Bevor das Christentum im 4. Jahrhundert politisch instrumentalisiert wurde und zur Staatsreligion geriet war Maria - entsprechend der Rolle der Frau im Römischen Reich - kaum Gegenstand besonderer Verehrung oder Auseinandersetzung. Erst als es dann galt, die Untertanen der Kaiser „auf Teufel komm raus” katholisch zu machen, denen ja nun alle anderen Kulte bei Todesstrafe verboten waren, wurde es notwendig, sich in gewisser Weise auch den religiösen Vorstellungen jener anzupassen, die nach wie vor an dominanten weiblichen Gottheiten orientiert waren und von ihren Muttergöttinnen (Kybele, Isis, Artemis usw.) nicht lassen wollten. Hier musste für passenden „Ersatz” gesorgt werden, der den „Heiden” halbwegs vertraut und mit dem Christentum halbwegs kompatibel war.
Für diesen „Spagat” hatte schließlich - vom Osten des Reiches ausgehend - die legendäre Mutter Jesu, Mirjam oder Maria, herzuhalten. Wesentlich erschwert wur-de die Sache durch die heftigen Rivalitäts- und Machtkämpfe der höchsten Kir-chenfürsten um die wahre Auslegung der Heiligen Schrift, in denen besonders die Patriarchen von Konstantinopel und Alexandria, Antiochia und Rom aneinan-der gerieten. Wie zuerst über die Natur Christi (Gott, besonderer Mensch, erst Mensch dann Gott usw.) gerieten sie zu Beginn des 4. Jahrhunderts über die Natur Mariens (Gottes-Gebärerin oder „nur” Christus-Gebärerin) so heftig aneinander, dass sie sich nicht nur gegenseitig „exkommunizierten”, sondern in ihrem Streit die ideologische Basis des spätantiken Römischen Reiches und damit die Einheit des Staates gefährdeten.
Der Streit eskalierte vollends im Jahr 431, als ein von Kaiser Theodosius II. einbe-rufenes Konzil Klarheit schaffen sollte, das justament im ehemaligen Zentrum des Kultes der kleinasiatischen Großen Muttergöttin Artemis, in Ephesos, der Hauptstadt der Provinz Asia, stattfand, wo die Christengemeinde schon seit einiger Zeit ganze Arbeit geleistet, das Artemision, den prachtvollen Tempel der Artemis, dem Erdboden gleichgemacht und das Museion, die Hohe Schule der Antiken Großstadt, zur ersten Marien-Kirche der Welt umfunktioniert hatte. Der einstige Hort der Philosophie wurde zum Ort des Haders, Konzil genannt, der damit endete, dass sich nach monatelangen Kämpfen von rund 200 Bischöfen in Konzil und Gegenkonzil und dem Einsatz riesiger Bestechungssummen die Gottes-Gebärerin-Fraktion durchsetzte und das bis heute gültige Dogma verkündete, Maria sei tatsächlich „Theotokos” (=Gottes-Gebärerin) gewesen.
Von der Magd zur „Waffe” gegen etablierte Muttergöttinnen ^ Damit war aus der ehemaligen „Magd des Herrn” (Ancilla Domini) de facto die Gottes-Mutter und „Himmels-Königin” geworden - ein Rang, den in ihrem Kultzentrum Ephesos zuvor Artemis als Mutter aller Götter für sich beansprucht hatte. Die einst unschuldige Maria war von der machtbesessenen Funktionärs-Elite der spätantiken katholischen Kirche zur schärfsten Waffe gegen die alten Muttergöttinnen auserkoren und in der Stadt der Artemis in Stellung gebracht worden. Von zweideutiger Symbolik ist in diesem Zusammenhang die kolportierte Legende, Jungfrau Maria sei in Ephesos gestorben!
Mit dem Streich von Ephesos waren - vorerst im Osten des Römischen Rei-ches - nicht nur die alten „heidnischen” Muttergöttinnen deklassiert worden. Das Christentum hatte sich mit seiner Gottes-Mutter nicht zuletzt selbst eine verkappte Mutter-Göttin gegeben. Wie immer beeilten sich die Bischöfe West-Roms die eigene über-ragende Bedeutung herauszustellen. So glänzte ab dem Jahr 440 auch Rom, die ehemalige Hauptstadt des Reiches, mit einer prächtigen Marien-Kirche, Santa Maria Maggiore, die zum Teil noch im Original erhalten ist und heute eine der vier Patriarchalbasiliken Roms darstellt.
