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Dieses Thema hat 2 Antworten
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 Texte und Gedichte
Linoma Offline




Beiträge: 1.500

26.10.2010 22:51
RE: Aus alten Zeiten bis heute (Totenmaar) Antworten

SAGE VOM TOTENMAAR*)

Über den See, über den See
Wandert ein Schatten und klagt sein Weh.
Seht, wie er unstet im Nachtwind schreitet,
Schwebt und schwankt, in die Tiefe gleitet!
Nimmer vergeht er. Immer ersteht er
Zu neuem Jammer, zu neuer Klage.
Also kündet die Totenmaar=Sage.

Ich hab' ihn belauscht in schauriger Nacht.
Kein Stern hat am Firmament da gewacht.
Die Eifel ächzte in trüben Dünsten,
Es übten Dämonen sich in ihren Künsten.
Da schwankte es wieder, seeauf und =nieder.
Doch die Wasser waren nur feurige Fluten,
Tief unten heulten die alten Gluten.

Draus stieg der klagende Schatten hervor.
Noch heute hallt mir sein Jammer im Ohr.
Und war es auch nur wie ein Säuseln im Ginster,
So schuldvoll war seine Klage und finster:
„Erneue, erneue dich, ewige Reue!"
Der Regen schlug mir ins starre Gesicht.
Ich fühlte den Sturm und den Regen nicht.

Das Kraterbecken im Eifelland
Lag wie von uraltem Zauber gebannt.
Wild jagten in meinem Hirn die Gedanken,
Die Kreuze zu Weinfeld fühlte ich schwanken.
Die Winde weinen, es klagt aus den Steinen:
„Hört niemand mit mir, wie das ewig hämmert?"
Es seufzt aus dem Grund, wo kein Morgen dämmert.

Ich bete: „Heil'ge Dreifaltigkeit!
Laß mich erkennen das grausige Leid!"
Da donnert die Unterwelt um mich her,
Ich sehe nicht See und Eifelland mehr.
Ich höre, ich höre nur Klagechöre,
Und wo ich am Tag Weinfelds Kirche sah,
Steht vor mir der Hügel Golgatha.

Am Schmerzensstamm verblutet der Gott,
Rings um ihn her wogen Hohn und Spott.
Da schreit es auf aus dem Kratergrabe:
„O, daß ich ihn gekreuzigt habe!
Erneue, erneue dich, ewige Reue!"
Mir bebt das Herz wie das bebende Maar,
Und ich weiß, wer der jammernde Schatten war.

Aus der Kirche am Totenmaar dröhnt ihm ein Chor
„Cruzifixus sub Pontio Pilato!" ins Ohr.
Wie zuckt da im Schmerz der gespenstische Mann!
Noch hat er Reste der Toga an,
Die er getragen in jenen Tagen.
Da klagt er zerbrochen in stummem Gewimmer:
„So hör meinen Namen ich immer und immer . . ."

Mich faßt unendliches Mitleid an,
Im Zeichen des Kreuzes frage ich dann:
„Was trieb dich, verzweifelte Seele, hierher
In des Eifellands friedliches Kratermeer?"
Er schaut, er schaut — noch heute mir graut! -
Mit Augen voll Weltleid schaut er auf mich,
Ich wage die Frage noch einmal: „O sprich!"

„Ja, ich war Filatus! Pilatus, ich war es!
Ich suchte Ruhe am Grunde des Maares!
Ich hatte zu spät den König erkannt,
Der mit Dornen gekrönt einst vor mir stand!
Da trieb mich's umher bis zu diesem Meer.
Es speit mich aus in jeder Nacht,
Ich bin ihm unerwünschte Fracht!

Doch eine Hoffnung ward mir gegeben:
Im neuen Lichte darf ich leben,
Wenn sich liebende Menschenherzen
öffnen für meine Schuld und Schmerzen.
Wenn sie den Hammer, der Nagelung Jammer
In sich selber gleich mir empfinden,
Müssen die qualvollen Bilder schwinden!"

Sein fragendes Bitten, sein bittendes Fragen
Schrie mir ins Herz. „Ich will es tragen",
Suchte ich Worte: „Was du mir sagtest,
Was ich schaute, all, was du klagtest!
Ein jeder ja ist schuldig am CHRIST!
Ich will es den Eifelleuten verkünden, —
Sie werden Osterkerzen entzünden . . ."

