Vielleicht gibt es im Himmel ein Muster, für diejenigen wahrzunehmen, die danach verlangen, und wenn sie es gesehen haben, eines in sich selbst zu finden. Plato
Haben Talismane eine Kraft, die von ihrem Hersteller unabhängig ist? Manche glauben, daß dies für geweihte oder aufgeladene Talismane gilt. Und in alten Zeiten meinte man, jemand brauche nur einen Talisman oder ein Amulett zu tragen, das von jemand anderem hergestellt wurde, um Nutzen davon zu haben, auch wenn der Träger oder die Trägerin die darauf verwendeten Symbole und Zeichen gar nicht versteht. Andere, wie etwa Paracelsus, erklärten die magische Kraft von Talismanen psychologisch; und viele moderne Deutungen behaupten, daß überhaupt nur der Geist der Gläubigen aufgeladen werde. Hauptzweck des Talismanes sei es, an die Zeremonie seiner Herstellung zu erinnern. Wäre das jedoch der Fall, so behielte ein Talisman selbst nur sehr wenig Kraft. Den größten Nutzen davon hätte dann die Herstellerin und nicht die Trägerin.
Ich überlasse es meinen Lesern, über diese quälenden Fragen zu grübeln. Niemand kann seine Theorien in der einen oder anderen Richtung beweisen, was überhaupt bei der alten Debatte über magische Phänomene gilt. Das Problem läßt sich letztlich auf den Punkt bringen, ob man an Geister außerhalb von uns glaubt, die durch den aufgeladenen Talisman wirken, oder ob man diese Kräfte für bloße Projektionen hält. Das vorliegende Buch umfaßt beide Zugänge, und Sie werden feststellen, daß die Diskussion sich je nach dem Zusammenhang in verschiedene Richtungen bewegt.
Sprechen wir über Invokationen, dann werden wir uns direkt mit der Golden- Dawn- Tradition identifizieren und daran glauben, daß eine tatsächliche Kraft angerufen wird; und eine solche Kraft kann sehr persönlich sein und sogar eine physische Gestalt annehmen. Größtenteils werden wir aber den Interpretationen des großen Kabbalisten und Meisters der Gematria Dr. Paul Foster Gase folgen, dessen Ausrichtung vorwiegend psychologisch ist. In jedem Falle sind die Talismane dieses Buches nicht dazu gedacht, sie zu tragen, sondern über sie zu meditieren.
Die meisten modernen Magier stimmen darin überein, daß die talismanische Kraft, wie auch immer sie benutzt wird, hauptsächlich von dem Symbol getragen wird. Ein Symbol hat die seltsame Fähigkeit, wie ein Magnet zu wirken und diejenigen Dinge zu uns heranzuziehen, die wir mittels eines gerichteten Willens entwerfen und die durch größtmögliche Gefühle oder Emotionen Kraft bekommen. Die Grundidee der talismanischen Magie ist einfach, daß Bilder diejenigen Kräfte anziehen, die sie darstellen. Jedes fünfeckige Bild z.B., wie ein Pentagramm oder Pentagon, wird die Kraft anziehen, die auf dem Lebensbaum (siehe Abb. l-A) als Geburah bekannt ist (und mit Mars identifiziert wird). Studierende brauchen ein sehr gutes Verständnis dieser grundlegenden Zuordnungen zum Lebensbaum, wie man sie in einer Fülle heute zugänglicher Bücher finden kann. Hier werden nur die Umrisse in Form von Tafeln und Skizzen gegeben, die aber ernsthaften Schülern dennoch ermöglichen sollten, einige kreative und brauchbare Talismane zu entwerfen.
