Die Macht des Krokodils
ANGELIKA LOHWASSER
Auf dem napatanischen Privatfriedhof von Sanam, der 1912/13 von
F. L. GRIFFITH ausgegraben wurde, fand sich im Grab 151 ein kleines
Fayenceplättchen, das heute im Rijksmuseum van Oudheden (Leiden) unter
der Inv.-Nr. F 1940/11.10 aufbewahrt wird.2 Auf diesem Plättchen ist auf der
Vorderseite ein König abgebildet, der ein Krokodil speert, auf dem er steht.
Über dem Krokodil, dessen Schnauze zusammengebunden ist, ist eine große
Maatfeder wiedergegeben, vor der Krone des Königs ein kleines Udjat. Auf der
Rückseite des Plättchens sind zwei Skorpione dargestellt.
In der ägyptischen Mythologie hat das Krokodil einen höchst ambivalenten
Charakter. Einerseits ist es das gefährliche Ungeheuer, das den Menschen im
und am Nil tötet, andererseits wurde es in verschiedenen Regionen göttlich
verehrt. Die Verehrung dürfte vor allem eine Besänftigung des Raubtieres zum
Ziel haben – die Furcht vor dem todbringenden Wassertier bewirkte den
Glauben an ein göttliches Wesen, dessen Wohlwollen errungen werden sollte.
Auf unserem Amulett ist allerdings nicht ein Krokodilgott, sondern ein Symbol
einer (bösen) Zaubermacht, das bezwungen werden muß, gezeigt. Diese
Metapher ist in Ägypten gut belegt. Am bekanntesten sind sicher die
Darstellungen des "Horus auf den zwei Krokodilen", den sogenannten Horusstelen.
Ähnlich zu unserer Darstellung des Krokodils mit der zusammengebundenen
Schnauze ist die Vignette zum Totenbuch-Spruch 31, dem
"Spruch, um das Krokodil zu vertreiben, das herankommt, um den Zauber des
NN von ihm fortzunehmen im Totenreich". Das Krokodil wird im Totenreich –
genauso wie in der Welt der Lebenden – als Bedrohung empfunden, gegen die
man sich einerseits mit Sprüchen, andererseits mit Amuletten schützen möchte.
Eine andere Szene ist nicht im Totenkult verankert, zeigt jedoch formal eine
enge Parallele zu unserem Plättchen: Sched auf dem Streitwagen, der wilde
Tiere erlegt. In dieser Szene steht Sched zusammen mit einer Begleitperson
auf dem Wagen. Die kleine Person neben ihm hält zwei Seile in der Hand,
deren Ende jeweils einem Krokodil um die Schnauze gebunden ist. Die
Krokodile, die unter dem geflügelten Zugtier des Streitwagens dargestellt sind,
wenden in der Regel den Kopf in Richtung Sched zurück, so wie das Krokodil
auf unserem Plättchen den Kopf zum König zurückwendet. Wir sehen also, daß
sowohl das Motiv - Speeren des Krokodils, das eine zusammengebundene
Schnauze hat - als auch der Kontext - Krokodil im Totenbereich - in der
altägyptischen Kultur belegt ist.
Auch im antiken Sudan wird die Gefährlichkeit des Krokodils gefürchtet. Darstellungen
von Krokodilen findet man als Felsbilder (Vorgeschichte), auf
Keramikgefäßen (C-Gruppe, Kerma, meroitische Periode) oder als Amulette
(napatanische und meroitische Periode). Besonders hervorzuheben sind allerdings
die Abbildungen im kultischen Bereich: Einmalig ist die Darstellung eines
Krokodils mit zusammengebundener Schnauze auf dem Pylon des Löwentempels
in Musawwarat es Sufra.3 Über ihm steht der Gott Arensnuphis. Auf
dem südlichen Pylonturm ist an entsprechender Stelle ein Löwe mit aufgerissenem
Maul unter dem Gott Sebiumeker liegend dargestellt.4 Nach WENIG
(1987: 52) ”symbolisiert der Löwe den Krieg/Kampf und das ‚pazifizierte‘
Krokodil die Schöpfung/den Frieden.” In der Szene 1/2/1 (Säule 1 im Löwentempel)
ist ebenfalls Arensnuphis auf einem Krokodil zu sehen.5 Außerdem ist
in Szene 5/2/3 (Säule 5 im Löwentempel) der König auf einem Krokodil stehend
gezeigt.6 Dem König gegenüber steht ein nicht zu identifizierender Gott auf
einem Löwen. Nicht nur im Löwentempel, auch in der Großen Anlage von
Musawwarat es Sufra finden sich Darstellungen von Krokodilen. Auf der Wand
115/106 ist ein Ritzbild (”Sekundärbild”) erhalten, das ein Krokodil zeigt, das
soeben einen Menschen verschlingt.7 Auf der Wand 116/115 ist ebenfalls als
Sekundärbild ein weiteres Krokodil angebracht. Das dritte Krokodil in der
Großen Anlage ist unter einem liegenden Löwen dargestellt.
