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 Texte und Gedichte
Linoma Offline




Beiträge: 1.500

12.01.2011 19:59
RE: Liebe Antworten

Eine Rabenfrau traf auf einem abgeernteten
Kornfeld einen Rabenmann.
Da er ihr gut gefiel und sie sich einen
Gefährten wünschte,
sagte sie zu ihm: "Schenk mir Deine
Liebe!"
Der Rabenmann fühlte sich zunächst
geschmeichelt,
er war nämlich nicht mehr ganz jung, doch
dachte er bei sich:
Wenn ich ihr meine Liebe gebe, dann habe ich
selbst keine mehr.
Denn er war es nicht gewohnt, für das, was er
gab,
selbst auch etwas zu bekommen, und hatte
daher das Geben eingestellt.
Obwohl ihm die Rabenfrau versprach,
ihre eigene Liebe gegen seine zu tauschen,
traute er einem solchen Handel nicht und wies
sie ab.
Als aber der Winter nahte, fühlte er sich
sehr einsam.
Er wusste genug über die langen
Winternächte,
in denen das Grübeln kein Ende nimmt.
Da fiel ihm das Angebot der Rabenfrau ein,
und er beschloss sie zu suchen.

Wochenlang flog er vergeblich umher.
Fast hätte er schon aufgegeben,
da fand er sie endlich vor einem alten
Schuppen
zwischen einigen Körben mit Fallobst.
Er machte ihr schöne Augen und erinnerte sie
an ihr Angebot.
Und da die Rabenfrau immer noch Gefallen an
ihm fand,
willigte sie ein und schenkte ihm einen
Apfel.
Der Rabenmann pickte genüsslich hinein und
dachte insgeheim:
Sicher merkt sie es nicht, wenn ich ihm nur
einen
kleinen Teil meiner Liebe abgebe, dann bleibt
mir der größere Teil.
Sie blieben den Winter über zusammen und
versorgten gemeinsam ihren Haushalt.
Doch waren sie beide nicht so richtig
glücklich.
Sie waren zwar sehr freundlich zueinander und
hilfsbereit,
hatten auch niemals Streit, doch schien etwas
Entscheidendes zu fehlen.
Die Rabenfrau spürte es besonders deutlich
und drängte auf ein Gespräch.
Doch der Rabenmann ließ sich nicht darauf
ein, wurde manchmal grob in seinen Worten,
um über die Wünsche der Rabenfrau nicht
nachdenken zu müssen,
und tat ihren Eindruck als Hirngespinst ab.
Geschickt vermied er Gespräche dieser Art,
bis sie irgendwann nur noch über die
Nahrungssuche miteinander redeten.
Da sich jedoch alles in einer harmonischen
Atmosphäre abspielte,
fand sich die Rabenfrau schließlich mit der
Situation ab und stellte das Fragen ein.
Sie wurde mit der Zeit bequem und setzte
sogar etwas Winterspeck an.

Als das Frühjahr kam, flog sie öfter allein
aus,
um Material für ein neues Nest
herbeizuschaffen.
Dabei war ihr nicht einmal klar, ob der
Rabenmann überhaupt
an einer festen Partnerschaft und Kindern
interessiert war.
Auf einem ihrer Ausflüge aber lernte sie
eines Tages ein hübsches Rabenmännchen
kennen,
und sie verliebten sich heftig ineinander.
Bereits nach wenigen Tagen sprachen sie über
eine Rabenhochzeit.
Sie spürte plötzlich, wie es ist, wenn man
die ganze Liebe von jemanden bekommt.

Jetzt wusste sie auch, was ihr eigentlich
gefehlt hatte
und dass sie bisher um einen großen Teil
ihrer Liebe betrogen worden war.
Sie stellte den Rabenmann zur Rede und
verlangte von ihm
ihre Liebe wieder zurück, da sie diese nun
einem Anderen geben wolle.
Der Rabenmann fiel aus allen Wolken und
stritt zunächst alles ab,
denn er hatte sich an das Leben mit ihr
gewöhnt und wollte sie nicht verlieren.
Als sie aber nicht locker ließ, gab er
endlich zu,
dass er ihr nur einen kleinen Teil seiner
Liebe gegeben hatte.
Er bereue dies und sei nun bereit, ihr alles
zu geben.
Während er das sagte, merkte er, dass es der
Wahrheit entsprach.
Jetzt, da sie ihn verlassen wollte, empfand
er plötzlich tiefe Liebe für sie
Er wollte sie nicht verlieren.
Er bot ihr seinen ganzen gehorteten
Liebesvorrat an,
doch sie traute ihm nicht mehr und
verschmähte das späte Geschenk.
Sie nahm ihren Teil zurück, von dem kaum
etwas verbraucht war und flog davon.

Der Rabenmann war nun sehr traurig.
Er hatte schmerzlich lernen müssen,
dass man erst die eigene Liebe verschenken
muss,
um Platz für die eines Anderen zu haben.
Und ihm wurde klar:
Wenn jeder seine Liebe verschenken würde,
dann wäre wohl am Ende für alle genug da.
Den Sommer über blieb er allein und dachte
über diese Dinge nach und oft an die
liebevolle und dennoch kraftvolle Lebensweise
seiner Rabenfrau.
Dann nahm er sich vor, mit seiner neuen
Erkenntnis im Herbst
wieder das abgeerntete Kornfeld aufzusuchen
und ohne
egoistische Hintergedanken offen für die
Liebe einer Rabenfrau zu sein.

Verfasser unbekannt

Die Wahrheit wiegt meistens schwer.

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