Am obigen Beispiel (daß eine fünfeckige geometrische Figur der fünften Sephira auf dem Lebensbaum entspricht) fällt uns als erstes auf, daß bei der Herstellung von Talismanen die Zahl sehr wesentlich ist. Die Zahl beruht eigentlich auf den Sephiroth, welche auf dem Lebensbaum die zehn Emanationen der Gotteskraft darstellen. Es gibt auch noch viele andere Zuordnungen, doch ist die Zahl vorrangig. Ganz gleich wie man sich die Wirkungsweise von Talismanen vorstellt, mit der Herstellung erfolgreicher Talismane sind immer drei zentrale Ideen verbunden: Entsprechungen, Absicht und Wille. Außerdem müssen die für die Schaffung eines Talismanes gewählten Symbole eine gewisse emotionale Energie tragen, die sie mit unserem Unbewußten verbindet; und wir wissen alle, daß uns manche Symbole mehr anregen als andere. Manche haben überhaupt keine Aufladung. Andere stoßen uns ab. Talismane wirken am besten, wenn wir Symbole verwenden, die unserem Unbewußten etwas emotional Aufgeladenes suggerieren. Gleiches gilt für Visualisationen, Affirmationen usw. Der große Lehrer der Kabbala, Israel Regardie, pflegte die alte Maxime zu wiederholen: »Entflamme dich im Gebet.« Unser geistiges oder magisches Leben ist am effektivsten, wenn es von Herzen kommt, aus der Seele, sogar aus den Eingeweiden.
Wir haben festgestellt, daß ein Symbol die wundervolle Fähigkeit besitzt, die Energie des Bildes anzuziehen, das es darstellt. In der Deutung von Gase suggeriert das Bild unserem Unbewußten etwas, wodurch man eine Verbindung zwischen dem Bewußtsein und dem Unbewußten herstellt. Dieses grundlegende Jungsche Konzept wird heute auf vielfältige Weise eingesetzt, z. B. in der aktiven Imagination. Es ist auch das Prinzip, auf dem alle Magie beruht - ein ausgefeiltes System von Entsprechungen, von Korrespondenzen, das durch Symbole dargestellt wird.
Es kann verwirrend sein, mit einem Bild zu arbeiten und ein Gespräch mit dem Unbewußten zu führen, denn Symbole können für vieles stehen. Damit das Bewußtsein eine Beziehung zu dem fließenden und wirksamen Unbewußten bekommen kann, müssen wir von der bewußten Seite her so klar wie möglich sein in bezug auf das, wofür wir den Talisman herstellen. Die erste Aufgabe besteht darin, einfach unsere Absicht zu formulieren. Es gibt viele Absichten bei der Herstellung von Talismanen; für unsere Zwecke fallen sie aber in zwei Hauptkategorien auseinander: sich mit einer bestimmten Kraft zu verbinden, von der man sich angezogen fühlt, oder eine bestimmte Art von Energie auszugleichen, die sich unausgewogen anfühlt. Mit anderen Worten: Moderne Talismane werden - besonders wenn sie als mandala- artige Bilder zur Meditation verwendet werden - prinzipiell für psychologische Zwecke benutzt, obwohl sie in der kabbalistischen Tradition auch als »astrale Türen« dienen können (ein ausgefallener Begriff, der hier für die Arbeit mit Imagination steht) oder zur Manifestation von Wünschen. Manchmal verwischen sich die Grenzen zwischen diesen Kategorien auch. Mag sein, daß wir gerne in uns die Voraussetzungen schaffen würden für einen bestimmten Job, sagen wir bei einer Zeitung. Wir würden also an der Seite unserer Persönlichkeit arbeiten wollen, die dynamische Kommunikationsfähigkeiten ermöglicht, weil ein solcher Beruf sowohl verbale als auch schriftliche Kommunikation erfordert. Wir können dies tun, indem wir einen Talisman mit vielen merkurialen Korrespondenzen entwerfen und auch schöpferische Arbeit mittels aktiver Imagination leisten, indem wir über ein vollständiges Mandala meditieren, das uns mit Merkur oder Hod verbindet, der achten Sphäre des Lebensbaumes.
