Man sollte sich davor hüten, ägyptische Priester mit religiösen Würdenträgern von heute, wie z.B. einem Geistlichen, einem Mullah oder einem Rabbi, zu vergleichen. Die Bezeichnung „Priester“ ist lediglich eine moderne Übersetzung für eine Reihe religioser Ämter im Zusammenhang mit dem ägyptischen Tempel. Der ägyptische Priester von den alten Ägyptern „Gottesdiener“ (hem netjer) genannt, war nicht notwendigerweise in Theologie bewandert und insbes. im Alten Reich und Mittleren Reich nicht unbedingt ausschliesslich für den Tempel tätig. Die übliche moderne Übersetzung von hem netjer als „Prophet“ hat zu manchen Missverständnissen in bezug auf die Rolle des „Gottesdieners“ geführt. Er war ein Angestellter des Tempels und verantwortlich für die Durchführung des „Täglichen Rituals“. Dieses bestand darin, den Gott bzw. die Göttin in Gestalt des Götterbildes täglich zu reinigen, zu kleiden und zu nähren, ging man doch von ähnlichen Bedürfnissen bei Göttern und Menschen aus.
Die meisten Priester kamen mit der Kultstatue der Gottheit jedoch nie in Kontakt, und - theoretisch - war allein der Pharao, der „Herr der Rituale“, legitimiert, sich dem Gott zu nähern. In der Praxis übertrug er seine Autorität jedoch auf den Hohen-Priester, dem seinerseits niedere Priester zur Seite standen, die dann die Opfer und die untergeordneten Tempelrituale vollzogen. Der „Zweite Prophet“ war im wesentlichen für die Tempelverwaltung zuständig, während die Priester von niederem Rang, die sog. Wab-Priester, zahlreiche andere Pflichten zu erfüllen hatten. Mit hemet netjer gab es auch eine weibliche Version des Titels hewn netjer; und im Alten Reich und Mittleren Reich taten viele Frauen der Oberschicht Dienst als Hathor-Priesterinnen. Der hohe-Priester oder „Erste Prophet“ hatte eine bedeutende Machtposition inne, die es ihm gestattete, Einfluss auf Dinge zu nehmen, die man heute als weltlich ansehen würde. Während der 18. Dynastie (1750-1297 v. Chr.) wurde die Priesterschaft des Gottes Amun ausserordentlich mächtig, und einiges spricht dafür, dass sie unter Echnaton (1352-1336 v. Chr.) zeitweilig entmachtet wurde. In der 21. Dynastie (1069-947 v. Chr.) übernahm eine Reihe von libyschen Generälen die Macht über die Thebais, die den Titel „Hoher-Priester des Amun“ annahmen, um ihre Herrschaft zu legitimieren.
Es gab auch Priester-Gruppen, die über besondere Kenntnisse verfügten, so etwa die „Stunden-Priester“, bei denen es sich Serge Sauneron zufolge uan Astronomen handelte; seiner Meinung nach haben diese Männer den Zeitpunkt festgelegt, an dem bestimmte Feste abzuhalten waren. Dies war eine wichtige Aufgabe, da der ägyptische Kalender kaum einmal mit den Jahreszeiten übereinstimmte. Von Astrologen stammen Vorhersagen über „glückliche und unheilvolle“ Tage; einige Bücher mit solchen Vorhersagen sind überliefert. Das Lebenshaus hatte seine eigenen Priester-Beamten, die für die Schreiber-Ausbildung und das Kopieren von Texten zuständig waren, während der „Vorlese-Priester“ (heri heb) aus der „ Festrolle“ rezitierend die Kulthandlungen begleitete. Für die Rituale benötigte man zudem verschiedene Kultsänger und Tempelmusiker. Gelegentlich sind Frauen adliger Abstammung in dieser Rolle dargestellt; sie tragen zuweilen Titel wie „Sängerin des Amun“ und/oder sind mit einem Sistrum ausgestattet. Im Amun-Kult wurde dem Gott auch eine irdische Gattin zugesprochen: Sie trug den Titel Gottesgemahlin des Amun, der zu einem wichtigen politischen Titel wurde, allerdings vor der 18. Dynastie nicht belegt ist. Im Neuen Reich beaufsichtigten Verwaltungsbeamte zusammen mit dem „Zweiten Propheten“ die Versorgung des Tempels aus Ländereien und Stiftungen. Sie sorgten dafür, dass jeden Tag die erforderliche Zahl an Opfern gebracht wurde und dass die Arbeiter ihre Aufgaben ordentlich erledigten. Der Gott, so glaubte man, nehme nur die „geistige Substanz“ der Opfergaben in sich auf; die eigentlichen Gaben verzehrten die Priester in einem als „Opferumlauf“ bekannten Verfahren. Manche Tempel verboten bestimmte Nahrungsmittel, so dass die Ernährung der Priester oft untypisch gewesen sein mag, doch bestehen solche Ernährungstabus in vielen Religionen.
