die gesamte Orion-These als riesiges MGFP zulässig. Was für Hinweise aber haben wir über solche multi-Generations-Vorhaben? Sehr spärliche. Es gibt Anzeichen dafür, daß unmittelbare Nachfolger die Anlagen ihrer Vorgänger soweit fertigstellen ließen, daß ein ordnungsgemäßer Beerdigungs- und Kultbetrieb möglich war. Aber das wurde normalerweise nur "schnell und dreckig" gemacht. Beispiele sind zum Beispiel der Totentempel der Roten Pyramide (in Kalkstein begonnen, dann nachher schnell mit Schlammziegeln fertiggestellt), die Bootsgrube von Cheops, die von seinem Sohn Djedefre beendet wurde (man fand seinen Namen in der Grube), der Totentempel von Djedefre der ebenfalls in Schlammziegelbauweise zuendegefummelt wurde, und als herausragendes Beispiel die Anlage von Mykerinos. Dessen Taltempel wurde ebenfalls schnell im Schlammziegelbauweise zusammengekleistert, seine Pyramide war aber noch unfertig. Die Verkleidungsblöcke waren nur um den Eingangs- und Totentempelbereich herum geglättet. Das ließ man so - der Rest der Pyramide war daher in Steinen eingedeckt die im Rohzustand der Steinbruchlieferung geblieben sind. Man kann sogar genau die Stellen erkennen an denen die Arbeit eingestellt worden ist.[ 23 ]
Das sieht nicht danach aus, als ob sich ein Nachfahre besonders um die Anlage seines Vorgängers geschert hätte. Und es ist auch keine gute Basis für ein MGFP in der Größenordnung wie sie die Orion-Theorie braucht. Aber was IST denn dann die Basis für die Behauptung einer solchen in der "orthodoxen Wissenschaft"?
Es war Hans Goedicke der einige frühe Spekulationen zu dem Thema anstellte. Aber diese wurden nicht in einem Fachartikel veröffentlicht, sondern drangen durch einen Artikel einer Tageszeitung von 1983 ans Licht der Öffentlichkeit![ 23 ] Dieser Artikel war die Basis von Mark Lehners Spekulationen in seiner Arbeit Giza. A Contextual Approach[ 24 ]. Und was sagt diese Idee? Nun, Goedicke hatte festgestellt, daß es offenkundig ein Konstruktionsdetail gibt, welches auf vielen Pyramidenfeldern vertreten war. Daß nämlich des öfteren bestimmte Kanten von Bauwerken mehr oder weniger auf einer Linie liegen. Diese Kantenlinien findet man in Giza (Südostkante von Cheops, Chephren und Mykerinos), Abusir (Nordwestkante der Pyramiden von Sahure, Neferirkare und Neferefre) und auch in Sakkara (Südostkanten von Sechemchet, Djoser, Userkaf und Teti) . Und auch zwischen unterschiedlichen Pyramidenfeldern, denn nach Goedicke orientiert sich die Ostseite der Userkaf-Pyramide in Sakkara an derselben Seite der Cheopspyramide in Giza. Goedicke folgerte später, daß einige der Sichtlinien auf den Sonnentempel in der Stadt Iunu (Heliopolis) zeigen, und darüber schrieb er später auch einige "richtige" wissenschaftliche Artikel :-)
Was haben diese Sichtlinien mit der Konzeption der Orion-Theorie zu tun? Nicht viel. Die Orion-Theorie benötigt eine Gesamtkonzeption, die bereits beim Bau der allerersten echten Pyramide in Dahschur vorlag, und an den sich alle Pharaonen bis zur Mitte der 5. Dynastie streng halten mußten. Die "Sicht Linen Theorie" (SLT, wie ich sie nenne) hingegen braucht kein striktes Schema. Hier reicht es, wenn irgendein späterer Pharao sich dazu entschließt, seine Pyramide auf die Sichtlinie eines seiner Vorgänger zu setzen. Besonders deutlich wird dies in Sakkara, wo Pharaonen der 3., 5. und 6. Dynastie munter durcheinander ihre Pyramiden in die Sichtlinie bauten. Es war auch kein Plan an den sich alle zu halten hatten. In der 4. Dynastie bauten nur drei von 8 Pharaonen linientreu. Snofru, Djedefre, Bakare und Schepseskaf scherten sich nicht darum, genausowenig wie Chentkaus, die wahrscheinlich als erste weibliche Pharaonin die 4. Dynastie beendete. Auch in der 5. Dynastie beschlossen die meisten Könige, nicht auf der "Abusir-Linie" zu bauen: Userkaf (der seine Pyramide auf die Djoser-Linie in Sakkara setzte), Niuserre, Menkauhor, Djedkare und Unas entschieden sich, ihre Pyramiden nicht auf der Linie, teilweise sogar an ganz anderen Orten zu bauen. Erneut waren nur 3 von 8 Pharaonen "online" in Abusir. Es ist ziemlich deutlich: Selbst WENN es eine SLT gab (was eben nur eine Hypothese ist) entschied jeder König individuell, ob er seine Pyramide auf eine Sichtlinie setzte oder nicht. Anhand der Vielzahl der Könige, die von den Linien abweichen kann man klar folgern, daß es auf jeden Fall keinen Linien-Gesamtplan aller Pyramiden, ja noch nicht einmal einen für alle Pyramiden einer Region gab. Diese "Sichtlinien nach Bedarf"-Bauweise daher mit dem strikten notwendigen Gesamtplan der Orion-Theorie zu vergleichen ist daher mehr als gewagt. Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen.
Nachtrag: Es gab einen schnellen Widerspruch gegen meine Bewertung der Pyramidenanlagen. Denn so groß wie behauptet sei das Vorhaben nicht, Bauval habe ja schließlich zwei Bauten aus dem Gesamtplan entfernt. Nun ja, der Effekt ist aber lediglich minimal. Die Anlage bei el-Aryan kam über erste Ausschachtungen für das Kammersystem nicht hinaus, und die Pyramide in Abu Roasch gehört mit geschätzten 60 Metern Höhe auch nur zu den kleineren Bauten. Und auch bei ihr ist nicht bekannt, ob sie jemals fertiggestellt wurde. Gemessen am gesamten Arbeitsaufwand liegt die "Reduzierung" im Promillebereich, denn Bauval entfernte weder Dahschur, die ersten Bauten der 4. Dynastie (beides Pyramiden mit über 100 m Höhe), noch Abusir aus der 5. Dynastie (mit einer Pyramide um 80 m Höhe und einer ganzen Gruppe zwischen 50 und 60 Metern) aus dem Gesamtbild. In seiner halbherzigen Teilrücknahme bestätigte er sogar explizit, daß die Dahschur-Pyramiden weiter ein fester Bestandteil seines Gesamtkonzepts sind.