Symbole sind archetypisch, können aber auch sehr persönlich sein. Bestimmt gibt es eine Reihe von Symbolen, die für Sie eine Bedeutung haben, die sonst niemand versteht. Doch besitzen die archetypischen Symbole bei der Herstellung von Talismanen eine große Kraft, weil sie Tradition haben - es handelt sich um Symbole, die tausende Jahre lang im Äther, d.h. in der Akasha, aufgebaut worden sind und eine direkte Entsprechung zu bestimmten Ideen besitzen, so daß sie bereits mit dieser Kraft sozusagen aufgeladen sind, wenn sie auftreten. Das bedeutet aber keineswegs, daß das archetypische Bild begrenzt ist, denn es spricht auf eindeutig individuelle Weise zu uns.
Das gilt sogar dann, wenn Symbole archetypische Gestalten repräsentieren, wie etwa den Erzengel Michael. Wahrscheinlich habe ich zu dieser Wesenheit eine andere Beziehung als Sie, und doch würden für Sie wie für mich die Entsprechungen zu diesem Bild mehr oder weniger die gleichen sein - Feuer, Macht und so weiter. Das Schöne an der Beziehung zu diesen göttlichen Kräften ist, daß sie ausgesprochen persönlich sein können. In einer Beziehung kann Michael jemanden mit der Kraft des Mutes ausstatten; für jemand anderen kann Michael ein wohlwollender, aber mächtiger Beschützer sein. So beziehen wir uns auf diesen gewaltigen Energiespeicher, damit er uns in je besonderer Weise zur Hilfe komme. Wenn man viele Talismane aus dem Mittelalter, einer wahrhaft schlimmen Zeit, oder aus der Antike untersucht, dann kann man große Schwierigkeiten haben (wie es mir verschiedentlich erging), all die seltsamen Symbole zu entziffern, die Sigille (oder Engelzeichen) und Siegel und die Wörter in esoterischer Schrift zu entschlüsseln - so auch Hebräisch, das als eine esoterische oder heilige Sprache gilt -, nur um dann festzustellen, daß dieser Talisman anscheinend für sehr weltliche Zwecke hergestellt wurde. Liebe, Macht und Reichtümer scheinen die stärksten Motivationsfaktoren für viele der Amulette oder Talismane der Vergangenheit zu sein (obwohl Amulette meist zum Schutz verwendet wurden). Und ich wage zu behaupten, daß die menschliche Natur sich nur langsam verändert. Vielleicht stimmt es, daß zunächst die Grundbedürfnisse der Menschen befriedigt sein müssen, bevor sie sich entschließen können, Gebete, Affirmationen und magische Arbeit nur für geistige Zwecke einzusetzen. Wenn aber die persönlichen Bedürfnisse den Rahmen für unseren Einsatz kabbalistischer Talismane setzen, dann schränken wir uns in der Tat sehr ein.
Es gibt wahrscheinlich keine spirituelle Überlieferung, die uns mehr Bilder bietet als die Kabbala, und sie kann denen unbegrenzt Hilfe gewähren, die auf dem Pfade der Erleuchtung, Erlösung, Gotteserkenntnis oder wahren Gnosis sind (suchen Sie sich das aus, was zu Ihnen paßt, aber tun Sie es mit Hingabe). Denjenigen, die die Kabbala tiefgehend studieren, hat sie durch ihr System der Entsprechungen und durch das sich ständig erweiternde Bewußtsein auf jeder Ebene der Annäherung etwas zu bieten. Dr. Gase glaubte leidenschaftlich daran, daß die Magie der magischen Quadrate nicht dazu diene, sich mit den planetaren Kräften zu verbinden, um bestimmte Ziele zu erreichen - was heute die weltlichere Deutung der Magie in vielen Kreisen ist -, sondern als eine Quelle der Offenbarung anzusehen ist. Dieses Verständnis erlangen nur diejenigen Adepten, die die magischen Quadrate nachhaltig studieren und damit arbeiten. Das Wort »Talisman« selbst könnte vom arabischen tilsam abstammen, was »Mysterium« bedeutet und auf seinen wirklichen inneren Wert hinweist - uns die Geheimnisse Gottes und der Natur zu erschließen. Wenn Sie fasziniert werden von den Kräften, die den Talismanen im Laufe der Zeit zugesprochen worden sind, und sich zu einem tieferen Studium der Kabbala entschließen, so werden Sie ein kleines Wunder erleben, wenn Sie nur lange genug mit kabbalistischen Talismanen arbeiten. Das Ergebnis aller kabbalistischen Arbeit ist es, der Gotteskraft näherzukommen, die bekannt ist als Kether: die Essenz des Lebensbaumes. Es ist die wahre »Krone« aller magischen Arbeit. Das werden alle großen kabbalistischen Magierinnen und Magier bezeugen, denn darum geht es im Grunde in der wahren Magie der abendländischen Esoteriktradition, obwohl dieses Ziel vielfach sehr mißverstanden worden ist.