Dem griechischen Historiker Herodot zufolge mussten sich ägyptische Priester zweimal am Tage und zweimal während der Nacht waschen; sie hatten kahlköpfig, am ganzen Körper rasiert und beschnitten zu sein und waren, da kein Eheverbot bestand, während der Dauer ihres Dienstes zu sexueller Abstinenz verpflichtet. Herodot behauptet, dass sie weder Wolle noch Leder tragen durften, sondern nur feines Leinen, und dass ihre Sandalen aus Papyrus gefertigt sein mussten. Bestimmte Priester-Klassen trugen eine eigene Tracht, so z.B. die Sem-Priester ein Leopardenfell. Hinzu kamen Vorschriften und Verbote im Zusammenhang mit einigen Kulten. Diese Massregeln waren streng, doch galten sie für den einzelnen Priester nur drei Monate im Jahr, denn die Priester waren in vier gleiche Gruppen eingeteilt. Diese sind heute unter dem griechischen Begriff Phylen bekannt, die Ägypter selbst bezeichneten sie als saw („Wachen“). Jede Phyle versah jeweils nur einen Monat lang den Tempeldienst, dann kehrten ihre Mitglieder wieder für drei Monate in ihre eigentlichen Berufe zurück, ehe die Reihe wieder an ihnen war. Ein solches Priester-Amt konnte sehr lukrativ sein, war damit doch der Anspruch auf einen bestimmten Anteil an den Opfergaben verknüpft.
Da theologisches Wissen keine Voraussetzung war, überrascht es nicht, dass Priester ihre Ämter oft einfach von ihren Vätern erbten, doch wurden Ernennungen im allgemeinen auch vom König bestätigt. Unter bestimmten Umständen konnten Priester-Ämter sogar gekauft werden, ein Verfahren, das unter röm. Herrschaft üblich wurde. In vielen der kleinen Provinztempel, wo die Priester häufig eine weniger wichtige Rolle spielten, konnte es durchaus vorkommen, dass nicht alle Stufen der Hierarchie besetzt waren. Trotz des offenkundig prosaischen Eintritts in die Priesterschaft gab es ethische Grundsätze für die Priester, so etwa das Verbot, Tempelrituale zu diskutieren oder Betrug zu begehen. Inwieweit solche Regeln tatsächlich eingehalten wurden, ist unbekannt; jedenfalls sind Vergehen dagegen überliefert.
Im alten Ägypten war es natürlich die Hauptaufgabe eines Priesters, seinem jeweiligen Gott zu huldigen. Dazu musste er strenge Reinheitsgebote einhalten. Er musste sich zweimal am Tag und zweimal in der Nacht waschen. Seit dem Neuen Reich musste jeder Priester zudem noch seinen kompletten Körper rasieren. Kein Haar, weder am Kopf noch am restlichen Körper, durfte zu sehen sein. Die Nägel musste er sehr kurz schneiden und scharfe Natronpillen sollten für die innere Reinheit sorgen. Saubere Leinengewänder waren natürlich ebenfalls Pflicht.
Der ägyptische Priester lebte nicht im Zölibat, galt aber nach dem Geschlechtsverkehr als unrein und musste sich erst wieder einer rituellen Reinigung unterziehen.
Wie wurde man Priester?
Priester konnte in Ägypten im Prinzip jeder werden. Es war egal, ob der Anwärter aus einer reichen oder einer armen Familie stammte. Selbst das Geschlecht war gleichgültig. Es sind sowohl weibliche als auch männliche Priester bekannt, wobei letztere den Großteil der Priesterschaft ausmachte. Von einer Aufnahmezeremonie ist nichts bekannt aber die jungen Erwachsenen verpflichteten sich wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang zu dem Dienst an ihrem Gott. Viele Priester wohnten in Dörfern und hatten Familien mit Kindern, an welche sie ihre Priesterwürde weitervererben konnten. Natürlich war es auch dem Pharao möglich, einen seiner Untertanen in ein heiliges Amt zu berufen.