„Und bei dem furchtbaren Credowort,
Das dich getrieben von Ort zu Ort,
Werden wir deine als unsere Schuld fühlen
Und dir die brennenden Tränen kühlen.
Dann leuchtet das Maar wunderbar
Wie kein zweites durch deine Schmerzen
In der ,Eiflia Mater' liebendem Herzen!"

Der Spuk zergeht. Im Morgenstrahle
Erblüht die Himmelskathedrale.
Wie jubeln im neuen Tagesbrand
Die uralten Berge im Eifelland!
Wie singt der Wind so froh und gelind! . . .
Gottes ewiges Liebeslicht
Glänzt aus dem Maar. Es verläßt uns nicht.

ERNST KARL PLACHNER

*)„Dichten" heißt nicht nur „reimen". Es gibt viele Gedichte, die keinen einzigen Reim haben und im tiefsten Sinne „Gedichte" sind, und es gibt ganze Reimbücher, worin kein einziges Gedicht steht. Die Stunde muß da sein, in der ein Gedicht geschrieben werden kann. Die Niederschrift kann vielleicht in kurzer Zeit erfolgen, die innere geistig-seelische Reifung, die Voraussetzung dazu ist, kann Monate, viele Jahre dauern.

Ich habe mich als Gymnasiast schon mit der wenig bekannten Sage vom Totenmaar befaßt, der gemäß Pontius Pilatus auf seiner ruhlosen Wanderung nach der Kreuzigung Christi sich im Weinfelder Maar das Leben nahm. Wir kamen damals unter der Leitung des uns kameradschaftlich nahe stehenden späteren Oberstudienrates Albert Federle (damals noch der „Herr Oberlehrer Federle") auch auf mehrtägigen Wanderungen weit durch unsere schöne Heimat. In jenen Jahren fand ich in einem alten Eifelbuch eine kurze, übrigens strohtrockene Notiz vom Tode des Pilatus in jenem Maar. Sie hat mich nie mehr losgelassen. Als Obersekundaner schon versuchte ich in einem großen Gedicht „Pilatus' Ende" den echt balladesken Stoff zu fassen. Es hatte Schwung und Form, war aber selbstverständlich noch Schülerarbeit. Als Primaner riß mich lange Soldatenzeit wie viele Mitschüler in das Grauen des ersten Weltkrieges und ließ keine Zeit für solche Wege der träumenden Jugendseele. Aber nach vielen Jahren kam ich wieder zum „Totenmaar" und atmete seine melancholisch=düstere und geheimnisvolle Seele immer tiefer in midi hinein. Ich suchte die verkehrsfreien Tage, weil Lärm und Rummel jeder Art so feinen Schwingungen feindlich sind.

Die Forschungen des Herrn Pastors von Schalkenmehren hatten ergeben, daß die Kirche am Totenmaar auf den Resten eines römischen Gebäudes, wahrscheinlich eines Landhauses steht. Ich fand, daß Pilatus auf seinen Wanderungen tatsächlich in das von Cäsar eroberte Gallien gekommen ist. Vielleicht war er tatsächlich in der vulkanischen Eifel und an diesem Maar. Vielleicht hat er sich tatsächlich hier das Leben genommen . . . Manches, was von diesem Maar erzählt wurde, erinnerte mich an den „Lago Averno", den „Lacus Avernus" der alten Römer auf der Berghöhe am Golf von Neapel, wo dicht am See die berühmte „cumäische Sibylle" wohnte. Der große römische Dichter Vergil erzählt von diesem See, daß er das Tor zur Unterwelt sei. Ich fand merkwürdige Beziehungen heraus zwischen dem italienischen und dem Eifelsee, über die man mancherlei sagen und schreiben könnte. Aus solchen und ähnlichen Voraussetzungen konnte ich schließlich als reifer Mann (1955) meine „Sage vom Totenmaar" dichten (denn solche Begebenheiten können nur in gereinigter, nach inneren Gesetzen gebrauchter Sprache gesagt werden). Ich habe die Ballade dann später (1957) in novellistischer, also erzählender Form — eine selbständige, neue Arbeit — unter dem Titel „Der Tod des Pontius Pilatus", von etwa möglichen historischen Blickpunkten ausgehend, ergänzt. Sie hat bis ins Ausland Beachtung gefunden


[ Editiert von Administrator Linoma am 26.10.10 22:52 ]

Die Wahrheit wiegt meistens schwer.