Ein Wort der Warnung sei an jene gerichtet, die mit den Talismanen einfach zu den oben genannten Zwecken experimentieren wollen: für Liebe (oder Sex), Macht (speziell über andere) oder Geld (besonders ohne zu arbeiten). Es ist nichts Falsches daran, die eigenen Wünsche in die Wirklichkeit umsetzen zu wollen, solange Sie nie darauf hinzielen, andere Menschen zu manipulieren, und solange Ihre Wünsche in Übereinstimmung mit dem eigenen Lebensweg bleiben. Neben den drei genannten großen Bedürfnissen, die so viele unserer menschlichen Bemühungen bestimmen auf der Suche nach dem Sinn unseres Lebens, gibt es noch ein notwendiges viertes Standbein des Tisches, auf dem das Mahl des Lebens stattfindet: geistige und emotionale Integration. Deshalb verfolgen die meisten Magierinnen des Golden Dawn neben ihrer magischen Arbeit irgendeine Form der Therapie. Israel Regardie riet einmal dazu, daß Neophyten mindestens hundert Stunden therapeutischer Arbeit an sich selbst leisten sollten.
Eine der Gefahren beim Einsatz von Magie, und vielleicht besonders der Talismane, liegt darin, daß durch die Umsetzung von eher weltlichen Wünschen seelische Kraft von einer anderen Stelle des Systems abgezogen wird, nämlich vom geistigen Weg. Das ist einer der negativen Aspekte der New-Age-Bewegung, die eine sehr materialistische Seite hat. Für Kabbalisten ist es lebenswichtig, diesen Punkt nicht außer acht zu lassen. Wenn Sie bei der Arbeit mit Talismanen zur Entwicklung emotionaler Ganzheit und geistiger Hingabe mindestens ebensoviel Zeit investieren wie für andere Ziele, dann bekommen Sie keine derartigen Probleme. Wir müssen uns vor Augen halten, daß wir in einer weltweiten Gemeinschaft leben, die in einem Ökosystem mit begrenzten Ressourcen zu überleben versucht - und das könnte sich für die Arbeit mit Affirmationen für Überfluß als ein unbequemes Thema erweisen.