Anmerkungen: [1] Bauval, Robert & Gilbert, Adrian; Das Geheimnis des Orion, List 1994, S. 105 f [2] ibd. S. 184 [3] ibd. [4] ibd. S. 95 [5] ibd. S. 146 [6] Lawton, Ian; Ogilvie-Herald, Chris; Giza, the Truth, ICP 2001, S. 354 [7] Bauval / Gilbert S. 164 [8] ibd. S. 164 und 167 [9] ibd. S. 186 [10] Hier eine Diskussion über Mercer und seine Qualitäten: www.rostau.clara.co.uk [11] Merzerisieren [12] Bauval / Gilbert S. 94 [13] Faulkner, Ron Oliver; The Ancient Egyptian Pyramid Texts, Oxford University Press 1969 [14] Bauval / Gilbert S. 95, der Text bezieht sich nicht auf Faulkners Pyramidentexte, sondern auf einen im Vorfeld veröffentlichten Aufsatz über diese. [15] ibd. S. 96 [16] Bonnet, Hans; Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte(RÄRG), de Gruyter 1952, S. 749 f [17] ibd. [18] Erman, Adolf; Die Religion der Ägypter de Gruyter 1934, S. 23, und Krauss, Rolf; Wenn und aber: Das Wag-Fest und die Chronologie des Alten Reiches in "Göttinger Miszellen" (GM) 162/1998 S. 53.64 [19] Bonnet, RÄRG S. 749 f [20] Hornung, Erik; The one and the many; Conception of God in ancient Egypt, englische Ausgabe von "Der eine und die Vielen", Cornell University Press 1982/ Darmstadt 1971, S. 80 f, Hervorhebung durch mich [21] Quirke, Stephen; The Cult of Ra, Thames & Hudson 2001, S. 117 [22] Siehe zum Beispiel Kees, Hermann; Der Götterglaube im alten Ägypten, Göttingen 1941 S. 321 [23] Beispiele aus Stadelmann, Rainer; Die ägyptischen Pyramiden, 3. Auflage Zabern 1997 [24] C. Brown; A theory on the pyramids, Hopkins professor tells why they were put there, Washington Post 11-30-1983 C.8 [25] Lehner, Mark; Giza. A Contextual Approach to the Pyramids., AfO 32, 1985
Die Sternbetrachtung auf der letzten Seite haben, wie wir sahen, eine Menge Lücken und Fragen offen gelassen. Aber genau hier fängt ja Bauvals These an. Er ist der Meinung, genau diese Lücken schließen zu können. Denn das was die Ägyptologie bislang zu Sternkulten herausgefunden hat sei nur ein Bruchteil dessen, was wirklich vorhanden war. Die (von seinen Verteidigern ad nauseum wiederholte) Phrase dazu lautet: "Der in der Frühzeit vorhandene starke Sternenkult wurde von einem späteren Sonnenkult so erfolgreich verdrängt, daß von ihm kein nachweisbarer Rest mehr übrigblieb." Gedanklich kann man die Argumentation ungefähr so zusammenfassen: Der Sternenkult war aufgehängt an der Verknüpfung des Totengottes Osiris mit dem Sternbild Orion und der Verknüpfung des Königs mit Osiris und damit auch mit Orion. Der Nachbau des Orion auf Erden wäre daher kein Sternentempel, sondern ein Denkmal für die Pharaonen, die ja zu den Sternen wurden, welche ihre Pyramiden darstellen sollten. Ob und welche religiöse Rolle die übrigen Sterne spielten sei daher sekundär. Den Totenopferkult für einen Pharao könnte man vor diesem Hintergrund als "getarnten" Sternenkult auffassen. Der Pyramidenkult, der in jeder Pyramidenanlage nachweislich mehrere 100 Jahre praktiziert wurde, sei damit ebenfalls ein getarnter Sternenkult gewesen, unentdeckt durch die herkömmliche Wissenschaft (die Bauval übrigens penetrant als "Orthodoxie" tituliert). Dies würde natürlich Aussagen von Ägyptologen wie zum Beispiel Bonnet und Hornung widerlegen.
Damit dies zutreffen kann, muss sowohl der Gott Osiris als auch seine Verknüpfung zu Orion sehr alt sein. Ach ja, und auch die Identifizierung zwischen Osiris und dem toten König muss sehr früh belegbar sein. Für religiöse Kulte gibt es verschiedenartige Belegmöglichkeiten:
Indirekte Belege: Uralte Kultstätten, Tempel, Fetische oder Mythen des Osiris wären ein wesentlicher Beweis für einen uralten Kult, selbst wenn es keine direkten namentlichen Nennungen gibt. Mit diesen Belegen - dem Osirismythos, den Götterkreisen in die Osiris eingebunden ist, Osirisgräbern und dem Djed-Symbol - beschäftigt sich diese Seite.
Bildliche Osirisdarstellungen: Viele Götter sind bereits seit prädynastischer Zeit als Abbildung belegt. Auch für Osiris soll es sehr frühe Darstellungen geben, so zum Beispiel schon im Tempelbereich des Djoser. Wäre das so, wäre die Orion-These einen guten Schritt weiter. Dem gehe ich auf der folgenden Seite nach.
Schriftliche Osiris-Zeugnisse: Osiris war laut Bauval der wichtigste Totengott. Da andere Götter mit geringerem Einfluß bereits seit den allerersten Textzeugnissen in Gräbern auftauchen, sollte Osiris hier nicht nachstehen. Wie es damit aussieht, wird auf der übernächsten Seite untersucht. Fangen wir also an:
Indirekte Osiris-Belege
Eine wesentliche Basis für den frühen Osiris ist der sogenannte Osiris-Mythos. Dieser Mythos beschreibt die Entstehung der wesentlichsten Götter Ägyptens und deren nicht gerade friedliches Zusammenleben. Speziell der Gott Horus, der in diesem Mythos beschrieben wird, ist von eminenter Wichtigkeit. Auch die Symbolismen die in diesem Mythos erwähnt werden, wie der Djed-Pfeiler und die Grabstätte des Osiris, sind von großer Bedeutung bei der Bestimmung des möglichen Alters. Aber beginnen wir vorne:
Der Osiris-Mythos
Die überlieferte Geschichte des Osirismythos beschreibt, wie dieser als König über Ägypten regierte und dem Land Glück und Segen brachte. Er brachte auch das Wissen über Ackerbau und Viehzucht nach Ägypten. Osiris und seine Schwester Isis liebten sich inniglich, und hatten sogar ein gemeinsames Kind, Horus. Seth, der Bruder von Osiris, war über die Erfolge von Osiris erbost, da er selbst nach dem Königsthron trachtete. So schmiedete einen Plan, ihn zu töten. Er ließ eine Lade fertigen, geschmückt mit Gold und kostbaren Edelsteinen, und versprach bei einem Gelage, demjenigen die Lade zu schenken, der sie komplett ausfülle. Was niemand wusste: Seth hatte die Lade heimlich nach Maßen von Osiris fertigen lassen. Als nun die Reihe an Osiris war, in sie hineinzusteigen, sprangen Seth und 72 Mitverschwörer auf, nagelten sie zu und versenkten sie im Nil. Als Isis davon erfuhr machte sich auf die Suche nach dem Sarg, und nach vielen Mühen fand sie ihn in Byblos (damit ist eventuell nicht die Stadt im Libanon, sondern eine Delta-Stadt gemeint[1]), eingewachsen in einen riesigen Baum. Der König des Landes fällte den Baum ihr zu Ehren und formte daraus den ersten Djed-Pfeiler, den er zur Abstützung des Dachs seines Palastes verwendete. Den so freigelegten Sarg brachte Isis zurück an den Hofe von Horus. Dort entdeckte ihn Seth, und dies machte ihn so wütend, daß er die Leiche von Osiris in 14 Teile zerriss und über das ganze Land verstreute. Isis aber sammelte alle Teile zusammen und begrub jeden in einem Heiligtum, und nachdem alle Teile gefunden und bestattet waren kehrte Osiris aus der Unterwelt zurück um seinen Sohn Horus in der Kriegführung auszubilden um ihn zu rächen... Das sind die Grundzüge des Osiris-Mythos. Im Original ist die Geschichte etwas verworrener als meine Zusammenfassung. Man erfährt zum Beispiel, daß Osiris mit der Ehefrau von Seth, Nephytis, einen Sohn (Anubis) gezeugt hat, und daß Seth davon wusste. Hm, könnte das nicht ein guter Grund für Seths Ärger sein??? Verwunderlich ist aber die Unmenge an griechischen Göttern, die im Osirismythos auftauchen. Seltsam! So seltsam eigentlich nicht, denn die erste vollständige Überlieferung des Mythos wurde von einem Griechen niedergeschrieben. Vom bekannten Philosophen und Schriftsteller Plutarch, der zwischen 46 und 125 nach Christus lebte![2]. Das bedeutet natürlich nicht, daß der Mythos nicht schon weit früher existierte. Schon in den ältesten religiösen Schriften, den Pyramidentexten, wird auf den Mythos Bezug genommen. Dummerweise sehen dort aber viele Details anders aus als in Plutarchs Niederschrift. Das ist Folge des Umstandes, daß Plutarch den Mythos am Ende einer langen, wechselvollen Tradierungsgeschichte niederschrieb. Aber was aus dem Mythos ist altes Original, und was ist eventuell später hinzugedichtet worden? Das ist ja ein elementarer Punkt für die Orion-These.