Linoma Offline




Beiträge: 1.500

27.10.2010 09:53
#2 RE: Aus alten Zeiten bis heute (Totenmaar) Antworten

Infos zum Totenmaar:

Totenmaar

Der Begriff "Maar", der sich vom lateinischen "mare" (=Meer) ableitet, ist für die Eifelgeologie so typisch die in der Zeit großer Vulkantätigkeit bis vor zehntausend Jahren bei explosionsartigen Ausbrüchen entstanden.
Unter den drei Dauner Maaren, dem Gemündener, Schalkenmehrener und Weinfelder Maar ist letzteres, auch Totenmaar genannt, das geheimnisvollste. Selbst an freundlichen Tagen wird es von einer schwermütigen Stimmung überlagert. Seine Hänge sind von Ginsterbüschen bewachsen, das Wasser erscheint aufgrund des schwarzen Lavasandes am Kraterboden traurig düster, was auch heute noch die Phantasie des Menschen anregt. Man erzählt sich, der Römer Pontius Pilatus habe darin Selbstmord begangen, wovon auch der "Pilatusfelsen" an der westlichen Bergseite Kunde gibt. Andere Berichte wollen von einem im See versunkenen Dorf oder einem versunkenen Schloß wissen. Darin, so heißt es, hätten ein Graf und seine hartherzige Frau gelebt, die Freude daran fand, ihre Dienerschaft und das untertänige Volk zu demütigen. Als der Graf eines Tages mit seinen Knechten zur Jagd ausritt, vergaß er seine Handschuhe und schickte seinen Knappen, sie zu holen. Der aber fand an der Stelle, wo das Schloß gestanden hatte, nur noch einen See.

Ein ganzes Dorf ist hier tatsächlich " untergegangen ", wenn auch eher im übertragenen Sinne. Die Rede ist von Weinfeld, das zur Zeit der großen Pest im 16. Jh. entvölkert und aufgegeben, später wohl als Steinbruch gebraucht wurde. Heute steht nur noch die kleine weiße Kirche die auf den Ruinen einer römischen Siedlung errichtet wurde, umgeben vom Friedhof des Dorfes Schalkenmehren.
(Daun, Kreis Daun)

Die Wahrheit wiegt meistens schwer.

Linoma Offline




Beiträge: 1.500

31.10.2010 22:11
#3 RE: Aus alten Zeiten bis heute (Totenmaar) Antworten

Pilatus hatte nach dem Bad und der therapeutischen Salbung geruht, während der Sklave, dessen Nähe ihm wohltat, bei ihm saß. Er war sogar eingeschlafen und lag traumlos eine günstige Weile. Danach fühlte er sich belebter denn seit langem und wünschte, einen Weg über den hoch gelegenen Bergrand des Sees zu machen.

Er war nicht lange gegangen, da überfiel ihn das alte Übel. Er hörte Stimmen in der Luft, und aus dem Wasser stieg eine magische Saugkraft wie ein lebendiges Wesen auf. Der fremdländische Wanderer stand jetzt hoch über dem See auf einer abfallenden Felswand. Er war hierher gegangen, um zum ersten Mal mit weitem Blick das eigenartige, herbe Land zu genießen, wo der alte Waffengefährte so gern hauste und für ihn Genesung erhoffte. Da gewahrte sein Blick in der Tiefe des Wassers einen schwärzlichen Grund, wie er ihn noch bei keinem anderen See bemerkt hatte. Und dieses Schwarz stieg mit der Saugkraft des Sees zu ihm herauf und streckte Polypenarme nach ihm aus. Das sah er ganz deutlich. Und da wußte er auch, daß der schwarze Grund des Sees ein geheimes Tor zur Unterwelt war! Ja, da donnerte die grauenvolle Tiefe, und unter den Wassern begann es zu glühen. Und worüber er eben noch in dem wohligen Bad bei dem freundlichen Sklaven gelächelt hatte, das wurde nun vernichtende Wirklichkeit: Flammen schlugen herauf. Es zischte und brodelte. Die Erde ringsher schmolz wie in einem infernalischen Feuerofen. Und das Zischen und Brodeln wurde zu heulenden Chören. Und die dampfenden Wasser und prasselnden Flammen wurden zu Hadesfratzen. Für Pilatus gab es nicht Nord und Süd mehr, nicht Ost und West, nicht Oben und Unten. Da war kein Wasser, kein Himmel, kein Bergsee, kein Landhaus des Feldherrn Tullius Maximinus mehr. Nur Hölle, Hades, Tartaros war um ihn. Und er fühlte nicht einmal, wie er ins Wasser stürzte, das nur Flammen war, wie Land und Luft und alles zu Flammen wurde . . .