Einerseits ist die Verwendung von Talismanen zur Verwirklichung von Zielen in der Welt nicht falsch, weil mit jedem Male der Wille gestärkt und entwickelt wird, was für einen Magier sehr wesentlich ist. Jedoch wird die Entwicklung des eigenen Willens auf Kosten eines anderen in jedem Fall auf uns zurückschlagen, wie alle spirituellen Lehrer und Überlieferungen gelehrt haben. Es gibt einen Unterschied dazwischen, einen Talisman anzufertigen, um Freundschaft anzuziehen, oder einen herzustellen, um Ihren Traumpartner zu einer Verabredung zu verführen. Eliphas Levi (auch als Abbe Louis Constant bekannt), ein Meister der Rosenkreuzer- und kabbalistischen Magie des vorigen Jahrhunderts, sagte: Es ist hier wohl zu beachten, daß jede Wirkung eine Gegenwirkung hervorbringt und daß wir in der Magnetisierung oder magischen Beeinflussung anderer einen entgegengesetzten, aber entsprechenden Einflußstrom von jenen zu uns herstellen, der uns ihnen unterwerfen kann anstatt umgekehrt, wie es oft genug bei den Prozessen vorkommt, die als Gegenstand die Sympathie der Liebe haben, vorkommt. (S. 315)
Es ist wichtig, sich zu überlegen, was man tut. Die Grundfrage bei jeder anstehenden magischen Arbeit dieser Art ist: Bezieht diese Operation einen anderen Menschen mit ein? Falls ja, sollten Sie diese Person auf Ihre Absichten aufmerksam machen und auf jeden Fall ihr Einverständnis einholen - selbst bei Heilungen. Das ist ein kosmisches Gesetz. Zunächst muß man die eigenen Absichten bei der Herstellung eines Talismans klären. Wie in jeder anderen spirituellen Überlieferung auch, sollte in der kabbalistischen Tradition diese Absicht ein wichtiges Element einschließen: Wie kann ich mit diesem Wunsch in irgendeiner Weise auch gleichzeitig dienen? Wenn Sie diese Frage sorgfältig einbauen, wird Sie das gegen Bedürfnisse absichern, die das Ego jetzt als vorrangig empfindet, die ihm aber auf lange Sicht nicht wohltun. Das ist so, weil die Absicht, immer auch dienen zu wollen, Sie automatisch mit Ihrem Höheren Selbst in Berührung bringt, das Sie vor Fehlern behüten kann. Wenn Ihr wahres Ziel Gott ist (und sein Himmelreich) oder einfach das höchste Gut, dann erhalten alle anderen Dinge von dorther ihren Platz. Ein Ziel solcher Art verträgt sich keinesfalls mit dem Gebrauch von Talisman-Magie für manipulative oder unethische Zwecke. Ihre erste Affirmation sollte sein, daß Ihre magische Arbeit nicht nur Ihrem eigenen Wohl diene, sondern dem größeren Wohle des ganzen Universums.
Kehren wir .kurz zum Problem der Symbole zurück. Vielen von uns, die die esoterischen Wissenschaften studiert haben, wird aufgefallen sein, daß in jeder Art visionärer Phänomene - sei es Divination, Visionen, Channeling, Träume usw. - eine Fülle von Bildern auftreten kann, die vielfache Bedeutung haben und die wiederum vielfach mißverstanden, fehlgedeutet oder vom Bewußtsein umkonstruiert werden. Solche Probleme können leichter behoben werden, wenn Sie zum besseren Verständnis die Hilfe des Höheren Selbst anrufen oder des heiligen Schutzengels (eine Beziehung, der wir uns im zweiten Kapitel ausführlich widmen werden). Ist diese Beziehung einmal hergestellt, so dient sie sowohl als Filter wie auch als Mittel der Transformation.
Symbole haben viele Bedeutungsebenen. Ein visionäres oder Traumsymbol kann zehn verschiedene Arten der Interpretation zulassen. Eine klassische Visionserfahrung (wie etwa bei Ezechiel oder in den Offenbarungen) kann in einer derart dichten Symbolsprache geschehen, daß noch viele Generationen nötig sind zu ihrer Analyse und Deutung. Symbole können tückisch sein. Eine vereinfachte oder eindimensionale Deutung ist eine Falle, denn sie führt oftmals zu falschen Vorhersagen. Es kann auch zu einem reduktionistischen Verständnis darüber kommen, wie ein archetypisches Symbol sich in unserem Leben bewegt. Je mehr wir die Beziehung zwischen Bewußtsein und Unbewußtem entwickeln und stärken, um so eher werden wir in der Lage sein, die Bedeutungsebene zu erkennen, die sich uns verständlich machen will.