Wir wissen zum Beispiel, daß die Geschichte mit der Zerteilung des Osiris wahrscheinlich in der Spätzeit, weit mehr als 1000 Jahre nach der Pyramidenzeit, in den Mythos eingebracht wurde[3] - damit hat sich Bauvals "nice to have" mit Pyramidenzahl = Anzahl Osiristeile soeben in Luft aufgelöst. Auch die Angaben zur Zeugung des Horus variieren. Beschreibt Plutarch, daß Horus bereits im Mutterleib der Nut gezeugt wurde, verschieben andere Facetten der Geschichte dies auf die Zeit nach der Wiedererweckung des toten Osiris durch Isis und Nephytis, oder sogar auf die Zeit der Wiederzusammensetzung des zerteilten Osiris (obwohl andere Zerteilungsgeschichten den Osiris nicht zusammensetzen, sondern die einzelnen Teile am Fundort beerdigt sehen wollen). Diese wenigen Beispiele machen klar, daß die Osirislegende nicht so einfach gestrickt und linear ist wie man annehmen möchte. Und das gilt für viele Bereiche der ägyptischen Religion!
Die unveränderliche Religion
In einigen Diskussionen stellte ich fest, daß etliche Ägyptenliebhaber und Amateur-Ägyptologen nicht wahrnehmen, daß die ägyptische Religion kein festzementiertes Gefüge gewesen ist, welches 3000 Jahre lang unverändert existierte. Das liegt oft daran, daß sie ihr Wissen aus veraltete Quellenliteratur beziehen, die auch heute noch in großer Zahl und preiswert auf den Markt gebracht wird und so verhängnisvoll prägend wirkt. Dazu gehören die Bücher von Wallis Budge, die zwar teilweise die 100 Jahre weit überschritten haben, aber in immer neuen und preiswerten Nachdrucken publiziert werden. Budge war der festen Meinung, daß das ägyptischen Pantheon bereits in der Urzeit Ägyptens fest ausgeprägt gewesen ist und seither nur minimale Veränderungen durchmachte. Im Laufe der Entwicklung der Ägyptologie stellte man aber fest, daß dies ganz offensichtlich nicht der Fall ist. Spätestens seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts begann daher der Wandel in der Religionsauffassung. Dieser hat sich aber leider noch nicht in der populärwissenschaftlichen Literatur durchgesetzt, und Bücher der alternativen Geschichtsschreiber schweigen sich aus vielfältigen Gründen sowieso total dazu aus. Es ist eben bequemer, eine bestimmte, zu einer netten These passende religiöse Anschauung zu einer beliebigen Zeit der Geschichte Ägyptens herauszugreifen, um diese dann in die gewünschte Zeit vor- oder zurückzuprojizieren, als sich mit den jeweiligen Situationen der Stichzeit auseinanderzusetzen...
Das Bild von der ägyptischen Religion welches üblicherweise in populärwissenschaftlicher Literatur verbreitet wird, stellt oft den Stand dieser in der zweiten Hälfte des Neuen Reichs dar, also den Zustand im letzten Drittel des pharaonischen Ägypten. Eine Projektion dieses Bildes in eine andere Zeit ist schlicht unzulässig, da die ägyptische Religion ständigem Wandel unterworfen war. Besonders starke Verschiebungen traten in den ersten 1000 Jahren des vereinigen Ägyptens auf - und die Pyramidenzeit liegt genau mitten drin. Diese Religionsveränderungen waren aber nicht dergestalt wie man sie sich als Laie vorstellt. Es gab keine "siegreichen" Götter die "unterlegene" ersetzten, oder gar den kompletten Austausch ganzer Götterkreise. Die Veränderungen waren subtil und entstanden eher durch Verschmelzung als durch Verdrängung. Die Ursache dafür liegt wahrscheinlich in der Struktur Ägyptens begründet. Das Land wuchs in seiner Frühzeit einer Reihe unabhängiger Regionen zusammen, die vorher offensichtlich überwiegend friedlich nebeneinander existierten und über den Nil einen ständigen Handels- und Kulturaustausch durchführten. Durch den ständigen Austausch bereits vor der Reichseinigungsphase verschmierten viele religiöse Ideen über größere Regionen, und es kam auch zu einer Überlappung der Götterrollen. Dabei entstanden sowohl Götter mit gleichen Rollen aber unterschiedlichen Namen, als auch Götter gleichen Namens mit unterschiedlichen Rollen in den verschiedenen Regionen. Dies ist zwar spekulativ, kann aber die Eigenartigkeiten recht gut erklären. Während der Phase der Reichseinigung, die mehrere 100 Jahre dauerte, und auch noch danach kam es zu einer Etablierung eines "reichseinheitlichen" Göttermodells, welches aber immer noch lokale Variationen besaß. Den Prozess der Verschmelzung bezeichnet man als "Synkretismus". Bahnbrechende Arbeiten dazu, die noch heute anerkannt sind, stammen von Bonnet. Er schreibt:
"So führt das Ringen um das Primat in einen Wettstreit der großen Götter. Aber dieser Wettstreit ist eigener Art. Er wird nicht in der Form eines Kampfes geführt, der gegen andere Ansprüche streitet. Man nimmt sie durchaus als Gegebenheit hin und erwehrt sich ihrer Konkurrenz, indem man sie zu sich selbst hinüberzieht und dem Ruhm der eigenen Götter dienstbar macht. An die Stelle der Polemik tritt darum ein spüren nach geheimen Verbindungen, die andere Götter und Mythenkomplexe an den eigenen Götterkreis heranziehen und seine Macht weiten. So mündet der Wettstreit nicht in einer Isolierung und gegenseitigen Abschließung, sondern in einer Verflechtung der rel. Besitzstände aus. Diese Verflechtung zielt auf mehr als eine äussere Verkopplung ab; sie wird zur Verschmelzung. Denn mit den Antrieben, die von der äusseren Lage, wie sie oben gekennzeichnet ist, kommen, trifft ein Drang zusammen, der tief im rel. Bewusstsein des Äg. eingebettet ist, der Drang zu einem synkretistischen Ausgleich."[4] Dieser Synkretismus als beherrschendes Element ist auch wichtig zum Verständnis der späteren Betrachtung der Rolle des toten Königs. Die Folgerungen dort sind mindestens genauso schwerwiegend wie dieses Lehrbuchbeispiel für den Synkretismus bei einem weiteren Kernbeleg der Orion-Theorie, den wir uns nun ansehen:
Horus
Der Gott Horus wird von Bauval in Punkt (1) als Beleg für einen uralten Osiris herangezogen. Zur Erinnerung:
"Ägyptologen haben aufgezeigt, daß die altägyptische Theokratie auf der Vorstellung beruhte, daß der König zu Lebzeiten die Reinkarnation des Horus, des ersten Gott-Königs Ägyptens sei, und damit auch Sohn von Osiris und Isis." Wir erinnern uns: In der Osirislegende taucht Horus als das Kind von Isis und Osiris auf. Gleichzeitig ist bekannt, daß sich schon die ältesten Pharaonen mit Horus identifizierten. Sogar die älteste überhaupt bekannte Namensform eines Pharaos ist sein sogenannter Horusname. Wenn also Horus das Kind von Isis und Osiris ist, und Horus nachgewiesenermaßen ur-ur-alt ist, muss Osiris zwangsweise ebenso ur-ur-alt sein. Das ist leider ein typischer Fall von denkste. Die Osiris-Legende beginnt nämlich schon bei Plutarch früher als ich oben angeführt habe, nämlich mit der Erschaffung der Erde durch Geb und Nut. Dort wurden nicht nur die Götter Isis und Osiris, Seth und Nephytis geboren, sondern auch - Horus! Horus als Bruder des Osiris. Aber Horus soll doch der Sohn von Isis und Osiris sein? Plutarch wusste, daß da "etwas nicht stimmte". Er lebte ja über 2500 Jahre von der Entstehungszeit der Legende, die sich inzwischen in viele verschiedene Richtungen entwickelt hatte entfernt, und war mit vielen Bruchstücken konfrontiert, die nicht so recht zusammenpassten. So verwendete er einen Kunstgriff, um diese offensichtliche Diskrepanz zu erklären, und machte kurzerhand Horus zu Bruder UND Sohn:
"Isis und Osiris aber liebten einander schon vor ihrer Geburt und wohnten einander im Mutterleib in der Finsternis bei. Einige behaupten, auf diese Weise sei Haroeris gezeugt worden, und er werde von Ägyptern der ältere Horus(Horsemsu, Anm. FD) genannt, von den Griechen Apollo."[5] Das funktioniert leider nicht bei anderen überlieferten Bruchstücken der Legende, in denen erst der tote Osiris den Horus zeugt. Hier sehen wir also schon die erste Diskrepanz. Aber Horus als Bruder des Osiris wäre ja immer noch annehmbar und ein Zeichen für die frühe Existenz des Osiris. Leider ist der Teil der Legende, in der die 5 Epagomen (so bezeichnet man die Kinder von Geb und Nut, also Isis, Osiris, Seth, Nephytis und Horus) geboren werden auch nicht sehr alt. Die allererste beiläufige Erwähnung gibt es in den späten Pyramidentexten. Ein einziges mal in einer Königinnenpyramide vom Ende der 6. Dynastie, in 1963 c[6]. Ähnlich mager sieht übrigens auch die Beleglage der Isis in ihrer Rolle als Osiris-Geliebte in den frühen Texten aus...[7] Ja, Horus ist ein alter Gott. Aber der alte Falkengott, der schon in der Frühzeit Ägyptens verehrt wurde, hat mit dem späteren Horus eigentlich nichts zu tun. Der Falkengott der Frühzeit (Hor semsu- Horus der Ältere, wie er späterhin von den Ägyptern selbst zur Unterscheidung von Horus, dem Sohn der Isis (Harsiese) genannt wird) ist ein Himmelsgott, der in den Pyramidentexten als "Herr des Himmels" (CT-MR) bezeichnet wird. Dieser Gott ist es, den die frühen Falkendarstellungen (vor allem auch in den Titulaturen der frühen Pharaonen) abbilden. Seine Mutter ist laut den Pyramidentexten Hathor, später werden auch Geb und Nut als Eltern genannt.[8] In den Pyramidentexten existiert sogar der Spruch 534, der den Unterschied zwischen Horus dem Älteren und den Göttern des Osiriskreises (inklusive Horus dem Jüngeren) im Sinne einer Abweisung letzterer klar herausstellt: Zuerst ( 1264) beginnt Horus der Ältere eine Rede, in dessen Verlauf er den Pharao anweist, nicht seine Arme für Horus den Jüngeren und seine "bösen Dinge" zu öffnen...( 1268) In die Osirislegende wurde "ein" Horus erst spät integriert. Schon 1934 schrieb Adolf Erman:
"Die eigentliche Heimat des Horus wird im Delta gelegen haben; das möchte man schon daraus schließen, daß er gleichsam als der Nationalgott dieses Landes gilt, im Gegensatz zu dem Gotte Seth, dem Oberägypten zusteht. In beiden Göttern zusammen sieht man dann den Herrscher Ägyptens."[9] Ups, Horus und Seth? Nicht Osiris und Seth? Richtig, denn das alte "Dynamische Duo" bestand aus Horus und Seth statt aus Osiris und Seth (daher ist die frühe Existenz Seths genauso wenig ein Zeichen für die frühe Existenz von Osiris wie die frühe Existenz von Horus dem Älteren - aber das nur nebenbei). Weiter schreibt Erman:
"Besonders volkstümlich wurde Horus, als man ihn in die Osirissage hineinzog, wo er als armes Waisenkind, Horus der Sohn der Isis, Harsiesis das Mitgefühl erregte."[10] Erman, obwohl Anhänger des zu der Zeit noch weit verbreitetem Urzeit-Osiris, erkennt zudem, daß der Osirisgeschichte viele Dinge hinzugefügt wurden die mit der ursprünglichen Geschichte nichts zu tun haben, wie das Horusauge oder eben auch Horus und Seth als Widersacher.[11]. Zu Ermans interessanten Erkenntnissen zu den Pyramidentexten komme ich auf den folgenden Seiten noch zurück. Bonnet schreibt zur Entwicklung des Horus:
"So weit wir sehen können ist der große Falkengott Horus der erste, der unter den Ortsgöttern zu einer das ganze Land überspannenden Vormachtstellung aufwuchs. Er hat sie bereits zur Vorzeit gewonnen. Schon die beiden Teilreiche, die dem Einheitsstaat der gesch. Zeit vorangehen, verehren ihn in ihren Königsstädten ... als ihren Hauptgott. ... Zum ersten ist Horus Königsgott. Als solcher tritt er schon in den beiden vorgeschichtlichen Teilreichen neben die Landesgöttinnen Nebchet und Uto."[12] Horus war also schon existent, als der Rest der ägyptischen Götterwelt noch überhaupt nicht ausformuliert war. Somit ist jede zwangsläufige Verknüpfung des Horus mit Isis oder Osiris hinfällig. Bonnet fährt fort:
"Das Königtum des Horus ist grundlegend für das Königsdogma wie für die Gestalt des Gottes selbst. ... Je und dann künden sich gleichgerichtete Ansprüche eines anderen Gottes, des Seth, des Herrn des oberäg. Ombos an. Er vermag sich nicht durchzusetzen; der Primat des Horus bleibt unerschüttert. ... Denn die Rivalität die zwischen Horus und Seth waltet, entlädt sich nicht in einem Kampf, der bis zur Vernichtung eines Gegners geführt wurde; sie endet vielmehr in echt ägyptischer Art in einem Ausgleich. ... Der Ägypter weist dann jedem der beiden Götter eine der beiden Landeshälften zu. ..."[13] Seth trat also erst viel später als Horus auf den Plan. Und offenkundig noch nicht als der später verachtete Feind. Weiter geht's:
"Der Kampfmythos fügt sich weiter einem dritten Sagenkreis ein, in den Horus früh hineingezogen wurde. Er wird zum Sohn der Isis... und tritt damit in den Osiriskreis ein. ... An sich hatte ja Horus mit den Göttern von Busiris nichts zu schaffen. Seine Einfügung in ihren Kreis schuf sogar genealogische Schwierigkeiten, die an ihrem Teil Anlaß zur Abspaltung einer besonderen Form des Horus, des "großen" Horus ... gaben."[14] Damit ist offensichtlich, daß der Horus als Sohn von Isis und Osiris eine Kunstschöpfung ist, die auf den Synkretismus in der Frühzeit des Alten Reichs zurückzuführen ist. Und das der alte Königs-Horus nichts mit der Rolle des Isissohns Horus zu tun hat. Und daß daher das Auftauchen des Horus keinen Aufschluss über die Existenz von Osiris gibt. Er ist daher als Beleg für einen frühen Osiris schlicht ungeeignet.
Ein weiteres Symbol für den frühen Osiris wird zwar nicht von Bauval selbst angeführt, aber von Verteidigern seiner These, die ein wenig mehr Ahnung von Ägyptologie haben als er. Aber auch bei diesem Symbol läuft man in dieselbe Falle wie bei Horus. Es ist der Djed-Pfeiler
Die Herkunft und ursprüngliche Bedeutung des Djed-Pfeilers ist unbekannt. Was er ursprünglich darstellte ist umstritten. Einige sehen in ihm ein Bündel von Korngarben ("Korn-Djed"), andere sind der Auffassung, die Säule stelle einen entasteten Baumstumpf dar, wieder andere sehen in ihm eine Säule aus Schilfbündeln - die Ansichten sind so kontrovers wie vielfältig (jene, welche im Djed einen elektrischen Isolator oder Stromerzeuger sehen wollen gar nicht mitgezählt ;-)) Ich möchte mich hier auch gar nicht weiter über die Natur seines ursprünglichen Vorbildes auslassen, für uns genügt, daß er da ist. Und das bereits seit frühdynastischer Zeit.[15]. Das Wort "Djed" wird für den Begriff "Dauern" verwendet. Beständig, lang anhaltend. So wird er zum Beispiel als Stütze des Himmels verwendet, und galt auch schon früh als Symbol der Dauerhaftigkeit des Königtums. Und genau in dieser Form gilt er als Indiz für einen frühen Osiris. Er soll die Wirbelsäule dieses Gottes gewesen sein. In Teilen der Osiris-Sage ist ein Djed-Pfeiler der Ersatz für den nicht wiedergefundenen Penis des zerstückelten Osiris, und das "Aufrichten des Djed" war als Höhepunkt des Sed-Festes ebenfalls mit Osiris verknüpft. Djed und Osiris, und Djed und die Frühzeit, sind dermaßen eng miteinander verzahnt, daß frühe Ägyptologen überhaupt keinen Zweifel daran hatten, daß der Djed ein urzeitlicher Fetisch und Osiris daher ein urzeitlicher Gott sein muss. Der große Religionsexperte Erman zum Beispiel verwendet diese Verknüpfung als Beweis für die frühe Existenz von Osiris und von Osirisfesten.[16]. Bonnet vermerkt, daß diese Verbindung so natürlich und wurzelhaft wirkt, daß an dieser weit zurückreichenden Verbindung lange keinerlei Zweifel bestanden. .[17] Aber auch hier ist die Forschung nicht stehengeblieben. Und erneut setzte der Wandel in der Auffassung in der zweiten Hälfte der 30er Jahre ein. Während Erman noch 1934 keinerlei Zweifel an Alter und Verbindung des Fetischs hatte, vermeldete Hermann Kees nur 7 Jahre später eine völlig gegenteilige Faktenlage:
"Man hat viel herumgedeutet, was dieses merkwürdige Zeichen eigentlich darstellen sollte. Die Erklärungen wurden meist durch die Voreingenommenheit gehemmt, daß dieses Symbol von Anfang an dem Osiris zugehöre. Aber die auf diesem Boden gefundenen Lösungen, vor allem die als entlaubter Baum, sind ebenso unwahrscheinlich, wie die jüngsten theologischen Ausdeutungen der Ägypter, die eine durch die Osirismythen bestimmte Symbolik hineintragen mußten. Es hat sich trotzdem genügend altes mit dem Djedpfeiler verbundenes Brauchtum erhalten, um die anfängliche Unabhängigkeit dieses Kults von der Osirisgestalt zu erweisen. (Anm. 6: Zwei Djedpfeiler als Holme der Himmelsleiter aufgestellt Pyr. 389b Als Haltepfosten (?) in Verbindung mit der Sonnenbarke Pyr. 1255. "Zwei Djedpfeiler des Re" auch in Sargtexten erwähnt Kees, Totenglauben S. 296)"