Von Rom aus war es aber noch ein weiter Weg, bis Maria als Muttergöttin-Ersatz auch in den Ostalpen Fuß fassen konnte. Hier, und in den anderen Einflussgebie-ten der keltischen Bethen-Trinität hatten zuvor zahlreiche andere Ersatz-Göt-tinnen den Boden bereiten müssen. Die verzögerte Einführung der Maria hatte u.a. damit zu tun, dass den Kelten die Personifizierung und bildliche Darstellung ihrer Göttinnen ursprünglich fremd waren. (Wozu auch ein Bild von „Mutter Erde” oder der Göttinnen-Trinität!?) Die Religionsinhalte wurden viel mehr symbolisch - also eher abstrakt - und in rituellen Handlungen dargestellt. Und andererseits gab es auf regionaler, kleinräumiger Ebene, sozusagen für jedes Dorf und dessen Umfeld eine Unzahl von SchutzpatronInnen und „natürlichen” Erscheinungsformen des „Göttlichen”.
Marias ostalpine Vorkämpfer: Die „Nothelfer” ^ In dieser „zersplitterten” Situation der keltisch geprägten Ostalpen war die römisch-katholische Maria anfänglich keine passende Lösung. (Hier stand noch abstrakter Zentralismus gegen konkrete Kleinräumigkeit.) Der Zugang erfolgte daher ursprünglich über die schon den ortsansässigen Kelten heiligen Orte in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, über Steine, Berge, Quellen, Bäume, Kreuzungen u.a. ehemals „heidnische” Kultplätze und Wallfahrtsziele, die durch einen (oft sehr oberflächlichen) Wechsel der SchutzpatronInnen bei zuerst annähernd gleichbleibender mythologischer Funktion okkupiert, also „christianisiert” wurden. Da stand in den Ostalpen über Jahrhunderte nicht Maria in der ersten Reihe, sondern die kaum modifizierte alte Bethen-Trinität - die sich im Laufe des Mittelalters zu den „Drei Heiligen Madln”, Katharina+Margaretha+Barbara (K+M+B) wandelte - begleitet von diversen Heroen, vulgo Nothelfern, die sich von den „heidnischen” Vorgängern oft nur durch vorgeblich „christliche” Vornamen unterschieden.
So stand bereits einige Zeit die alte Frauen-Trinität in Gestalt von K+M+B auf den Altären, als es dort endlich gelang, die zentrale Nothelferin der Gebärenden und Nachfolgerin der keltischen Fruchtbarkeits- und Muttergöttin Ambeth, die Hl. Margaretha, durch die keusche Gottesmutter Maria zu ersetzen, die im Laufe ihres Siegeszuges mit Attributen ausgestattet worden war, die zu den wichtigsten Funktionen der keltischen Muttergöttin-Trinität brauchbare Parallelen aufweisen konnte. Die Mutter-Sohn-Beziehung, Mutter Gottes : Gottes Sohn, entsprach dem alten Schema von der (ewig „jungfräulichen”) Muttergöttin und ihrem Heros-Sohn - mit dem kleinen großen Unterschied, dass die „heidnischen” Heroen auch die (temporären) Geliebten ihrer Mütter gewesen sind.
Isis mit Horus
Die häufige, von Isis abgekupferte, Darstellung der Gottesmutter, auf deren Schoß das Söhn-chen thront, war seit der Zeit der Pharaonen eine Metapher für die Inthro-nisation des Herrschers durch die Muttergöttin, die ihn erst zum Souverän machte. Die Legitimation der Herrschaft durch die Göttin gehörte auch bei den Kelten zum zentralen Glaubensgut und wurde in einem großen Fest als „Heilige Hochzeit” rituell und anschaulich nachvoll-zogen. (Vgl. Stift St.Peter und Die Weiße Frau)
Was die handfeste erotische Komponente des keltischen Rituals betraf, musste das diesbezüglich leibfeindliche Christentum mit seiner Magna Mater allerdings passen. („Das Christentum gab dem Eros Gift zu trinken; er starb nicht daran, aber er entartete zum Laster”. Friedrich Nietzsche) Die Folge waren die seltsamsten Eiertänze zum Thema Sexualität, die nicht nur auf „Abwege” führten, sondern sich zeitweise fanatisch entladen konnten.