Mafiöse Machenschaften
Mit einem Mangel an Spiritualität könnte man die mafiösen Machenschaften vieler Priester erklären, die weder vor Korruption und Bestechung, noch vor Mord und Totschlag zurückschreckten
Für die Ägypter war es nichts Außergewöhnliches, Männer ohne große Neigung zur Spiritualität in den Priesterämtern sitzen zu haben. Hauptsache, derjenige konnte gut für die jeweiligen Zwecke eingesetzt werden. So wurden in der 18. Dynastie zuverlässige Armeeoffiziere in das Amt des Hohepriesters eingesetzt - wahrscheinlich, um die Macht der habgierigen Priester einzuschränken. Und die ägyptischen Hohepriester, allen voran der Hohepriester des Hauptgottes Amun, besaßen als Stellvertreter des Pharaos und somit Augen und Sprachrohr der Götter, sowie mit einem schier unermesslichen Reichtum im Rücken, eine außergewöhnliche Macht.
Von "Vollzeit-" und "Teilzeit"- Priestern
Die ägyptische Priesterschaft konnte man in zwei Klassen unterteilen: Die "Vollzeit-Priester", die ihr ganzes Leben dem Dienst an ihrem Gott widmeten, nannten die Ägypter "hem-nejer", was so viel wie "Gottesdiener " hieß. Es gab aber auch "Teilzeit-Priester", die so genannten wab-("Reinigungs"-) Priester. Arbeiter der gemeinen Klasse, wie Staatsbeamte, Handwerker oder Bauarbeiter konnten sich für einen Monat im Jahr für den Dienst eines Gottes verpflichten. Diese Priester traten hauptsächlich im Bereich der Totenrituale in Erscheinung. Sie waren Gast bei Bestattungen, wo sie Gebete für den Toten sprachen und Opfergaben darbrachten.
Ähnlich wie bei den Beamten gab es auch bei den Priestern unterschiedliche Ränge und Titel
An oberster Stelle stand der Hohepriester, der den Titel "erster Gottesdiener" (hem-netjer-tepi) trug. Als Stellvertreter galt der 2. Hohepriester und teilweise gab es sogar einen dritten und vierten Stellvertreter.
Weitere wichtige Titel waren:
der Vorlesepriester (cheriheb): bei Toten- und Kultritualen rezitierte er magische Texte und Kultformeln. Er trug eine breite Schärpe über seiner Brust der sem-Priester: war sehr wichtig für Bestattungsrituale. Er führte das Mundöffnungsritual durch, damit die Seelen des Verstorbenen wieder in seinen Körper zurückkehren konnten. Ein typische Kleidung dieses Priesters war das Leopardenfell. Rundumversorgung für den Gott
Zweimal am Tag, morgens und abends, ging der Hohepriester, begleitet von der höchsten Priesterschaft, in das Allerheiligste des Tempels. Außer diesen eingeweihten Personen und dem Pharao, durfte niemand den heiligen Raum betreten. Bevor die Priester den Ort betreten durften, mussten sie sich erst einem intensiven Reinigungsritual unterziehen und ihre kompletten Körper mit Wasser und Natron reinigen.
Wenn sie von oben bis unten gereinigt waren, konnte der Hohepriester das Siegel erbrechen, welches das Heiligtum vor unbefugtem Zutritt schützte. Danach betraten sie den dunklen Raum, in dem sich kein Tageslicht verirrte. Der schwere und reinigende Duft von Weihrauch erfüllte das Allerheiligste. Eine Fackel wurde entzündet, um den schlafenden Gott zu wecken. Die Ägypter glaubten, die Ka-Seele des Gottes würden in seiner Statue wohnen und die Priester taten daher alles, damit es dem Gott dort auch weiterhin gefiel.
Dazu holten die Priester behutsam die Statue aus ihrem Schrein und stellten sie auf einen Sandhügel. Dieser stellte den Urhügel dar, der zum Anbeginn der Zeit aus dem Urgewässer hervortrat und aus dem alles Leben hervorging. Die Priester entfernten die Kleider der Statue und reinigten den Körper vom Salböl des letzten Rituals. Anschließend salbten und parfümierten sie die Statue erneut. Ihren Körper bedeckte der Hohepriester mit frischen Kleidern. Um den Gott zu erfreuen und um den Ka in die Statue des Gottes zu locken, legten die Priester Tücher, Schmuck, teure Düfte sowie Krone und Zepter als Opfergaben vor ihm nieder. Speisen und Getränke sollten für das leibliche Wohl des Gottes sorgen.
Nach diesen Ritualen, die von Gebeten und Gesängen begleitet wurden, reinigte und salbte der Hohepriester die Statue erneut und kleidete sie wieder in frisches Leinen neu ein. Sand wurde auf dem Boden ausgestreut. Die Priester verneigten sich und gingen in dieser gebückten Haltung rückwärts hinaus. Die Fußspuren im Sand verwischten sie mit einem Besen. Die Tür zum Allerheiligsten wurde wieder versiegelt, damit der Gott bis zum nächsten Besuch ungestört war.