Speziell aus der Anmerkung ist ersichtlich, daß Djed und Osiris also auch zur Zeit der Pyramidentexte noch keine Einheit darstellten! Kees schreibt weiter:
"Vor allem hat der memphitische Kreis den heiligen Djedpfeiler aus Busiris ohne jede Rücksicht auf Osiris in den Kultkreis des Ptah übernommen. In Memphis wurde das Fest des "Aufstellens des Djedpfeilers" sicherlich nach dem Vorbild von Busiris, in engster Verbindung mit Königsfesten, also wiederum als Symbol einer "dauerhaften" Gewährleistung der Herrschaft des Gottkönigs gefeiert. Selbst die symbolische Ausdeutung dieser Handlungen, die uns ein altes Krönungsschauspiel der Thinitenzeit überliefert hat, vergleicht den Djedpfeiler, der sich neigen muss, dem enthaupteten Seth, also dem Mörder des Osiris! Das wäre völlig ausgeschlossen, wenn es sich dabei um ein dem Osiris schlechthin wesensgleiches Symbol handelte."[19] Tja, dem ist eigentlich kaum was hinzuzufügen. Weder der Djedpfeiler noch das "Aufrichten des Djed" waren also von Anfang an mit Osiris verknüpft. Diese Einstellung gilt noch heute. Richard Wilkinson vermerkt
"Es ist bekannt, daß der Djed seit dem Alten Reich mit dem memphitischen Schöpfergott Ptah verknüpft war, der selbst als der "nobele Djed" umschrieben war. ... Durch einen Prozess der Assimilation ... wurde der Gott Ptah Schritt für Schritt mit den Unterweltgottheiten Sokar und Osiris gleichgesetzt, und zu Beginn des neuen Reichs wurde der Djed weitverbreitet als Symbol des Osiris verwendet und wurde als Repräsentation seiner Wirbelsäule gesehen. ..."[20] Der Überlieferungsweg ist daher klar: als Seth-Symbol (bzw. als Symbol für seine Unterwerfung) in der Frühzeit, als Ptah-Symbol in der für die Orion-Theorie relevanten Zeit, und erst viel, viel später ein Symbol für den Osiris. Die älteste Verknüpfung des Djed mit Osiris in Form der Feier der "Aufrichtung des Djed" findet sich übrigens in einer Inschrift von Amenhotep III aus der späten 18. Dynastie[21]. Weit über 1000 Jahre nach der ersten "Orion-Pyramide". Als Beleg für einen frühen Osiris ist auch das nicht verwertbar. Das Osireion
Auch dieser Beleg wurde nicht von Bauval sondern von anderen Befürwortern angeführt. In der alternativen Szene spielt dieses Bauwerk generell eine wichtige Rolle, auch als Beleg für ein Uralt-Ägypten. Aber später mehr dazu... Wir erinnern uns, daß eine Variante der Osirislegende die Zerteilung des Osiris in 14 Teile beschreibt. Diese sollen, wieder einem Teil der Legende zufolge, über ganze Ägypten verstreut worden sein. Und wiederum gemäß eines Teils der Legende soll Isis auf der Suche nach den Teilen für jedes ein eigenes Grab errichtet haben. Leider ist keines dieser Gräber erhalten geblieben. Wirklich keines? In Abydos gibt es einen offenkundig uralten Bau in einem archaischen Architekturstil. Abydos gilt außerdem als der Ort, wo der Osiriskult erstmals überregionale Bedeutung erlangt hat. Und in Abydos soll der Schrein mit dem Kopf des Osiris bestattet worden sein[22]. Was liegt daher näher als die Vermutung, daß es sich bei diesem gefunden Bauwerk, dem berühmten Osireion, auch wirklich um eines der ursprünglichen Osirisgräber handelt?
Fig. 8 - Das Osireion. Foto: Gitta Warnemünde Die Analyse des Osireions durch die frühen Ägyptologen ist der in meinen Augen ein fataler Fall einer Zirkelargumentation. Flinders Petrie, der Vater der modernen Ägyptologie, hatte keinerlei Zweifel daran, daß das vermeintliche Osirisgrab uralt sei, da Osiris ein uralter Gott war.[23]) Der bekannte englische Ägyptologe Wallis Budge argumentierte genau anders herum: da das Osireion uralt war (was ja schließlich Petrie festgestellt hatte), und Abydos nur ein späterer Kultort des Osiris war, müsse der Gott Osiris noch viel, viel älter sein.[24]. Ohne Basisfakten schaukelten sich beide Datierungen aneinander auf.
Warum hielt man das Osireion für so alt? Das liegt an seiner Bauweise. Das Osireion ist in einer seltsamen grobschlächtigen Architektur errichtet worden, die man sonst nur aus sehr frühen Zeiten kennt. Bunkerartig und massiv, mit klobigen, vierkantigen Säulen, die 55 Tonnen pro Stück wogen und eine einfache Kragsteindecke trugen. Dies steht ganz im Gegensatz zu den luftigen Konstruktionen des Neuen Reichs mit seinen weitläufigen Pfeilerhallen, wie sie zum Beispiel im benachbarten Sethos-Tempels bestaunt werden können. Diese Bauweise entspricht definitiv der des frühen Alten Reichs, sie ähnelt zum Beispiel der des Taltempels der Chephrenpyamide[25]). Von daher ist die Einschätzung des Osireion-Alters anhand der Architektur durch die frühen Ägyptologen verzeihbar.
In der Zwischenzeit hat man allerdings viele sogenannte Osiris-Scheingräber ausgegraben. Privatpersonen im Neuen Reich die etwas auf sich hielten brachten in ihren Gräbern entweder Kornmumien (auch Osirisbetten genannt) unter[26] oder zumindest Gemälde von Osirisgrabstätten an. Wer mehr Raum zur Verfügung hatte, spendierte oft einen eigenen kleinen symbolischen Osirissarg in seinem Grab, wirklich gut Betuchte legten gar ein komplett eigenes Osiris-Scheingrab an. Ein Beispiel ist zum Beispiel das jüngst "wiederentdeckte" Osirisgrab unter dem Chephrenaufweg in Giza. Eigene Osiris-Scheingräber versuchten, die Architektur der "originalen" Osirisgräber nachzuempfinden. Dies sind die leider alle verschollenen Kultanlagen der Städte, die sich als Grabstätte eines Teils von Osiris sahen (und daher Austragungsorte der Osirisfeste waren). Nach Bonnet sind allerdings von vier Gräbern (Philae, Abydos, Memphis und Busiris)Überlieferungen bekannt, die Aufschluss über die Anlage liefern:[27]