Des ungeachtet besetzte Maria im Laufe der Zeit die wichtigsten Positionen in der mythologischen Zuständigkeit, im „christlich” gewendeten „heidnischen” Brauch-tum der Ostalpen, in den Festen im Jahreskreis, in der sakralen Infrastruktur (Kultplätze und Wallfahrtsziele). Doch bei näherem Hinsehen wird allüberall - von der Groß-Wallfahrt Mariazell bis zum kleinsten Frauen-Bründl, vom Großen (15. Aug.) und Kleinen Frauen-Tag (8. Sept.) bis zu Maria Lichtmess (2. Feb.), vom Frautragen bis zur Maiandacht - der keltische Hintergrund sichtbar. Wenn Sie z.B. erfahren, dass die Kirche vor der sie stehen Unserer Lieben Frau ... oder gar Unseren Lieben Frauen (!) ... geweiht ist, können Sie fast immer sicher sein: Hier regierte schon in keltischer Zeit eine besondere Liebe Frau, die weise, fruchtbare, beschützende und heilende Muttergöttin-Trinität unserer „heidnischen” Ahnen.
Das Geheimnis der schwarzen Madonnen 1 An zahlreichen, weit über Europa verteilten Orten beten Gläubige zu einer schwarzen Mutter Gottes. Manchmal zu einer strengen Darstellung - wie auf der Fraueninsel im Chiemsee. Oder zu einem ikonenartigen Bild - wie in Tschenstochau, dem größten Heiligtum des polnischen Volkes. Im Schweizer Kloster Einsiedeln soll die Madonna einst schwarz geworden sein durch Jahrhunderte voll Ruß von Kerzen, Öllampen und Weihrauch. Dann aber wurde sie gereinigt - und vom Volk nicht mehr angenommen. Erst als ein Maler sie wieder schwarz gefärbt hatte, kamen die Pilger wieder. Warum übt gerade das Phänomen der schwarzen Madonnen eine besonders intensive Anziehungskraft auf die Menschen aus? Verbirgt sich in den dunklen Bildnissen ein Geheimnis, das über die Grenzen der christlichen Theologie hinaus geht? Es gibt vielfältige Deutungsversuche und Mythen, gilt doch in den abendländischen Kulturen die Farbe "schwarz" vorwiegend als negativ besetzt. Schwarz nimmt alles Licht auf, reflektiert nichts und kennzeichnet so den Bereich der Finsternis und des Okkulten, der Bedrohung und des Todes. Liturgisch betrachtet verweist die Farbe auf den Karfreitag, auf Trauer und Schmerz. Doch für viele Menschen bedeuten die schwarzen Madonnen Trost und Frieden. Lange Zeit galt für die dunklen Frauen die einfache Erklärung, sie seien nur von Ruß und anderen Umwelteinflüssen geschwärzt - doch das Phänomen "schwarze Madonna" ist sicherlich wesentlich komplexer und vielschichtiger. Ihr eigentlicher Ursprung ist bis heute rätselhaft. Das Christentum und seine religiöse Bilderwelt fußt auf wesentlich älteren Glaubensvorstellungen, auf elementaren menschlichen Bedürfnissen, die sich in archetypischen Bildern niedergeschlagen haben. Diese gilt es gerade auch im Zusammenhang mit den schwarzen Madonnen zu sehen und nach möglichen Entwicklungen zu fragen.