Am Abend trieben die Wellen den Leichnam des Pontius Pilatus an die Treppe, die vom Landhaus des Freundes zum Gestade führte. Einer der Hunde des Hauses verbellte ihn, bis sie ihn fanden. Inis weinte die ganze Nacht.

*

Viele Jahre waren vergangen. Maximinus hatte das Haus am See verlassen. Es ging ein furchtbares Gerücht um. Bei den Kelten und Germanen. Die Erde habe den Leichnam aus dem Grab, das Maximinus ihm bei seinem Landsitz gab, immer wieder ausgestoßen. Der See, in den man ihn entsetzt versenkte, habe ihn ausgespien. Schließlich habe man ihn liegen lassen, wo immer Erde und Wasser ihn hingeworfen. Maximinus habe sein Haus nicht mehr betreten. Es sei langsam zerfallen. Die Leute begannen den Ort zu meiden. Das Waffengerassel der römischen Legionäre erklang hier oben nicht mehr. Nicht mehr der harte, klare Ruf der gewappneten Wächter, wenn der Feldherr oben weilte. Die Arbeit der Sklaven war hier vorbei, und Inis' keltische Lieder, die Pilajus so liebte, waren verstummt.

Eines Tages sei ein fremder Mann gekommen. Der habe als Wanderstab einen Kreuzstab getragen und in der Ruine der Römervilla gehaust. Er habe Stein um Stein neu gefügt, so daß schließlich alles verwandelt gewesen sei und ein Haus wie ein kleines Heiligtum an Stelle des Maximinschen Berghauses da gestanden habe. Ganz oben auf dem höchsten Dachfirst sei ein Kreuz gewesen.

Die dunklen Wasser des Sees, davon man erzählte, sie seien nach dem schaurigen Untergang des Pontius Pilatus schwärzer denn je gewesen, hellten sich auf. Und mochte bislang, wie das Wort ringsum ging, kein Fisch darin leben, die Fische, die der Siedler einsetzte, lebten und tummelten sich. Und war bislang das Ufer verwaist und vom Fluggetier verlassen, ja, überflog nicht einmal ein krächzender Winterrabe die verwunschene Stätte — jetzt sang und klang die Luft vom schwirrenden Völklein. Der ruhlose Römer soll noch lange gewandert sein. Freilich, wer nicht mit dem inneren Ohr zu lauschen vermochte, hörte nur das Stöhnen des Herbstwindes. Wer nicht mit dem inneren Auge zu schauen vermochte, sah nur die ziehenden Nebel.

Es mag im Mittelalter geschehen sein, daß die Seele des Pilatus eingehen durfte in die Reiche der Gnade. Die Mächte der Unterwelt sollen sich damals wie tobende Untiere gegen die Freigabe der Römerseele gewehrt und am Ufer Verderben ausgesät haben. Damals stand hier ein Dorf. Langsam war Siedlung um Siedlung um die kleine Kirche gewachsen, die aus der Kapelle des heiligen Mannes entstanden war, der einst wie ein Sendbote des Auferstandenen hierher zog. Man weiß nicht recht, was geschah, doch geschah etwas. Die Bauern verließen das Dorf. Es wurde zur Wüstung. Sie siedelten sich an einem benachbarten Bergsee an, der die göttliche Heiterkeit aus Urschöpfungstagen bewahrt hatte. Nur die Kirche blieb vom verlassenen Dorf — Weinfeld hieß es — übrig. Sie steht noch immer. Über den Resten des Landhauses des Römers Tullius Maximinus.

Sie ist die Friedhofskirche des neuen Dorfes am Nachbarsee, das Schalkenmehren heißt, geworden. Gerne ruhen die Eifelbauern aus Schalkenmehren hier bei der einsamen Kirche am Weinfelder Maar, wie der Bergsee jetzt heißt, von ihrer Lebensarbeit aus. Den Toten sind See und Ufer geweiht. Darum heißt das Weinfelder Maar auch Totenmaar. Vom Tor der Unterwelt, das Pilatus im schwärzlichen Grund des Sees schaudernd erkannte, hat der Auferstandene längst alle Schrecken hinweggenommen. Sein Sieg über die Hölle hat auch die Schrecken aus der Pilatusseele genommen. Im Ginstergold am Rande des schönen, ernsten Eifelmaars leuchtet in jedem Jahr nach der Osterzeit das Himmelsgold des Erlösungswunders.

(Nachdruck, Bearbeitungen jeder Art, Rundfunksendungen usw. sind nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verfassers gestattet.)

Die Wahrheit wiegt meistens schwer.

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