Der Sarg lag auf einer Insel Das Grab lag in er sogenannten "unteren Dat", einem unterirdischen Raum mit Nischen Ein Hügel oberhalb des Grabes, die "Obere Dat", symbolisierte den Urhügel Ein Hain mit Bäumen neben dem Grab sollte als Aufenthaltsort für die Ba-Seele von Osiris dienen Die privaten Osirisgräber waren daher oft ebenfalls zweigeteilt. Der Oberbau bestand aus einem Hügel, der oft bepflanzt gewesen ist, und von einem "Heiligen Hain", einer Baumbepflanzung, umgeben war. Darunter lag eine unterirdische Halle, stellenweise Dutzende von Metern tief in den Fels gehauen. Kern des unterirdischen Baus war immer eine "Insel", eine erhabene Plattform die von einem Wassergraben umgeben war, auf dem der Sarkophag stand. Das Dach dieser Insel war von Pfeilern gestützt. Speziell dieses archaische Pfeilerthema findet sich auch in vielen Kammern in den Gräbern des Neuen Reichs. Oft sind entsprechende Pfeilerhallen im Tal der Könige in gänzlich ungeschmückten Räumen ausgeführt, im starken Kontrast zu den sonst reichhaltig geschmückten sonstigen Kammern und Gängen.[28] Oft befanden sich entweder in der Haupt- oder einer Nebenkammer sieben Nischen, die für die 7 Pforten des Duats standen[29], wie das berühmte Osirisgrab in Giza (auch wenn dort die siebte Nische zu einer echten "Pforte" zur tiefergelegenen Inselkammer umgebaut wurde). Auch Vielfache von Sieben waren üblich, da die Sieben eine spezielle Verbindung zu Osiris hat. Richard H. Wilkinson notiert dazu:
"Die Nummer Sieben war oft verschiedenen Göttern in unterschiedlichen Weisen zugeordnet. ... Der in Abydos verehrte Götterkreis bestand aus sieben Göttern, und diese Zahl ist auch oft mit Osiris assoziiert worden, dem großen Gott dieser Region. Vielfache von Sieben waren auch extrem verbreitet. Gemäß dem Mythos wurde der Körper von Osiris durch Seth in 14 Teile geschnitten ... Das Buch der Toten stellt Sprüche bereit, die von dem Toten rezitiert werden müssen, wenn er durch die Pforten des Hauses des Osiris schreitet, welches normalerweise 21 davon hat, obwohl es in einem Papyrus mit sieben Türen dargestellt ist, was die Relation zu Basiszahl aufzeigt. ..."[230] Das Osireion verfügt über alle klassischen Osirisgrab-Details. Reste eines Hügels wurden gefunden, Pflanzlöcher zeigen, daß die gesamte Anlage mit einem heiligen Hain umgeben war[31], und im Zentrum liegt eine große unterirdische Insel, die von Nischen umgeben ist. Aber ist es nun ein echtes, orgiginales Osirisgrab, oder nur ein wenn auch sehr großes Osiris-Scheingrab? Auch hier setzte in den 30'er Jahren eine Wende in der Betrachtung ein. Trotz intensiver Ausgrabungen konnte man nämlich keine andere Bezeichnung für die Anlage finden als "Nützlich ist Men-Maat-Re [Sethos I.] für Osiris"[32]. Sethos I ist aber ein König der 19. Dynastie. Dieser hat in unmittelbarer Nähe außerdem einen weiteren großen Tempel bauen lassen (den mit den berühmten "Helikoptern"). Und beide Anlagen waren von einer gemeinsamen Mauer umgeben. Dies zeigt, so die Ägyptologen, daß das Osireion in archaisierender Weise von Sethos I errichtet wurde! Großes Alter sollte vorgetäuscht werden, ein Trick der speziell im Neuen Reich noch häufiger belegt ist. Ausführliche Analysen zeigten, daß der Sethostempel als Totentempel aufzufasssen ist, mit dem vermeintlichen Osirisgrab als das dazu gehörende Scheingrab (Kenotaph) für den "zu Osiris gewordenen" (= verstorbenen) König Osiris-Sethos.[33]
Warum war den alten Ausgräbern, wie dem doch so renommierten Petrie dies entgangen? Der Grund ist ganz einfach: Er drang schlicht und einfach noch nicht zu den Stellen vor, an denen sich erklärende Inschriften befanden. Obwohl die Wände des Tempels mit Inschriften überzogen sind:
Die gesamte Freilegung des Bauwerks dauerte aber fast 30 Jahre. Während dieser Zeit wandelte sich wie oben gesehen das Bild zu Osiris - und gleichermaßen auch die Einschätzung dieses Bauwerks. So war man schon bevor Henry Frankfort in den 30'er Jahren den unverrückbaren Beweis für die Bauurheberschaft von Sethos fand der Auffassung, es müsse jüngeren Datums sein. Und woraus bestehen diese "unerschütterlichen Beweise"? Wie häufig in Ägypten wurden die Blöcke des Osireions mit Klammern zusammengehalten, auch die schweren Granit-Decksbalken waren auf diese Weile mit den massiven Säulen verzapft gewesen. Ein Teil dieser Klammern konnte geborgen werden - und sie trugen den Namen von Sethos. Damit geht die Basiskonstruktion nachweislich auf ihn zurück. Zudem bestand das Osireion aus mit Granit verkleideten Sandsteinblöcken. Während der Freilegung wurden einige der schweren Verkleidungsblöcke aus Sicherheitsgründen geborgen - und auch auf den dahinterliegenden Wandblöcken tauchte der Name von Sethos auf! In weiten Kreisen der alternativen Geschichtsschreibung gilt das Osireion dennoch weiterhin als uralt. Die Ergebnisse von Frankfort (obwohl 60 Jahre alt) sind dort unbekannt, Strukturanalysen gelten dort als suspekt (und daher irrelevant) ) oder sind, weitaus häufiger, als wissenschaftliche Methode gar nicht bekannt, und Inschriften besagen in den Augen der alternativen Vertreter nichts. Es gibt aber neben den Inschriften und Analysen ganz triftige Gründe die für ein geringes Alter des Osireions sprechen, und die sind in der Religion der Ägypter verankert.
Duat = Unterwelt?