Der großartige Beitrag der archetypischen Methoden wie der aktiven Imagination und der Pfadarbeit besteht darin, daß wir beginnen, die Kluft zwischen Bewußtsein und unbewußtem Geist zu überwinden. Wir entdecken die gemeinsame Sprache, mit der sich die beiden Häuten der Persönlichkeit verständigen können. Das braucht Übung. Aber mit jeder praktischen Sitzung, mit jedem Mal, daß Sie bewußt mit einem Symbol umgehen, vertieft sich der Prozeß, und die Verständigung wird fließender. Es ist dabei hilfreich, dem Unbewußten ab und zu zu gratulieren, um ein weiteres Wachstum zu fördern. Und es ist sehr nützlich, Symbolik zu erforschen, besonders wenn sie als Synchronizität im Alltag auftritt. Das gilt besonders, wenn man sie in irgendeiner Form der Arbeit mit Entsprechungen verwendet, wie beim Herstellen von Talismanen.
So wie es potentielle Probleme mit dem bewußten Verstehen der Symbolsprache des Unbewußten gibt, kann auch das umgekehrte Problem entstehen. Wir sprachen zuvor über die Notwendigkeit einer klaren Absicht. Inzwischen sollte deutlich sein, warum das so wichtig ist. Ist das Bewußtsein in seinen Absichten vage, oder verwendet es viele verschiedene Symbole - besonders auf synkretistische Art, d. h. aus verschiedensten Überlieferungen - oder falls es leichtsinnig ein Symbol verwendet, das es nicht richtig verstanden hat, dann kann das Unbewußte dieses auf ganz andere Art deuten und Ergebnisse zeitigen, die gar nicht zu dem passen, was der Hersteller des Talismanes in Bewegung zu setzen hoffte. Das gilt besonders, wenn das Unbewußte in Muster eingeschlossen ist, die hartnäckigen oder besessenen Gedanken des Bewußtseins entsprungen sind. Solche Muster sind deshalb gefährlich, weil das Symbol dann zu einem Eingangstor für eine archetypische Besessenheit werden kann. Wenn ein Symbol für zehn verschiedene Dinge stehen kann, dann müssen wir verstehen, was
es in einer gegebenen Situation genau bedeuten soll, und Grenzen gegenüber den anderen Elementen ziehen, die es auch anziehen könnte. Wir verfeinern einen Talisman also, indem wir ihm weitere Ebenen symbolischer Bedeutung hinzufügen, um unsere Absicht und den Zweck zu klären. Das Symbol eines Dreiecks z.B. kann für Feuer stehen oder für eine Dreiheit. Wenn wir nun den Namen Michael auf Hebräisch hinzufügen, dann verdeutlichen wir unsere Absicht, die feurige Kraft des Michael anzurufen. Oder wenn wir das Planetensigill des Mars hinzufügen, dann werden wir eine andere Art der feurigen Energie anziehen. Fügen wir jedoch andere Bilder oder Gottesnamen hinzu, die es als eine Dreiheit identifizieren, als die Repräsentation von Binah auf dem Lebensbaum, dann verändert sich die psychische Struktur des Dreiecks, weil wir es gemäß unseren besonderen Absichten bewußt entwerfen.
Es kann nicht genug betont werden, wie wichtig es ist, eine gemeinsame Sprache mit dem Unbewußten zu entwickeln, die funktioniert und auf klaren Entsprechungen aufbaut. Sonst könnte das Unbewußte an seinen eigenen früheren Assoziationen zu einem Symbol kleben bleiben (die wir bewußt vielleicht schon vergessen haben), und versuchen, diese Entsprechungen aufzuladen und für uns wirksam zu machen. Das Bewußtsein sollte stets seine derzeitige Deutung eines Symboles für das Un bewußte klarmachen. Deshalb ist jeder Talisman einzigartig und sehr persönlich. Und darum ist es schwer, ein Siegel oder einen Talisman zu entziffern, der von jemandem in ferner Vergangenheit gemacht worden ist. Es ist deshalb meines Erachtens auch sinnlos, Talismane aus anderen magischen Büchern zu kopieren. Der Magier wird nur durch ein vollständiges Verständnis der Bedeutung dieser Symbole auf dem Talisman zu Ergebnissen kommen. Die meisten Bücher mit Siegeln und Sigillen sind für uns wertlos, weil wir nicht wissen, was ihre Schöpfer bei der Herstellung im Sinn hatten. Abgesehen davon können alte Siegel vor ihrer Veröffentlichung viele Male kopiert worden sein, was zu zahlreichen Fehlern führt. Andere wiederum können verschlüsselte Informationen enthalten (wie etwa eine Anordnung bestimmter Buchstaben), die eine Abkürzung oder Formel darstellen, die nur der Magier kennt, der sie gemacht hat. Der Versuch, eine solche Formel zu rekonstruieren, wird nicht sehr weit führen, selbst wenn man über brauchbare hebräische oder lateinische Sprachkenntnisse verfügt. Wenn nämlich die Formel ursprünglich zur Veröffentlichung bestimmt war, dann können die Siegel und Sigille ohnehin Tarnungen sein. Wir werden im dritten Kapitel das Problem der Fehler und der Tarnungen in magischen Quadraten und Sigillen untersuchen.