In der Frühgeschichte der Menschheit war der patriarchalen Gesellschaft eine matriarchale Form vorausgegangen. Fast alle Völker kannten einen Mythos mit einer mütterlichen Gottheit, einer Urmutter. Diese galt als Spenderin des Lebens, gab Wachstum und Reichtum, doch zugleich auch als die alles Leben wieder Verschlingende. Vor allem dieser zweite Aspekt mit seiner bedrohlichen Assoziation führte zur schwarzen Färbung der Götterbildnisse. Als große Urmutter wurden diese Gottheiten unter den verschiedensten Namen verehrt: in Altägypten als Isis, Mutter des Horus, als Artemis in Ephesus, als Freyja, die altnordische Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit, in Germanien - die Aufzählung ließe sich lange fortführen. Betritt man nun im weiteren Verlauf der Geschichte den Boden des Christentums, so ist in diesem Kontext ein männlicher Schöpfergott zentral. Es stellte sich damit für die junge Kirche das schwerwiegende Problem, dass missionierte Völker den ihren eigenen Traditionen so entgegenstehenden neuen Glauben meist nur oberflächlich annahmen und vielfach zu ihren tief verwurzelten heidnischen Gottheiten zurückkehrten. Eine umfassendere Etablierung des Christentums war erst mit der Grundlegung der Marienverehrung durch das Konzil von Ephesus im Jahr 431 möglich. Bei diesem Konzil sprach man die Verehrungsstätten der Kybele und der Isis der christlichen Gottesmutter zu, und in der Folge nahmen viele Städte Maria als Schutzpatronin an. An Orten, an denen vormals schwarze Göttinnen verehrt wurden, bekam auch die Gottesmutter bisweilen ein schwarzes Antlitz, und insofern kann man davon ausgehen, dass es sich bei Plätzen, an denen sich in unseren Tagen Gläubige an eine schwarze Madonna wenden, um sehr alte Kultstätten handelt. Die schwarze Färbung darf insofern sicherlich als nicht zu unterschätzender Faktor für den Brückenschlag zwischen heidnischen Traditionen und christlichem Glauben angesehen werden.
Die Umwandlung einer alten Kultstätte in einen Ort der Marienverehrung ist vielfach historisch belegt. Ein Beispiel: die schwarze Madonna von Chartres. Sie stammt nachweislich aus vorchristlicher Zeit und geht auf eine Gottheit der Kelten zurück. Der Ort, an dem heute die Kathedrale steht, war in keltischer Zeit ein Heiligtum der Druiden, mit Dolmen und heiliger Quelle. Die Kelten verehrten - wie andere Völker und Stämme - ihre Gottheiten oft in der Nähe heiliger Brunnen. Und diese Nähe lässt sich nicht nur bei der Madonna in Chartres nachverfolgen. An der Kathedrale von Chartres kann auch historisch die Zeit festgemacht werden, in der das Bild der schwarzen Madonna in das allgemeine Interesse rückte: es ist das 10. bis zum 13. Jahrhundert. Damals verbreitete sich der Kult. Viele Gotteshäuser, die in dieser Zeit des Kathedralenbaus entstanden, wurden eigentlich für eine schwarze Madonna errichtet, darunter Reims, Le Puy, Poitiers und viele andere. Die schwarze Mutter Gottes kennzeichnete die meistverehrten und bedeutendsten Pilgerstätten des Mittelalters, die berühmteste - Santiago de Compostela in Spanien - eingeschlossen. "Schwarz bin ich, doch schön" - blickt man nach diesen kurz skizzierten Überlegungen auf den biblischen Text, den das Hohelied der Liebe (1, 5f.) überliefert, so scheint ein sehr ermutigender Aspekt auf
Die junge Frau, die als eine sich aus tiefer Überzeugung in den göttlichen Willen Fügende erlebt wird, weist als schwarze Madonna aufrechte, starke und selbstbewusste Züge auf. In diesem Sinne spielte und spielte sie auch für die Befreiungstheologie eine gewichtige Rolle und kann in Zeiten zunehmender weltanschaulicher und religiöser Orientierungslosigkeit den engen Horizont der modernen Gesellschaft zu einer ganz anderen Wirklichkeit öffnen und weiten. Literatur: Die Schwarze Madonna. Hintergründe einer Symbolgestalt. Von Brigitte Romankiewicz, Patmos, Düsseldorf 2004. Die Schwarze Frau. Kraft und Mythos der schwarzen Madonna. Von Sigrid Früh, Kurt Derungs. TB Unionsverlag Zürich 2003.