Obwohl die Ausgangsituation sowohl in Ägypten als auch im Sudan ähnlich war
– das Krokodil wird als böse Macht gefürchtet –, ist uns bis heute noch kein
kuschitischer Krokodilgott namentlich bekannt.
Jedoch ist in der meroitischen Kultur noch ein weiterer Aspekt des Krokodils
präsent: Es ist ein Symbol des lebensspendenden Wassers und steht für Regeneration
und Wachstum. Als solches kann es in den vielen Darstellungen auf
Keramikgefäßen gedeutet werden. Noch anschaulicher wird diese Symbolik
durch die kleinen rundplastischen Krokodilsfiguren aus Bronze im Inneren von
Metallgefäßen der spät- und nachmerotischen Zeit vermittelt.9 Da Krokodile
zwar auch an Land leben können, jedoch auf das Wasser stark angewiesen
sind, ist ihr Vorkommen immer auf Wassernähe beschränkt. So sind sie in
ihrem Auftreten Garanten für das Wasser und somit dem Frosch vergleichbar,
der in ähnlichem Zusammenhang auftritt.10 . In diesem Sinne ist wohl auch die
einzige mir bekannte Darstellung eines meroitischen Krokodilsgottes zu interpretieren:
Auf einer Bronzeschale aus Gammai11 steht ein Weihrauch spendender
Priester vor dem König und verschiedenen Gottheiten, zu denen auch
ein Krokodil gehört. Das Tier liegt auf einem Untersatz und ist mit einer Art
Atefkrone und Uräus geschmückt. Als Hintergrund dienen fünf Pflanzen, die
wiederum den Zusammenhang mit Fruchtbarkeit, Wasser und Regeneration
geben. Auch der Anbringungsort der Darstellung gerade auf einem Bronzegefäß
spricht dafür. Bei dieser namenlosen Götterdarstellung wird es sich also
um einen Nilgott in Form eines Krokodils handeln.
Die Angst vor den lebensbedrohenden Kräften, die für die Meroiten allgegenwärtig
waren, führt zu dem Versuch, diesen Kräften magisch entgegenzuwirken.
Und wenn noch so viele gefährliche Tiere real getötet werden – der Vielzahl von
möglichen weiteren Exemplaren, die nahezu unsichtbar im Wasser verharren,
unverhofft auftauchen und das überraschte Opfer mit den gefährlichen Zähnen
packen und – meist durch Ertränken – töten, diesen unsichtbaren Gefahren
kann nur mit Magie begegnet werden. So ist auch dieses Plättchen zu verstehen:
es stellt einen magischen Schutz für den Träger dar, der auf jeden Fall
im Jenseits, vielleicht auch schon im Diesseits wirken soll.12 Das Krokodil hat
eine zusammengebundene Schnauze, wird durch ein Seil gehalten und noch
dazu durch einen auf seinem Rücken stehenden Mann gespeert. Dabei handelt
es sich nicht um einen bestimmten realen König, sondern um eine königliche
Macht, die dem Horus und somit der göttlichen Sphäre nahesteht. Dieser König
ist in mehrfacher Hinsicht dem Krokodil überlegen: Er ist größer als das Tier,
hat es durch ein Seil bezwungen, macht es durch das Stehen auf seinem
Rücken bewegungsunfähig. Er ist bewaffnet und steht zusätzlich noch unter
dem Schutz eines Udjat. Dieses Ungleichgewicht zwischen den Handelnden
läßt den Träger des Amuletts ganz sicher gehen, daß die böse Macht des
Tieres bezwungen wird.
Über das Krokodil in der Hochreligion der Kuschiten – die Darstellung auf dem
Gefäß aus Gammai ist bisher der einzige Beleg für einen Krokodilgott – wissen
wir zwar nichts, aber wir sehen, daß es nicht nur als reales Tier, sondern als
übernatürliche Macht gefürchtet wurde.Diese vordergründig böse Macht wird
mithilfe der Magie manipuliert, sie soll die Bösartigkeit den Menschen -
zumindest dem Amuletträger - gegenüber verlieren, soll in seiner Gefährlichkeit
gebannt werden. Es ist ein Ausnützen von Zauberkräften, die einem magischen
Objekt innewohnen, um die Macht des Krokodils zu manipulieren
http://www2.hu-berlin.de/nilus/net-publi...wasser/text.pdf
Die Wahrheit wiegt meistens schwer.