In der kabbalistischen Tradition gibt es einen gewissen Sinn für Korrektheit: Man formuliert nicht einfach einen Wunsch und fügt die Dinge zusammen. Es sollte inzwischen deutlich geworden sein, daß man ein Set von Entsprechungen braucht, das über bestimmte eingebaute Regeln verfügt, weil es ein traditionelles Rückgrat hat. So würde man etwa das Zeichen oder Siegel des Planeten Mars nicht zusammen mit einem Engel oder einer Intelligenz der Mondsphäre auf einen Heilungstalisman setzen. Heilung gehört in die Sphäre der Sonne (und in manchen Fällen Merkurs), und in keinem Falle würde man die Intelligenz des Mondes einsetzen. Dies ist ein Beispiel für die Verbindung dreier verschiedener Kräfte, die wenig oder nichts miteinander zu tun haben. Wir verwenden auch nicht einen Engelnamen auf einem Talisman, weil wir seinen Klang so schön finden, nicht einmal wegen irgendwelcher Assoziationen aus unserer Kindheit. Im Rahmen der Kabbala sind die talismanischen Bilder, Symbole und Namen keineswegs willkürlich. Wenn Sie die kabbalistischen Entsprechungen nicht gut kennen, dann studieren Sie die hier angegebenen Tabellen, und wählen Sie sorgfältig.
Die Tattwa- Bilder sind hinsichtlich dieser Kategorien weniger streng; sie sind erst spät in die Golden- Dawn- Tradition aufgenommen worden und wurden von verschiedenen Menschen als Symbole für die Planeten, Tarotkarten und Elemente und auch als Elementenkombinationen mit unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. Entsprechungen zum Lebensbaum - die eine viel längere Geschichte haben - neigen eher dazu, von den meisten Kabbalisten auf gleiche Weise gedeutet zu werden. Manche Siegel oder Sigille können deshalb (falls es sich nicht um Tarnungen oder Fehler handelt) noch nach Jahrhunderten von denen interpretiert werden, die wissen, welche Sphäre oder planetare Kraft sie repräsentieren sollen. Das heißt noch nicht, daß wir die Absicht im Geiste ihres Herstellers verstehen können. Doch sind viele Symbole (z. B. die Zeichen der Planeten, die Sigille und hebräischen Buchstaben der Gottesnamen und Engel usw.) innerhalb der kabbalistischen Überlieferung gleich geblieben.