Das Totenreich der Ägypter, die Duat, wird oft als "Unterwelt" übersetzt. Osiris war der Herrscher der Unterwelt, daher ergeben die gefundenen unterirdischen Osirisgräber, mit Scheintüren die ins Gestein, ins Innere der Erde führen also Sinn. Die Duat als Unterwelt ist aber nur eine Seite der Medaille, der Begriff "Jenseitswelt" ist weitaus passender. Denn in der Pyramidenzeit war die Situation ein wenig anders. Hans Bonnet schreibt dazu:[34]
"Zu den Stätten, an denen die Toten verweilen, zählt die Dat oder Duat, wie eine anscheinend ältere Nebenform lautet. Schon die ältesten Texte reden von ihr, und mit der Zeit wird sie mehr und mehr zum eigentlichen Jenseitsland. Ihre Lokalisation ist dabei nicht immer die gleiche; erst mit dem Neuen Reich wird sie völlig eindeutig. Seitdem versteht man unter der Duat durchaus die Unterwelt ... Diese Lokalisierung der Duat in der Unterwelt ist der älteren Zeit nicht fremd. ... Zumeist verlegen sie aber doch die Duat in den Himmel. In sie wird der Tote aufgenommen, nachdem er auf der Himmelsleiter aufgestiegen ist (Pyr.390). Auch von den "Bewohnern der Duat", unter denen der Tote verweilt ist die Rede (Pyr.953). Nach der Schreibung sind unter ihnen die Sterne verstanden. ... Daß die Gedanken der Pyramidentexte mehr bei der himmlischen Duat weilen, versteht sich von selbst, da ihr Jenseitsbild ein betont himmlisches ist. Ebenso einleuchtend ist es, daß mit dem Abklingen dieses Jenseitsbildes zu der "unteren Duat" ... zurückkehrt, um schließlich ganz bei ihr zu verweilen. ..." Noch klarer formuliert den Übergang Erik Hornung in seiner Nachtfahrt der Sonne. Im Kapitel "Das himmlische Jenseits der älteren Zeit" lesen wir:
"Vorstellungen über die Nachtfahrt der Sonne oder über die Jenseitsreise des Verstorbenen reichen in Ägypten tief in die Vorgeschichte zurück. Schon die Verzierung einer Tonschale aus der ältesten Negadezeit, um die Mitte des 4. Jahrtausends v. Chr., lässt sich als schematische Darstellung des Sonnenlaufs durch Wüstengebirge und Urgewässer deuten ... Bevorzugt aber wird bei den Pyramiden von Anfang an die Nord-Orientierung, bei welcher der Eingang des schrägen Korridors, der zur Grabkammer hinunterführt, auf die Region der Zirkumpolarsterne verweist. ...In den Sprüchen dieser Sammlung [den Pyramidentexten, Anm. FD] ist der Aufstieg des verstorbenen Königs zum Nachthimmel, unter die "unvergänglichen Sterne", die beherrschende Idee. Schon vor den Pyramidentexten lässt sich diese Idee in den Namen der königlichen Grabanlagen und im Namen von Arbeitertrupps greifen ... Deutlich ist, daß auch die Vorstellung vom Ach, der Bezeichnung für selig verstorbene, und von der aktiven, frei beweglichen Ba-Seele ursprünglich mit diesem königlichen Jenseits am Nordhimmel verbunden sind und erst später ins westliche Totenreich übertragen werden. ... Dort oben begegnet der verstorbene König dem Sonnengott ... Wesentlich reicher sind diese Vorstellungen [einer unterirdischen Unterwelt, Anm. FD] in den Sargtexten des Mittleren Reiches ausgestaltet. Immer noch spielt der Aufstieg zum Himmel eine wichtige Rolle, ... das himmlische Jenseits ist jetzt nicht länger königliches Privileg, sondern steht jedem offen. Daneben aber finden wir Aufenthalt und Herausgehen aus dem Nun, dem Urgewässer, und das Reich des Erdgottes. ... Äusserlich lässt sich die Verlagerung des Schwerpunktes vom Himmel in die Unterwelt ganz klar ablesen an der Grundrissänderung, die Sesostris II um 1840 v. Chr. in den unterirdischen Räumen seiner Pyramide in Illahun vorgenommen hat. ... Es sind die gekrümmten, vielfach geknickten Wege der Unterwelt, die jetzt die Architektur des Königsgrabs bestimmen und einige Zeit später auch zur Aufgabe der Pyramidenform führen, die ja aufs engste mit dem himmlischen Jenseits des Königs verbunden ist."[35] Die oben erwähnten Pyramide von Sesostris II gilt übrigens als die älteste bekannte Form eines Osirisgrabs![36] Damit sind die Belege für frühzeitliche Osirisgräber in sich zusammengefallen. Ausnahmslos alle entsprechenden Strukturen stammen aus dem Zeitraum nach dem späten Mittleren Reich, Hunderte von Jahren nach dem Ende der für die Orion-These wichtigen Pyramidenzeit des Alten Reichs. Osirisgräber sind daher als Beleg für die urzeitliche Existenz des Osiris gegenstandslos. Im übrigen demolieren die klaren Worte von Hornung zum Reiseziel der Seele des Toten die Basisidee der OCT weiter.
Zwischenfazit
Auf dieser Seite wurden indirekte Beweise für eine frühe Osiris-Existenz untersucht. Weder früher als sicher angesehene architektonische Belege noch die Osirislegende mit ihren Haupt- und Nebenfiguren können aber als Beleg dafür herangezogen werden. In der für die Orion-These wichtigen Zeit scheint Osiris ein "unsichtbarer Gott" gewesen zu sein.
Anmerkungen: [1] siehe u.A. Budge, E.A.Wallis; The Gods of the Egyptians, London 1904, Vol. II S. 124 [2] Eine deutsche Übersetzung findet sich bei Brunner-Traut, Emma; Altägyptische Märchen, Diederichs 1963, S. 121 ff [3] Siehe zum Beispiel den Artikel zu Osiris von Serge Sauneron in Posener, Georges (ed), Lexikon der ägyptischen Kultur Droemer 1960 S. 192 [4] Bonnet, RÄRG S. 237 ff [5] Brunner-Traut, Märchen, S. 122 [6] Scharff, Alexander; Die Ausbreitung des Osiriskultes in der Frühzeit und während des Alten Reiches, Sitzungsbericht der Bayrischen Akademie der Wissenschaften 1947/Heft 4, S. 16 Anm. 53 [7] ibd. [8] Lexikon der Ägyptologie(LÄ), Vol III, S. 13-14, "Horsemsu" [9] Erman, Adolf; Die Religion der Ägypter, de Gruyter 1934, S. 29 [10] ibd. S. 30 [11] ibd. S. 69 [12] Bonnet, RÄRG, S. 307 f "Horus" [13] ibd. S. 308 [14] ibd. S. 310 [15] Wilkinson, Toby; Early Dynastic Egypt, Routledge 1999 S. 292 [16] Erman, Adolf, Die Religion der Ägypter, de Gruyter 1934, S. 34, 183 [17] Bonnet, RÄRG, S. 150 f "Dedpfeiler" [18] Kees, Götterglaube, S. 97 [19] ibd. S. 98 [20] Wilkinson, Richard H.; Reading Egyptian Art, Thames & Hudson 1992, S. 165, Übersetzung durch mich [21] Shaw, Ian & Nicholson, Paul (ed.); British Museum dictionary of Ancient Egypt, British Museum Press 1995, S. 86 "Djed Pillar" [22] u.A. Budge, Gods, S. 131 [23] z.B. Petrie, Flinders; Abydos I, London 1902, S. 1 [24] Budge, Gods S. 117ff [25] Ein Vergleich findet sich in Clarke/Engelbach; Ancient Egyptian Masonry; The building craft, London 1930, S. 131 f und S.148 ff [26] das waren kleine Kästen in Mumienform, mit Erde und Saatgut gefüllt, oder auch kleine Tonmumien mit Löchern, ebenfalls mit Erde gefüllt, in denen das Getreide keimen sollte, siehe z.B. Helck/Otto; Kleines Lexikon der Ägyptologie, Harrassowitz 1999, S. 156 [27] Bonnet, RÄRG S. 576 "Osirisgrab" [28] Zur Architektur eines Osirisgrabs siehe z.B. Arnold, Dieter; Lexikon der ägyptischen Baukunst, Artemis 1994, S. 183 [29] Bonnet, RÄRG S. 576 "Osirisgrab" [30] Wilkinson, Richard H.; Symbol & Magic in Egyptian Art, Thames & Hudson 1994, S. 235 f [31] Arnold, Dieter; Die Tempel Ägyptens, Artemis 1992, S. 171 [32] Otto, Eberhard & Hirmer, Max; Osiris und Amun, Hirmer 1966, S. 50 [33] ibd. S. 46 ff [34] Bonnet, RÄRG S. 148 f "Dat" [35] Hornung, Erik; Die Nachtfahrt der Sonne; Eine altägyptische Beschreibung des Jenseits, Artemis & Winkler 1991, S 207 ff [36] Arnold, Lexikon, S. 183, Stichwort "Osiris-Grab"