Die Kombinationen der Tattwas andererseits sind fast endlos. Gemäß ihrer Verwendung im Golden Dawn bestehen sie aus 25 Varianten der fünf Grundelemente (Erde, Luft, Feuer, Wasser und Äther), die durch ein Quadrat, einen Kreis, ein Dreieck, eine Mondsichel und eine Eiform dargestellt werden. Sie sind mit einigem Erfolg den Tarotkarten zugeordnet worden. Und ich habe eine Reihe Schülerinnen und Schüler, die sie regelmäßig verwenden. Es gibt dabei aber eine Reihe von Unstimmigkeiten und verschiedenen Deutungen. Die Tattwa- Bilder und ihre mögliche Verwendung finden Sie nicht nur in den Büchern von Mathers (1971), sondern auch in dem dreibändigen Werk Das Magische System des Golden Dawn von Regardie (1987/88). Gase ordnet die Tattwas den Tierkreiszeichen zu und den inneren Planetenchakren, die sich wiederum besonders auf Farbzuordnungen beziehen. Diese letzteren waren Case besonders wichtig, der meinte, daß die Tattwa- Bilder durch Meditation ihrer Farben und entsprechenden Klänge als Mandalas zur Heilung des emotionalen, physischen und ätherischen Körpers dienen können. In seinem Buch The Tarot gab Case diese Klänge und Farben in etwas verhüllter Weise an, und sie sind auch in anderen Büchern veröffentlicht worden, wie etwa den Archetypes on the Tree of Life von Madonna Compton. Manche Quellen, wie Emahmns The Book of Correspondences benutzen andere Zuordnungen. (Zu den genannten Büchern siehe das Literaturverzeichnis.) Ihre Interpretationen sind nicht so festgelegt wie die Talismane, die direkt vom Lebensbaum abstammen.
Ein einzelnes Tattwa- Bild, z.B. ein Quadrat (das der Erde zugeordnet ist), könnte vielen verschiedenen Talismanen hinzugefügt werden und würde sich mit verschiedenen planetaren Kräften zu einer Vielfalt von Zwecken verbinden lassen. Zusammen mit einem Talisman der Venus, oder Netzach, könnte es sich auf die Notwendigkeit beziehen, eine bestimmte Beziehung zu erden; zusammen mit einem Merkur-Talisman, oder Hod, könnte es bestimmte Bestrebungen konkretisieren, z. B. einen Job als Lehrer zu finden. Das wird deutlicher, wenn wir uns mit den Entsprechungen der Tattwas und Talismane eingehender beschäftigen. Für Meditationsbilder, die direkt zum Kontakt mit der Intelligenz eines Pfades führen sollen (oder der eines Tarot- Archetyps), rate ich zu den hebräischen Buchstaben selbst, die in der Tradition des Lebensbaumes verwurzelt sind und spezifische Absichten darstellen. Diese sollten auf blitzenden Farbtafeln angebracht werden, d.h. in komplementären Farben. Ist der Untergrund rot, so ist das Bild grün, usw. Zur näheren Information über die Beziehung der hebräischen Buchstaben zu den Intelligenzen siehe Gases ausgezeichnetes Buch The Book of Tokens oder andere Bücher, die die Buchstaben mit den Pfaden auf dem Lebensbaum verbinden. Tattwa- Bilder werden oft eingesetzt, um auf den Pfaden zu arbeiten, aber man muß verstehen, daß ihr Einfluß eher willkürlich ist. Wegen ihrer leuchtenden Farben eignen Talisman hinzufügt. Sie werden auch verwendet, um durch Färb- und Klangheilung Energie auszugleichen (wie im 14. Kapitel erklärt werden wird); auch schaffen sie einen guten Zugang zum Kontakt mit den Elementarkräften.
Jahrelang habe ich eine Kombination der Tattwa- Basissymbole aus dem Golden Dawn und seinen Ablegertraditionen als blitzende Tafeln benutzt, um in tattwaartigen Talismanen die Kräfte der Farbheilung und der Planeten zu evozieren, und so eine Vielzahl von Methoden miteinander verbunden. Ich hoffe, daß Sie selbst entdecken werden, wie viele erstaunliche Ergebnisse sich erzielen lassen, indem man auf solide kabbalistische Überlieferungen aufbaut und neuere Experimente mit Tattwas und Talismanen als Meditationsmandalas einbezieht.
aus: Soror A. L. Die magische Pforte Die geheime Kraft von Tattwas, magischen Quadraten, Talismanen und Mandalas Verlag Hermann Bauer Freiburg im Breisgau